Weihnacht des Grauens

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Bild von Janet Dahmen auf Pixabay

Ein explosiver Heilig Abend bei Gerstners

Jedes Jahr wenn zuhause die erste Adventskerze entzündet wird, verfalle ich in eine Art „Vietnam-Flashback“, nässe mich spontan ein und flüchte in die kleine Kammer unter der Treppe. Dort sitze ich dann apathisch wippend hinter dem Katzenklo und all die grausamen Bilder kommen wieder. Schon mal Weihnachten in einer XXL-Patchworkfamilie gefeiert? Keine Sorge, sie würden sich daran erinnern. An die unheilschwangere Atmosphäre wenn 20 Menschen die sich das ganze Jahr nicht gesehen haben, die sich untereinander fortgepflanzt, geschieden, lieben und hassen gelernt haben – plötzlich aufeinander treffen? Und wenn diese Typen dann alle in der Erwartungshaltung antreten, dass es das perfekte Weihnachtsfest werden soll….Oh Mann, da verbringe ich doch lieber die Feiertage in einem stecken gebliebenen Fahrstuhl mit Donald Trump und Beatrix von Storch.

Als Mahnung für Euch und die Welt, lasst Euch von meinem „Last Christmas“ erzählen. So herzlich wie im Wham-Song lief es in diesem Fall allerdings nicht ab.

16:00 Uhr Das Problem – Es ist deine Familie – absagen is nich. Und so jagen mir meine beiden Frauen Jahr für Jahr ein Ochsen-Sedativ in den Nacken und karren mich in meine alte Heimat – wie das Schaf zur Schlachtbank. Eine alte Tradition zwischen meiner Frau und mir, ist es zu erraten wann wohl der erste Familienstreit entbrennt. Das erste Mal als meine Frau meine Familie zu Weihnachten besucht hat, schätzte Sie mindestens drei Stunden. Ich musste so lachen, dass wir zurückfahren mussten um für mich neue Klamotten zu holen. Zwischenzeitlich liegen wir beide bei realistischen 15 – 20 Minuten. Wenn ich diese Wette gewinnen möchte, setze ich auf einen niedrigen Zeitwert, betrete das Wohnzimmer und frage fröhlich: Na, gehen wir dieses Jahr in den Familiengottesdienst? Nun formieren sich drei Fraktionen! Eine die das ganze Jahr nicht zur Kirche geht und es daher nicht einsieht nun an Weihnachten zu gehen, eine die auch das ganze Jahr nicht zur Kirche geht – es aber als verbindliches Weihnachtsritual ansieht und es gibt Oma. Die holt den „Ich habe nur noch einen Wunsch bevor ich sterbe – Joker“ raus (ein Evergreen seit 1974) und eine halbe Stunde später setzen wir uns in Bewegung.

17:00 Uhr Mit gesenktem Blick am Pfarrer vorbei, geht es zu den einzigen noch verfügbaren Stehplätzen auf der Empore hinter der Orgel. Von dort lauschen wir einer Stunde lang einer Art Kakophonie bestehend aus Fragmenten eines Krippenspiels (aus diesen übersteuerten Bakelit-Lautsprechern die sich alle Kirchen um 1450 angeschafft haben), einem Blockflöten-Ensemble direkt aus der Hölle und einem Baby-Geschrei-Contest. In unseren Gesichtern steht steinerne Schwermut geschrieben – nur Omi lächelt fromm.

18:30 Uhr Wieder zuhause überlegen wir uns, was es heute Abend zu Essen geben könnte. Die Würstchen und der Kartoffelsalat fallen ja aus, nachdem mein Bruder vergessen hat seinen Köter vor der Kirche im Gästezimmer einzuschließen. Ich schlucke angesichts der Tatsache, dass das Vieh bereits jetzt ein schöneres Fest hatte als ich und hole jenes Zaubermittel aus der Speisekammer, das unsere Familie in guten wie in schlechten Zeiten verbunden hat – mazedonischer Rotwein vom Aldi. (der Hersteller gibt eine rechtsverbindliche Kopfweh-Garantie schon nach dem ersten Glas). Die Gerstner-Boys schließen sich mir spontan an und die Frauen tauen mit dem Haarfön irgendeinen tiefgefrorenen Braten auf. (Mein Vorschlag den Hund meines Bruders dafür heranzuziehen wird einfach übergangen).

19:00 Uhr Während in der Küche also die große Impro-Show läuft, verkaufen wir Männer unsere berufliche Mittelmäßigkeit einander als sau-anstrengenden, abwechslungsreichen Karriere-Trip. Ja, es sind goldene Zeiten für uns Key-Account-Manager, Facility-Manager und High Level Adimis-Dingsbumse. Da kommt es mir gerade recht dass meine Kleine durch händisches Anhalten der Weihnachtspyramide, die Temperaturentwicklung an den Balsaholz-Flügeln so ungünstig beeinflusst, dass das obere Stockwerk mit den trompetenden Engeln in Flammen aufgeht. Nichts was ein Glas mazedonischer Rotwein nicht gerade biegen könnte.

20:00 Uhr Nach dem köstlichen Mahl in großer Runde (Viva la Knorr-Beutel) schreiten wir zum besinnlichen Teil des Abends. Meine Tochter, die Kinder meines Bruders und die Zwillinge meiner Schwester tragen jeder ein Weihnachtslied vor – inklusive aller Strophen. Und so hören wir insgesamt sechs Mal „In der Weihnachtsbäckerei“. Hätte ich eine Zeitmaschine zur Verfügung so würde ich nicht zurückreisen um Hitler aufzuhalten, sondern um Rolf Zuchowski auszuschalten.

21:00 Uhr Bescherung! Meine Mutter schenkt mir das Buch „Narzissmus verstehen und behandeln“. Jetzt ist Krieg!

21:10 Uhr Omi heult wie ein Schlosshund, meine Mutter und ich rauchen draußen – sie im Hof, ich auf der anderen Seite des Hauses im Garten. Im Haus werden die Kinder getröstet (….nein, das Wort was der Papa zur Oma gesagt hat, darfst du nie nie nie im Kindergarten sagen….nein, die anderen Worte auch nicht……  nein, eine hysterische, arrogante Ziege ist eine Ziegenart aus dem Afrika….)

21:30 Uhr Dank der pfiffigen Erfindung mazedonischer Winzer ist alles wieder gut. Wir haben uns wieder lieb. Soooo lieb!!! Echt jetzt!!!! Wir sind doch eine Familie – Blut ist doch dicker als Wasser (und mazedonischer Rotwein). Es ist doch Weihnachten – Das Fest der Liebe….das muss man sich nur iiiiiimmmmmmeeeeer wieder sagen!

Merry christmas

Euer Tommy

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