Well(fleisch)ness aus dem großen Kessel
Machen wir uns nichts vor, Vegetarier werden auf diesen Beitrag vermutlich eher verschnupft reagieren, hier ist kein Burgfrieden zu erwarten. Dabei ist die Kunst der Kesselfleisch-Zubereitung, die mitunter ehrlichste Art – Fleisch zu verzehren, die es gibt. Wer es richtig macht, ist von Anfang an mit dabei – von der Schlachtung der Sau, über die Zubereitung bis hin zur Verwertung sämtlichen anfallenden Fleisches. Es ist kein anonymer Akt, bei dem das Tier bereits komplett verarbeitet aus dem Supermarkt gekauft wird, sondern einer der ehrlich und aufrichtig den gesamten Prozess direkt und unverstellt begleitet. So haben es schon unsere Großeltern gemacht, deren Großeltern und deren Großeltern.
Am Wochenende zelebrierten die Oldtimer- und Schlepperfreunde in Kraichtal wieder ihr alljährliches, vereinsinternes Kesselfleischessen, dass wir von Anfang an mit der Kamera begleiten durften.
Kesselfleisch ist gekochtes Bauch- und Kopffleisch, sowie Zunge, Herz, Leber und Nieren vom Schwein. Traditionell werden diese Zutaten direkt nach der Schlachtung des Tieres in einem großen, dampfenden Kessel über viele Stunden hinweg zart gekocht. Im Fall der Schlepperfreunde stammte das Tier aus einem Bauernhof in Oberöwisheim und wurde von einem gelernten und erfahrenen Metzger geschlachtet und zerteilt. Anstatt anonym in Großtransportern durch ganz Europa gekarrt zu werden, wird das Tier dort wo es aufgewachsen ist geschlachtet und vollständig durch den Menschen verwertet – so wie es oft traditionelle Dorfmetzger noch heute handhaben.
Schon am Morgen beginnen die Schlepperfreunde damit Holz zu hacken und damit die drei großen Kessel anzuheizen. In zwei davon wird über Stunden hinweg das Schweinefleisch mit ganzen Zwiebeln und etwas Majoran gesiedet, der Dritte dient dazu das Wasser für den Abwasch danach bereitzustellen. Nach rund drei bis vier Stunden ist es dann soweit und das zart gegarte Fleisch kann mit großen Schöpfkellen aus dem dampfenden Wasser gehoben werden. Nun wird es zerkleinert und zusammen mit Sauerkraut und Senf serviert. Dazu gibt es etwas Salz oder Pfeffer – mehr braucht es nicht, der Geschmack spricht für sich. Die Reste werden später zu Wurst weiterverarbeitet, und sogar das Siedewasser wird Bestandteil einer deftigen Worschtsupp.
Der Name Kesselfleisch rührt wie zu erwarten von den großen Kesseln her, in denen das Fleisch zubereitet wird. Ein anderer Name lautet übrigens Wellfleisch, wobei damit die Wellen auf der Wasseroberfläche während des Kochvorgangs gemeint sind.
Für ungeübte Esser kann die erste Kesselfleisch-Mahlzeit ungewohnt sein, denn hier sieht man auf dem Teller noch was die Mahlzeit einmal gewesen ist – ein lebendiges Tier. Schnuffel oder Zunge sind noch gut erkennbar und verleiten Zartbesaitete am Ende doch dazu, sich eher für ein neutrales Stück Bauchfleisch zu entscheiden. Ein Fehler – Schnuffel, Zunge oder Innereien sind mitunter die aromatischen und leckersten Delikatessen beim Wellfleischessen. Hier gilt es einfach über den eigenen Schatten zu springen und sich auf dieses geschmackliche Erlebnis einzulassen – ein kleines Schnäpschen am Ende des Tages rückt in jedem Fall alles wieder zurecht.