Nicht ohne mein Auto

| ,

Während unsere Dörfer vor Autos geradezu überquellen, kann sich doch niemand den baldigen Abschied vom “heiligen Blechle” auch nur vorstellen.

Zwangsabgabe, Mobilitätspass oder gutes Zureden. Die Region zwischen Zuckerbrot und Peitsche – Kann die Verkehrswende auf dem Dorf überhaupt gelingen?

Liebe Dorfmenschen, mal ganz ehrlich. Was müsste passieren, damit wir freiwillig unsere Autos aufgeben und auf die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen? Wir werfen mal ein paar mögliche Antworten in die Runde. Deutlich niedrigere Ticketpreise? Engere Taktungen bei Bus und Bahn? Barrierefreiheit? Saubere, sichere Haltestellen und Verkehrsmittel? Okay, wir haben uns auf Ehrlichkeit geeinigt – also sprechen wir es aus… Selbst wenn wir das alles hätten, würden viele ihr Auto trotzdem nicht aufgeben, oder dessen Nutzung deutlich reduzieren. Ein Auto bedeutet Freiheit, bedeutet Flexibilität, bedeutet Unabhängigkeit. Ein Handwerker wird sein Werkzeug nicht in der Straßenbahn auf die Baustelle transportieren, der Familieneinkauf ist mit dem Linienbus unvorstellbar und die Oma mit dem Gehtstock kann nicht bei Wind und Wetter auf dem Fahrrad zum Kaffeekränzchen fahren. In der wirklich großen Stadt wäre all dies denkbar, der nächste Supermarkt und die nächste Haltestelle sind meist nur einen Steinwurf entfernt, doch auf dem Dorf? Derzeit unvorstellbar.

Autos auf dem historischen Heidelsheimer Marktplatz

Nun könnte man sagen: Passt, Thema abgehakt, alles gschwätzt. So leicht ist es aber nun einmal leider nicht. Das Auto beginnt uns nämlich über den Kopf zu wachsen. Die Städte haben es zuerst gespürt, die Dörfer spüren es zwischenzeitlich immer mehr. Jeder Haushalt hat mittlerweile ein, zwei oder sogar mehr Fahrzeuge, jeder will zu jedem Zeitpunkt überall stressfrei ankommen und parken können. Die Folge: Auch bei uns im eher ländlichen Kraichgau steht regelmäßig der Verkehr Stoßstange an Stoßstange auf unseren Straßen und später entlang unserer Häuser und auf unseren Plätzen. Suchen Sie sich ein x-beliebiges Dorf aus ihrer Ecke der Welt aus, es ist überall das gleiche Bild: Autos soweit das Auge reicht.

Doch wie löst man dieses Problem, wie erobern wir unsere Innenstädte und Dorfzentren zurück, wie werden wir der stetig ausufernden Blechlawine wieder Herr? Jede Kommune und jeder Landkreis sucht hierbei nach eigenen Lösungen, jede einzelne davon ist mit reichlich Vor- aber auch jeder Menge Nachteilen gesegnet. Nehmen wir beispielsweise die Gemeinde Ubstadt-Weiher. Auf dem großen Kirchplatz im Ortsteil Weiher reihen sich werktags die Autos in Massen, für die Menschen bleibt kaum noch Platz auf diesem XXL-Parkplatz im Herzen des Dorfes. Eigentlich wurde der Platz seinerzeit aufwendig umgebaut, um ihn als Dorfmitte und Ort der Begegnung für die Einwohnerinnen und Einwohner Weihers bereitzustellen, doch die Realität ist werktags eine andere. “Der Parkdruck hier ist groß” erläutert Bürgermeister Tony Löffler das Dilemma. “Die Anwohner brauchen Parkplätze, die örtlichen Firmen im Ortskern ebenso”. Bei der Gemeinde ist man sich des Problems der ausufernden Zahl an Fahrzeugen im Ort nicht erst seit gestern bewusst, doch der Handlungsspielraum ist gering. Weil Fußgänger, aber auch Rettungskräfte, durch das teilweise wilde Parken entlang der Straßen immer wieder behindert werden, soll nun eine neue Stellplatzsatzung zumindest etwas mehr Ordnung schaffen. Dazu gehören ausgewiesene Stellplätze im öffentlichen Bereich, Auflagen für Neubauten, aber auch die finanzielle Förderung, wenn Anwohner Parkraum auf dem eigenen Grundstück schaffen.

Ubstadt-Weihers Bürgermeister Tony Löffler

Am Problem der ausufernden Menge an Fahrzeugen, wird dies freilich nichts ändern, hier gibt sich Tony Löffler keinen Illusionen hin. “Die Menschen werden ihre Autos nicht kurzfristig zu Gunsten des ÖPNV abschaffen, hier muss man realistisch sein” weiß der erfahrene Kommunalpolitiker genau. Um die Situation in Weiher zu entschärfen, soll nun ein nicht mehr sanierungsfähiger Gebäudekomplex im Ortskern abgerissen werden und so neuer Parkraum entstehen, der wiederum den Kirchplatz entlasten soll. Dem Bürgermeister sowie vielen Einwohnerinnen und Einwohner ist die Blechlawine direkt vor der Fassade der altehrwürdigen Kirche St. Nikolaus ein Dorn im Auge, doch die Umwandlung von potentiellem Wohnraum in Parkraum ist als Ansatz selbstredend dabei nicht unumstritten.

Landrat Dr. Christoph Schnaudigel

Doch Tony Löffler ist Realist, weiß, dass man einen derart tiefgreifenden Umbruch in Sachen Verkehrswende auf dem Dorf nicht mit der Brechstange erzwingen kann. In Stuttgart scheint man dies zumindest teilweise anders zu sehen und hat den Landkreis Karlsruhe nun zur Modellregion für die angedachte Zwangsabgabe zur Finanzierung des ÖPNV auserkoren. Um den Umstieg auf die öffentlichen Verkehrsmittel voranzutreiben, sollen die Kommunen entweder alle Bürger/innen oder nur die Autobesitzer/innen zur Kasse bitten können. Diese Gelder sollen dann für den ÖPNV-Ausbau und perspektivisch zugunsten einer engeren Taktung verwendet werden. Im Zuge der Verkehrswende hat sich Baden-Württemberg als Zielmarke bis 2030 die Verdoppelung der Nachfrage im ÖPNV, eine deutliche Reduzierung des KFZ-Verkehrs sowie eine Steigerung der zu Fuß und per Fahrrad zurückgelegten Strecken gesteckt.

Zwar handelt es sich beim Projekt Mobilitätspass erst einmal um einen Testballon, der die Möglichkeiten einer solchen Abgabe ausloten soll, doch in Karlsruhe wird der Stuttgarter Vorstoß kritisch kommentiert: “Der Landrat stellte unmissverständlich klar, dass mit Beteiligung an der Arbeitsgruppe noch keinerlei Festlegung zur Einführung eines Mobilitätspasses im Landkreis getroffen sei. Neben den finanziellen Rahmenbedingungen seien auch noch viele rechtliche Fragen zu klären. “ heißt es in einer Mitteilung aus dem Landratsamt und weiter: “Insbesondere dürfe es nicht sein, dass die Bürgerinnen und Bürger eine Abgabe bezahlen müssten, wenn die damit verbundenen zusätzlichen Leistungen erst Jahre später eingeführt werden. Dies werde er (der Landrat – Anm. der Redaktion) dem Landkreis so nicht vorschlagen.”

Autos überall

Doch wenn Zwang nicht sein darf und mit Freiwilligkeit nicht zu rechnen ist, wie kann dann die Verkehrswende auf dem Land gelingen? Es ist eine Frage die vermutlich derzeit niemand wirklich beantworten kann, weder in Berlin, noch in Stuttgart und auch nicht im Rathaus von Ubstadt-Weiher. Auf dem Land wird man sich vom Auto vermutlich erst dann trennen, wenn entweder dessen Nutzung zu kompliziert und geradezu unbezahlbar wird, und/oder das Angebot des ÖPNV einen objektiven, unwiderstehlichen Mehrwert demgegenüber bietet. Bleiben wir weiter ehrlich, mit beiden Optionen ist weder kurz- noch mittelfristig zu rechnen. Und so werden die Autos vorerst weiter in unseren Ortsmitten stehen, in endlosen Reihen entlang unserer Gehwege parken, zähfließend unsere Straßen verstopfen…bis, ja bis vielleicht die schiere Masse das System implodieren lässt. Die Suche nach gangbaren Alternativen zu diesem Worst-Case-Szenario, muss also unbedingt weitergehen und passiert derzeit auch auf dem Land. Während man in Ubstadt-Weiher versucht mit der Entnahme des Schwerlastverkehrs, Tempo-30-Zonen und ausgefeilten Park-Konzepten der Blechflut Herr zu werden, gibt es in Bad Schönborn den ersten regiomove-Port als Verkehrsknotenpunkt unterschiedlicher Verkehrsmittel, gibt es in Graben-Neudorf Projekte für Mitfahr-Bänkle, gibt es in Bretten das Stadtentwicklungskonzept mit Schwerpunkt auf einer “gesunden, menschenzentrierten Mobilitätskultur“ und natürlich Landkreisweite Projekte wie z.b. das zeozwei-Carsharing. Das Bewusstsein für Veränderung ist mittlerweile zweifelsfrei vorhanden und wächst mit jedem zusätzlichen Fahrzeug auf der Straße weiter.

Vorheriger Beitrag

Ein Dörfchen namens Eichelberg

Stirbt die Kneipe, stirbt das Dorf

Nächster Beitrag

2 Gedanken zu „Nicht ohne mein Auto“

  1. …und in Kraichtal geht gar nix…doch, der Verkehr…30er Schilder, an die sich niemand hält, im Gegenteil…mit Extragas vorbeiziehen. Kontrollen? Fehlanzeige! Es lebe die Ökonische für Verkehrsraudis!
    Und in den Rathäusern und Landratsämtern suhlt man/frau sich in Heldentaten. Die eigenen Schäfchen im Trockenen fernab jeglicher Hauptstraßen und Ortszentren. Von uns bezahlte Inkompetenz und Untätigkeit!

  2. Was dürfen wir nicht alles ertragen: Energiewende, Verkehrswende, Wende vom Frieden hin zum Krieg, denn wir hatten ja schon lange keinen mehr. Ich lebe gerne am Land und dazu benötige ein Auto. Mein Auto hat bereits 34 Jährchen auf seinem Blechle und trägt ein H-Kennzeichen. Es hat einen Verbrennermotor und ist sehr nachhaltig. Es wird gehegt und gepflegt. Ich brauche kein Smartphone auf Rädern. Und eine E- Kiste kommt mir nicht auf meinen Stellplatz. Unsere Politiker haben das einfach so beschlossen, ohne weiter nach Alternativen zu suchen. Und der Strom für diese Kisten kommt natürlich aus der Steckdose.

Kommentare sind geschlossen.