“Das Leben war härter und einfacher zugleich”

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Vor 100 Jahren – So lebte es sich früher im Kraichgau

von Stephan Gilliar

Winzig klein ist das schiefe Häuschen in der Tiefenbacher Hofgasse. Beim Betreten ziehe ich instinktiv den Kopf ein, das bin ich als großer Mensch ohnehin schon gewohnt. Doch in der kleinen Wohnung, die sich auf ihren wenigen Quadratmetern vor mir ausbereitet, möchte man sogar noch die Schultern einziehen, um nirgendwo anzustoßen. Der kleine Flur mündet in eine winzige Kammer und eine kleine Küche von wo aus es in ein Schlafzimmer und nur zwei Schritte weiter in ein kleines Wohnzimmer geht. In weniger als 10 Sekunden könnte man die komplette Wohnungen durchqueren, ohne sich nennenswert beeilen zu müssen. Kaum vorstellbar, dass auf dieser kleinen Fläche früher bis zu acht Menschen gelebt haben.

Doch genau so war es, erzählen mir Edeltraud, Marliese und Peter vom Heimatverein Tiefenbach. In mühevoller Arbeit haben Sie zusammen mit Ihren Mitstreitern das kleine Haus in einen Zustand versetzt, der den dörflichen Alltag vor etwa 100 Jahren widerspiegelt. Alles hier ist echt, alles authentisch… von der Meerschaumpfeife und der filigranen Lesebrille auf dem Esstisch bis hin zum Herdwasserschiffchen auf dem Kohleofen. In aufwendiger Recherche hat der Verein die Vergangenheit des Hauses recherchiert, die Lebensumstände der Menschen die einst hier gewohnt und gewirkt haben rekonstruiert. Das eine Bett hat sich damals die ganze Familie geteilt, die kleine Kammer wurde sogar an einen Schneider untervermietet. Die weit über 90 jährige Nachbarin erinnert sich noch gut daran, wie der Mann im typischen Schneidersitz auf dem kleinen Tisch in der Stube saß und dort seinem Tagewerk nachging.

Nur der Ofen in der Küche sorgte für etwas Wärme im Winter, oft war es dennoch bitterkalt in der kleinen Wohnstube. Zusammenrücken war nicht nur aufgrund der beengten Platzverhältnisse unabdingbar, sondern auch eine pure Notwendigkeit, um warm zu bleiben. “Das war bei uns zu Hause nicht anders” erzählt Edeltraud.. “wir Kinder haben direkt auf dem Dachboden unter den Schindeln geschlafen, im Winter kondensierte der Atem und auf der Decke bildete sich Raureif” erinnert sich die Odenheimerin, die es für die Vereinsarbeit fast täglich nach Tiefenbach zieht.

Auch die Rahmenbedingungen des Lebens in der Hofgasse, kann sich heute kaum noch jemand vorstellen. Es gab keine Elektrizität im Dorf, keinen Anschluss an eine Wasserversorgung oder Abwasserkanäle. Die Straßen waren nicht gepflastert, mutierten an Regentagen zu echten Schlampisten. Um die Familie über Wasser zu halten, setzte man in der Hofgasse Nummer 20 auch auf einen Gemüsegarten auf engstem Raum, hielt ein paar Ziegen im kleinen Stall und unter der Treppe – in einem winzigen Verschlag eingepfercht – wurde die Sau gemästet.

Ja, es waren einfache Tage damals in Tiefenbach und dennoch lassen Marliese und Peter nichts auf die Vergangenheit kommen. “Es gab zwar viel mehr Arbeit zu verrichten, dafür aber weniger Stress und Druck zu erdulden” erzählt Marliese. “Der Zusammenhalt im Dorf war einfach enger als heute” ergänzt Peter. Alles hat sich damals im Dorf abgespielt. Es gab mehrere Metzger, mehrere Bäcker, abends traf man sich in den beiden großen Gastwirtschaften im Dorf, dem Ochsen und der Krone. Gerade einmal rund 600 Menschen lebten damals in Tiefenbach, die katholische Gemeinde war durch und durch landwirtschaftlich geprägt, ebenso durch den Weinbau. Es gab Küfer, Schmiede, Winzer und jede Menge Bauern im Dorf… bodenständige Handwerksberufe, von denen es nicht alle in die Neuzeit geschafft haben.

Hier in der Hofgasse Nummer 20 wird das Tiefenbach von damals wieder lebendig. Trotz der Enge in denen kleinen Zimmern mit den tiefhängenden Decken fühlt man sich dennoch unwillkürlich wohl. Das geht auch Marlies Edeltraud und Peter so… Sie verbringen viel Zeit in ihrer Heimatstube, arbeiten immer daran sie in Schuss zu halten, etwas zu ergänzen, beständig an ihrer Authentizität zu feilen. Wenn sie dann in der kleinen Stube Platz nehmen, sich einen Muckefuck aufgießen und an den alten Porzellantassen nippen, fühlen sie sich ruhig und geerdet. “Do kannsch runnerfahre” lachen Sie und räkeln sich auf den knarrenden Holzstühlen.

Der Heimatverein Tiefenbach wird von den Menschen im Dorf geschätzt und geachtet. Erkleckliche Spendenaufkommen stehen für diesen Zuspruch. Spenden, die nach dem Willen des Vereins aus dem Dorf und für das Dorf sind. Mit dem Geld sorgen sie dafür, dass die Tiefenbacher Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät, sie organisieren Veranstaltungen und erschaffen Orte der Erinnerung. Neben der Heimatstube wäre das vor allem die beständige Instandhaltung der Tiefenbacher Kapelle, ein kleines Stück der einstigen Nebenbahn, auf der der Entenköpfer durch das Dorf fuhr, Ruhebänke für Wanderer und die Weihnachtsdekoration in der Adventszeit.

Manch einer mag hier verklärte Nostalgie oder gar Rückwärtsgewandtheit wittern, doch damit täte man den Ehrenamtlichen des Heimatvereins Unrecht. Es geht vielmehr darum die Vergangenheit zu bewahren, sie nicht zu verklären. Ferner aus ihr zu lernen und in Achtsamkeit aus ihr Lehren für die Zukunft und die Gegenwart abzuleiten.

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