Vor 50 Jahren wurde Eichelberg ein Teil Östringens, doch die Geschichte des kleinen Kraichgaudorfes reicht viel weiter
Eichelberg im Frühjahr 2022. Still und schläfrig döst das alte Rathaus der kleinen Gemeinde in der kalten Januar-Sonne vor sich hin. Seit der kleine Ort 1972 bei der baden-württembergischen Gemeindegebietsreform ein Teil Östringens wurde, geht es hier nicht mehr ganz so betriebsam zu, wie noch zu Zeiten als Eichelberg eine eigenständige Gemeinde war. 1894 wurde das kleine Rathaus erbaut, steht allerdings auf deutlich älterem Fundament. Schon 1604 fand sich hier ein Gebäude des Odenheimer Ritterstifts.
Im Erdgeschoss hat Ortsvorsteher Joachim Zorn seinen kleines Büro. Zu festen Zeiten ist er hier für die Menschen aus dem Dorf erster Ansprechpartner, für – nun ja – so ziemlich alles. “Oft kommen sie aber gleich zu mir nach Hause” lacht der 63-Jährige, der seit 1999 das menschliche und politische Bindeglied nach “driwwe” ist. Die “do driwwe”, das sind die Östringer, mit denen man seit 50 Jahren zusammen mit den Odenheimern und den Tiefenbachern eine Stadt bildet.
Dabei war Östringen damals nicht gerade erste Wahl, erinnert sich Kurt Emmerich, der wie kein Zweiter im Dorf das geschichtliche und kulturelle Erbe Eichelbergs aufbereitet, bewahrt und in mehreren Büchern niedergeschrieben hat. Er muss es wissen, war er doch damals zu Zeiten der Fusion aktiver Gemeinderat im Dorf. “An Östringen dachte kein Mensch” erzählt der durch und durch liebenswerte und rüstige Senior, der schon seit rund 90 Jahren in seinem Eichelberg lebt, sogar hier geboren wurde. Er erinnert sich noch genau an das Geschacher und die Kuppelei landauf und landab im Baden-Württemberg der frühen 70er und an die heißen Diskussionen um das omnipräsente “Wer mit wem?”. Während Östringen sich ursprünglich nach Stuttgarter Willen mit den Ortsteilen des heutigen Bad Schönborn hätte zusammentun sollen, lag für Eichelberg eher der Zusammenschluss mit Odenheim und Neuenbürg nahe. Diskutiert wurde auch eine Allianz mit Tiefenbach, Elsenz, Hilsbach und Adelshofen. In alten Unterlagen finden sich sogar noch Hinweise auf ein, wenngleich sehr schnell verworfenes Modell, das eine gemeinsame Verwaltung der heutigen Östringer Ortsteile auf dem Schindelberg unter eben jenem Namen vorsah.
Doch bekanntlich kam es anders, heute ist Eichelberg ein Teil der Stadt Östringen und eines der kleinsten und eher unbekannten Dörfer unseres Hügellandes. Den Eichelbergern ist das aber ganz recht, man ist gerne unter sich, schätzt die Ruhe und die idyllische Lage zwischen dem Greifenberg, dem Wormsberg sowie dem Kapellenberg. Am Wochenende wimmelt es hier zwar vor Spaziergängern und Wanderern, unter der Woche liegt der kleine Ort aber meist ruhig und fast schon verlassen da. Joachim Zorn ist es fast schon zu ruhig, denn wie überall auch, hat auch hier die Corona-Pandemie und die vielfältigen Einschränkungen in ihrem Kielwasser, dem kleinen Ort das Leben aus den Adern gesaugt. Das Zusammensitzen, das Feiern, das Vereinsleben, alles liegt seit zwei Jahren brach und letztes Jahr – besonders schlimm für die kleine Gemeinde – hat mit der Krone die letzte Wirtschaft des Dorfes endgültig geschlossen. “Das war unser Dorfmittelpunkt, hier hat man sich getroffen, hier war jeden Abend etwas los” erzählt Joachim Zorn und erinnert sich an Zeiten, als es noch drei florierende Gaststätten in der nur wenige hundert Seelen zählenden Gemeinde gab. Eine davon, das Gasthaus Traube, gehörte Kurt Emmerichs Eltern. Er übernahm es zusammen mit dem kleinen Edeka-Laden im Erdgeschoss. Was aber in den 50er und 60er Jahren noch funktioniert haben mochte, wurde im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer schwieriger und so schloss er zuerst die Wirtsstube und später auch das Ladenlokal. Seinem Eichelberg ist er aber immer treu geblieben, hat in unzähligen Stunden dessen Geschichten und historische Begebenheiten niedergeschrieben, alles mit von hand gefertigten Illustrationen versehen. Ein kostbarer Schatz, dessen Detailtreue und Anekdoten ihresgleichen suchen.
Heute kaufen die Eichelberger entweder in Eppingen oder Östringen ein, für eine schnelle Erledigung auch im kleinen Markt im benachbarten Odenheim. Im Dorf selbst gibt es nur noch eine kleine Bäckereifiliale, die Werktags an den Vormittagen geöffnet hat. Der Alltag spielt sich längst nicht mehr im Ort ab, die Jungen besuchen Schulen im Umland, ausgegangen wird in Sinsheim. Das sein Eichelberg sich zum reinen Wohnort entwickelt, erfüllt Joachim Zorn mit Sorge. Der Kontakt zu den Neu-Eichelbergern in den Baugebieten der Gemeinde könnte besser sein, der Wegfall der letzten Gaststätte ist dabei alles andere als förderlich. Weil die Ur-Eichelberger aber zusammenhalten wo es nur geht, ist vorerst der Sportverein in die Bresche gesprungen und öffnet nun regelmäßig das Vereinsheim für ein Bier, ein Gläschen Wein oder auch mal eine heiße Bockwurst. Ein gemeinsamer Platz für alle Eichelberger entsteht auch gerade in der alten Ortsmitte. Das historische Schulhaus wird derzeit aufwendig zu einem Dorfgemeinschaftshaus umgebaut, das später allen EinwohnerInnen, insbesondere auch den Vereinen zur Verfügung stehen soll.
Wenn die zermürbende Pandemie endlich einmal ein Ende gefunden hat, ist es ein Angebot, das im Dorf bestimmt gut angenommen wird. Die Eichelberger kommen gerne zusammen, feiern fröhlich, ausgelassen und vor allem ausdauernd. Drei Tage dauert ihr Dorffest normalerweise, zieht Gäste aus dem gesamten Umland an und stärkt damit wieder Verbindungen, die durch den Wegfall der guten, alten Katzbachbahn anno 1960 weitestgehend verblasst sind. Das imposante Eisenbahn-Viadukt erinnert noch heute und diese goldenen Tage, als das kleine Eichelberg über die Schiene mit dem Rest der Welt verbunden war.
Und heute? Heute ist Eichelberg ein Dorf, dessen reichhaltige und bewegte Vergangenheit im scharfen Kontrast zu seinen Zukunftsaussichten steht. So sehr Kurt Emmerich und Joachim Zorn die Erinnerungen an die Historie ihres Eichelbergs bewahren, letzterer manchmal sogar in Gestalt seines alter ego „Joachim Graf von Greifenberg“, so seht sorgt man sich um das Morgen. Zusammen mit den Vereinen im Dorf kämpft der Ortsvorsteher – auch mit Unterstützung von “driwwe” aus der Hauptstadt – gegen das Ausbluten und für den Erhalt von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeitsgefühl. Ob es ihm gelingt, den Laden zusammenzuhalten…? Man würde es ihm und Eichelberg von ganzem Herzen wünschen.
Bin mit meinem Mann wieder zurück nach Eichelberg gezogen. Ich kenne viele alt Eingesessenen noch, aber auch viele jungen Familien durch Kindergarten und Co.
Als ich ihn dann doch mal zu einem Bier am Sportplatz überreden konnte wurde er aber gaaaanz genau angeguckt. Mittlerweile hat sich das aber auch gelegt.
Ganz normal, das gibt sich aber nach 30 bis 40 Jahren ;-)