Stadt präsentiert Pläne für Tunnel unter der B35 als Alternative zur Zerschneidung des Rotenbergs
Lärm und Verkehr im Kraichgau wo man nur hinsieht. Auf den hoch frequentierten Straßen in den Städten und Gemeinden des Hügellandes wälzt sich zu den Stoßzeiten eine nicht abreißende Blechlawine durch die Ortsdurchfahrten. Dass etwas geschehen muss, darin sind sich alle einig, über das “wie” gehen die Meinungen auseinander. Sind Umgehungsstraßen das Allheilmittel oder zerstören sie am Ende nur Natur und locken noch mehr Verkehr in die Region?
An der geplanten Umgehungsstraße durch Bruchsals grünen Osten scheiden sich jedenfalls schon seit mehreren Jahrzehnten die Geister. Die stark umstrittene Straße die Bruchsal von der Kreuzung der B3 und der B35 auf Höhe des Weingutes Klumpp über den Rotenberg und das Rohrbachtal bis zur B35 bei Heidelsheim umschließen soll, hat es vor einigen Jahren mysteriöserweise von 0 auf 100 auf die Prioritätenliste des Bundes, den sogenannten Bundesverkehrswegeplan geschafft. Bis 2025 soll die Planung für das Projekt, dem riesige Naturflächen zum Opfer fallen würden anlaufen.
Gegen den Bau der B35 Ost haben sich zuletzt nicht nur die Bruchsaler Politik sondern auch die Umweltschützer positioniert, denn die Folgen für Bruchsal wären weitreichend. Schaut man sich Bruchsal einmal auf der Karte an, so stellt man fest, dass von der ursprünglichen Naturlandschaft um die Stadt gar nicht so viel übrig geblieben ist. Im Westen wird sie von der A5 und der B35 belagert, im Süden haben Golfanlage und Bundeswehr große Teile der Grünflächen in Beschlag genommen und im Norden wären dann die Mülldeponie und die Gemeindegrenzen zu Ubstadt-Weiher und Forst.
Lediglich im Osten findet sich mit dem Rotenberg und dem Rohrbachtal das einzige verbleibende große Naherholungsgebiet der Stadt. Würde das Projekt aus dem Bundesverkehrswegeplan wie geplant durchgeführt werden, so entstünde hier bald eine viel befahrene Schnellstraße – mitten durch die unberührte Natur. Abgase, Lärm, ein enormer Flächenverbrauch würden diesen Lebensraum in Bruchsals Osten faktisch zerstören.
Mogelpackung Umgehungsstraße?
Ob die B35 Ost tatsächlich aber eine derart hohe Entlastungswirkung wie von Bund und Land in Aussicht gestellt bringen würde, darüber sind sich die Experten alles andere als einig. Viele sehen in ihr nichts anderes als den kaschierten Versuch durch eine neue Abkürzung die chronisch überlasteten Autobahnen A5 und A8 zu entlasten – zum Nachteil der Menschen in der Region. Sieht man die angedachten Umgehungen von Bruchsal, Bretten und Neulingen als ein Projekt an, so wird schnell klar warum das keine bloßen Verschwörungstheorien sind. Zusammen ergeben die Strecken nämlich eine neue Route Richtung Stuttgart bzw. Pforzheim, die primär dem Fernverkehr zugute käme. Dadurch würde die Verkehrsbelastung im Kraichgau sogar noch weiter anwachsen – die Menschen hier würden den Preis für eine Entlastung der Autobahnen bezahlen.
Stadt untersucht selbst mögliche Lösungen
In Bruchsal will man nicht nur Däumchen drehen und sich darauf verlassen, dass Regierungspräsidium und Verkehrsministerium schon eine zufriedenstellende Lösung finden werden, sondern selbst nach tragbaren Varianten für die Große Kreisstadt suchen. Die Stadtverwaltung hat deshalb in den letzten Monaten intensiv unterschiedliche Varianten untersuchen lassen, wie sich die Stadt künftig mit dem steigenden Verkehrsaufkommen arrangieren kann.
Untersucht wurden diverse Trassenführungen, neben der schon längst durch den Gemeinderat abgeschmetterten oberirdischen Ostumfahrung, auch ein möglicher paralleler Verlauf zu Schnellbahnstrecke Stuttgart-Mannheim und die Ertüchtigung der bestehenden B35. Auf einer Pressekonferenz am Dienstagvormittag stellten Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick, Stadtplaner Hartmut Ayerle und Vertreter der Beraterfirma Modus Consult nun mögliche Varianten vor und zogen dabei auch ein bisher verdeckt gebliebenes Ass aus dem Ärmel.
Ein Tunnel unter Bruchsal
Dieser neue Ansatz sieht den Bau eines Tunnels unter der bestehenden B35 in Bruchsal vor. Nach den Plänen könnte dieser Tunnel ab der Kreuzung B35/Schnabel-Henning-Straße (Höhe Lidl) unter der bisherigen Straße verlaufen, die Gleisanlagen und das Nadelöhr Prinz-Max-Kreuzung unterqueren und erst am Ortsrand wieder nach oben führen. Die oberirdische, “alte” B35 stünde dann dem innerörtlichen Verkehr zur Verfügung, wofür ihre Kapazitäten mehr als ausreichend wären. Zudem könnte damit die starre Abgrenzung von Südstadt und Weiherberg von der restlichen Stadt endlich entschärft werden. Die Pläne des Experten-Teams sehen den Bau mehrerer oberirdischer Kreisverkehre entlang des Tunnelverlaufs vor, die alle wichtigen Anschlusspunkte schaffen könnten, beispielsweise Richtung Stutensee oder zur B3 / Durlacher Straße. Die prognostizierte Entlastungswirkung fällt dabei markant aus – so würde der Tunnel rund 20.000 Fahrzeuge pro Tag aufnehmen können, die fortan nicht mehr oberirdisch durch die Stadt fahren müssten. Ebenfalls hervorgehoben werden müssen die positive Auswirkungen in Sachen Lärmschutz für alle angrenzenden, innerstädtischen Gebiete.
Keine Verkehrschaos durch Baustelle
Für alle die bereits jetzt langjährige und massive Belastungen durch die dazugehörigen Tunnelbauarbeiten fürchten, gibt es bereits heute Entwarnung. Da die Bauarbeiten mittels Tunnelbohrmaschinen komplett im Untergrund stattfinden würden, könnte der Verkehr auf der B35 während der Bauzeit weitestgehend ungestört fließen.
Zu klären wären bei dieser Variante dann noch eventuell, wie die Engstelle “Media-Markt Kreuzung” zu lösen wäre und wie man die Heidelsheimer und Helmsheimer effektiv vor der Lärmbelastung der bestehenden Trasse schützen könnte – beides aber durchaus lösbare Probleme, insbesondere letzteres will die Stadt entschlossen in Angriff nehmen.
Nur ein Schachzug von vielen
Heute Abend bereits soll der Bruchsaler Gemeinderat darüber abstimmen, ob man diese Variante aktiv bei den planenden Instanzen vorantreiben wird. Vertreter des Regierungspräsidiums werden bei der Sitzung zugegen sein, bisherige Gespräche zur neuen Tunnel-Variante seien aufgeschlossen geführt worden, so Cornelia Petzold-Schick. Zwar liegt die Entscheidung in Sachen B35 schlussendlich nicht beim Gemeinderat, jedoch wiegen die Stimmen des Gremiums und der Stadtverwaltung schwer. Zudem hat man sich zu Beginn der Gespräche vor einigen Jahren auf einen kooperativen Planungsprozess geeinigt. Nach Einschätzung mehrerer Bundes- und Landespolitiker gegenüber unserer Redaktion in der Vergangenheit, ist nicht davon auszugehen dass Umgehungs- oder Ausbaupläne gegen den expliziten Willen der Stadt vorangetrieben werden. Das Tauziehen um die Bruchsaler Umgehung ist jedoch lange noch nicht vorbei. Der schwierige, langwierige und komplexe Prozess hat im Grunde gerade erst begonnen.
UPDATE: Der Bruchsaler Gemeinderat hat sich am Abend einstimmig für die Tunnel-Variante ausgesprochen.
Kommentar: Der Bruchsaler Tunnel wäre die einzig vernünftige Lösung
Mit der Präsentation der erarbeiteten Tunnel-Variante unter der bestehenden B35 hinweg, hat Bruchsal einen echten Treffer gelandet und selbst die Zügel in die Hand genommen, anstatt sich einfach passiv den Plänen des Bundes zu fügen. Ob diese Pläne nämlich primär dem Wohl der Menschen in der Region zugute kämen, kann angesichts der erdrückenden Indizienlage offen bezweifelt werden. Die plötzliche Heraufstufung der Ortsumfahrungen von Bruchsal, Bretten und Bauschlott von “absolut aussichtslos” auf die höchste Priorität im Bundesverkehrswegeplan und die sich daraus ergebende Trassenführung, die einen effektiven Bypass zur A8 bewirken würde, sprechen eine klare Sprache. Die Bruchsaler Tunnellösung bringt genau jenen Vorteil, der vordergründig für die Umgehung Bruchsals angeführt wird – die Entlastung der Bruchsaler Innenstadt. Sollte Berlin mit der Tunnel-Variante nicht einverstanden sein und dennoch auf die Ostumfahrung pochen, liegen zumindest die Karten aufgedeckt auf dem Tisch. Dann wäre unverhohlen klar, dass es im Grunde gar nicht um Bruchsal geht, sondern um die Entlastung der chronisch überlasteten Autobahnen im Südwesten. Für ein solches Szenario stünde Bruchsal aber nicht zur Verfügung, hier haben sich Stadtverwaltung und Gemeinderat bereits klar positioniert. Das ist nicht nur gut für Bruchsal, sondern auch für den ganzen Kraichgau, der nicht zur Transitstrecke für den überregionalen Schwerlastverkehr degradiert würde. Auch das unvermeidbar aufkommende Argument der hohen Kosten durch den Tunnelbau, ist doch im Grunde keines. Schaut man sich an wie viele Milliarden und Abermilliarden Verkehrsprojekte – nicht nur im Südwesten – sondern im ganzen Bundesgebiet verschlingen, darf man durchaus die Frage stellen warum Bruchsal nicht auch entsprechende Mittel zustehen sollten. Hier darf und sollte man durchaus selbstbewusst und kampfbereit auftreten, eben genau mit jenen Signalen die Bruchsal nun mit der Tunnel-Variante gesetzt hat.
Stephan Gilliar, Herausgeber Hügelhelden.de