Emmas Erben

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In Diefenbach haben Jenny und Melanie den einstigen Tante-Emma-Laden des Dorfes ökologisch und nachhaltig aufgewertet und um ein wunderschönes Café erweitert. Ein strahlender Leuchtturm dörflichen Engagements, dessen Licht jedoch längst nicht jeder sieht.

Als ich das letzte Mal in Diefenbach war, stand auf der Fassade des alten Eckhauses – dort, wo die kleine Sternenfelser Straße von der Mühlacker Straße abgeht – tatsächlich noch das Wort „Tante-Emma-Laden“ geschrieben. Das war seinerzeit keineswegs ein gefälliges Schmücken mit nostalgischen Federn, sondern tatsächlich der Tatsache geschuldet, dass die erste Betreiberin des kleinen Ladens in Diefenbach wirklich und wahrhaftig Emma hieß. Auf sie folgte die alte Frau Falk, meine einzige und wahre Emma, bei der ich jeden Morgen als Schüler der nahen freien Schule Brötchen für den Pausendienst kaufte. Jeden Morgen stand ich mit meinem Kumpel Philipp auf der Matte, und jeden Morgen hatten wir die weiße Jutetasche vergessen, die wir eigentlich zum Befüllen mitbringen sollten. Frau Falk hat immer ein bisschen geschimpft, dabei aber über beide Ohren gegrinst – sie kannte uns, ihre beiden Pappenheimer, eben zu gut.

Das ist, ich traue es mich gar nicht zu sagen, rund 30 Jahre her. Mittlerweile bin ich ein erwachsener Mann, und trotzdem glühen mir die Wangen, als ich an diesem kalten Novembertag das erste Mal seit so langer Zeit wieder den alten Laden betrete. Vieles hat sich geändert und doch wieder nicht. Dennoch – alles, was ich sehe, gefällt mir auf Anhieb, denn alles hier strahlt vor allem eines aus: ganz viel Liebe. Hinter der Theke (die irgendwann in den letzten drei Jahrzehnten von der einen Seite auf die andere Seite des Ladens gewandert sein muss) stehen Jenny, Melanie und Marlene und freuen sich über meinen Besuch. Sie stehen für 50 Prozent der Speisekammer-Besatzung. Auf diesen Namen haben sie das kleine Ladencafé oder den kleinen Kaffeeladen – wie auch immer – getauft. Vor fünf Jahren hat sich Jenny, deren beide Kinder wie ich damals die freie Schule besuchen, in Diefenbach verliebt und beschlossen zu bleiben. Das kann man ihr nicht verübeln, Diefenbach ist in der Tat ein ganz besonderes Dorf: idyllisch gelegen, mit einer sehr lebendigen Dorfgemeinschaft, die mitunter auch durch den anthroposophischen Gedanken der freien Schule geprägt wurde. Es gibt viele künstlerische Strömungen im Ort, die sich einmal im Jahr beim „Lebendigen Kunsthandwerk“ offenbaren, dazu reichlich alternative Ansätze und Lebensentwürfe in den verwinkelten kleinen Gassen der 880-Seelen-Gemeinde, die seit Anfang der Siebziger zum benachbarten Sternenfels gehört.

Die Speisekammer spiegelt diese alternativen Ansätze ein Stück weit wider, auch die künstlerischen Aspekte, das Weiche und das Runde. Alles ist hier sehr ästhetisch und liebevoll gestaltet. Sei es der Preishinweis auf einem alten Kuchenblech, das Obst auf einer alten Etagere von Omas Kaffeetisch, die Speisekarte auf einem hölzernen Klemmbrett aus geschöpftem Papier oder all die vielen anderen, unzähligen Kleinigkeiten, die keine andere Aufgabe erfüllen, als das Auge zu erfreuen. Die Speisekammer ist aber nicht nur Schein, dahinter steckt auch wirklich das Sein. Nahezu alle Produkte stammen aus verantwortungsvollen und nachhaltigen Quellen, sehr vieles direkt aus der Region. Stangenware aus dem Discounter-Sortiment gibt es hier schlicht und einfach nicht. Wer hier beispielsweise Obst, Gemüse, Backwaren oder Milchprodukte einkauft, kann sicher sein, dass sein Einkauf hohen ökologischen Standards entspricht.

Doch so schön der kleine Laden auch sein mag, das Café in dessen Hinterzimmer – früher übrigens einmal der ursprüngliche Verkaufsraum des Tante-Emma-Ladens – ist fast noch ein bisschen schöner. Hier stehen ein paar gemütliche kleine Tische mit Korbstühlen und weichen Polstern Seite an Seite. Auf den Tischplatten liegen ein paar regionale Boten aus der Natur rund um Diefenbach: Kastanien im Herbst, Mistelzweige in der Vorweihnachtszeit, dazu Reisig und Tannenzapfen. Das Licht scheint weich durch papierene Lampions und pastellfarbene Kerzen. An den alten Sprossenfenstern schimmert trüb der Herbsttag durch handgemachte Weihnachtssterne. Kurzum: Man kommt rein und fühlt sich einfach sofort wohl.

Auch die kulinarische Seite des kleinen Cafés muss sich hinter allem nicht verstecken. Vor ein paar Jahren haben die Damen eine teure Espressomaschine aus Italien angeschafft. Diese sorgt für die passenden Heißgetränke. Dazu gibt es hausgemachten Kuchen und – ganz besonders beliebt – eine Frühstückskarte, die man in dieser Art sonst nirgends findet. Darauf finden sich kleine Kunstwerke, die man zunächst ganz ehrfürchtig überhaupt nicht anrühren möchte, so schön sind sie arrangiert: liebevoll drapierte Brote mit Apfelstücken, Nüssen, Avocado, roter Beete, zart schmelzendem Käse und sogar ein paar Blütenblättern. Nicht minder kunstvoll gearbeitet sind die Torten und Kuchen mit zum Beispiel Feigen, dunkler Schokolade, Beeren, ein paar Gewürzen, Krokant und mehr.

All das klingt schön, finden Sie nicht auch? Vielleicht schon fast zu schön, um wahr zu sein. Man darf sicher sein: Wäre die Speisekammer in – sagen wir – einem alternativen Viertel einer Studentenstadt angesiedelt, könnte sie sich vor Gästen nicht retten. Doch das ist sie eben nicht. Sie befindet sich mitten in einem nicht einmal 900 Einwohner starken Dörfchen im Enzkreis. Und so wohlwollend Teile der Diefenbacher Bevölkerung ihrer Speisekammer gegenüber auch aufgestellt sein mögen, so wenig reicht diese Laufkundschaft zum Leben. Fünf Jahre halten Jenny und Melanie bereits durch, kämpfen seither täglich um ihre Idee, ihr kleines Herzensprojekt. Zusammengehalten wird ihr kleines Ladencafé im Grunde durch Engagement, Durchhaltevermögen, Schweiß, Spucke und reichlich Herzblut. Geldsorgen sind im Grunde ihre täglichen Begleiter, denn bislang schaffte es die Speisekammer nicht, nachhaltig und dauerhaft auf einen sicheren und stabilen Ast zu klettern. Corona hat dabei nicht geholfen, wie sich sicher jeder unschwer vorstellen kann. Monatelang war das kleine Café geschlossen, nur der Laden hielt das Schiff ganz knapp über der Wasseroberfläche. Doch auch seither bleibt es schwierig, den Kahn auf Kurs zu halten, um dieses maritime Bild weiter zu bemühen. Jeder, der schon mal im Einzelhandel oder in der Gastronomie gearbeitet hat, weiß genau, welche massiven Fixkosten hier anfallen, ob nun Kundschaft kommt oder nicht. Personal muss bereitgehalten werden, frische Ware ebenso, alles mit knappen und scharf umrissenen Ablaufdaten. Die Lichter müssen den ganzen Tag über brennen, die Heizung durchlaufen – niemand will in Dunkelheit oder in Kälte sitzen.

Jenny und Melanie jedenfalls wollen weiterkämpfen, denn die Speisekammer ist nicht einfach nur irgendein Arbeitsplatz, sie ist ihr gemeinsames Stückchen Erde, auf dem sie sich wohlfühlen und für dessen Gedeih und Erhalt sie sich einsetzen wollen. Weiß Gott, die beiden und ihr Projekt hätten es wahrlich verdient. Eine derart schöne Idee, ein derart schönes Konzept sollte und muss überleben: ein Ort zum Wohlfühlen, eine kleine Insel der Behaglichkeit inmitten der oft eisigen Stürme dieser Zeit.

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7 Gedanken zu „Emmas Erben“

  1. Vielen Dank für die schöne Reportage. Ich bin schon oft dran vorbei gefahren. Aber wenn man was liest dann sieht das doch anders aus. Die beiden Frauen brauchen sicher einen langen Atem. Ich drücke hierzu meine Daumen.

  2. So schön beschrieben, vielen Dank. Wir freuen uns sehr dieses Schmuckstück bei uns in der Nähe zu haben und genießen besonders die hausgemachten Kuchen dort. Wenn es zeitlich passt freue ich mich auch bei den sehr interessanten Veranstaltungen teilzunehmen. Malen, Spielen, Whiskey Proben und mehr.

  3. Dienstag und Freitag gibt’s zusätzlich wunderbares, originelles, hervorragendes vegetarisches Mittagessen , wöchentlich wechselnde auf Vorbestellung.

  4. Fast jedes Mal, wenn ich aus der Schweiz zu Besuch im Kraichgau bin, gehört für mich ein Besuch in der Speisekammer dazu. Und wenn ich Glück habe, haben sie sogar gerade leckeren selbstgemachten veganen Apfelkuchen ☺️

  5. Was noch dazu kommt ist, dass sich die Winzergenossenschaft im Sommer aufgelöst hat, also wieder ein Frequenzbringer weniger. Bleibt zusätzlich nur die Genußscheune alle 4 Wochen in der wärmeren Jahreszeit.

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