Meinung
Ein wütender Brief von einem noch wütenderen Thomas Gerstner
Bitte gestattet mir nach Euren mehr als tausend Attacken auf Flüchtlingsheime und den bemerkenswerten Vorfällen der vergangenen Tage in Bautzen und Clausnitz ein paar offene Worte. Ich weiß, ich weiß – es ist keine leichte Zeit ein Deutscher oder gar in der größeren Zoom-Stufe ein Europäer zu sein. Irgendwie haben wir es all die Jahre geschafft in dem Glauben durchs Leben zu gehen, dass in unserer süßen, kleinen Ecke der Welt doch noch alles im Großen und Ganzen gut ist. Krisen waren so schön weit weg und tauchten nur zwischen 20 Uhr und 20:15 Uhr kurz am Rande der bewussten Wahrnehmung auf. Die Globalisierung war auch bisher eine feine Sache. Wir haben uns alle Vorteile herausgepickt, fleißig online bestellt, Billig-Reisen nach Santa die Bumsbums angetreten und leckere Bananen aus Ecuador gemampft. Dass unsere Hemden, Smartphones und Südfrüchte auf dem Rücken der Ärmsten der Armen hergestellt wurden – geschenkt. Tun wir bloß nicht so, als wüssten wir nichts davon. Eine Jeans bei Kack und Co. für 5 Euro? Keine Frage – alles koscher. Es ist doch so weit weg, was habe ich denn bitte damit zu tun? Aus den Augen aus dem Sinn. Denkt sich wohl auch unsere Regierung und verkauft fleißig Kriegswaffen an fragwürdige Kundschaft überall auf dem Planeten, oder handelt und klüngelt fröhlich mit Ländern die ihre eigenen Bürger routiniert hinwegmeucheln.
Wer konnte denn ahnen dass ein solches Verhalten irgendwann auf uns zurückfällt? Dass der Strom irgendwann zu denen zurückfließt, die Tag für Tag die Welt nach Ihren Bedürfnissen neu verdrahten?? Doch nun ist sie da – die erste so richtig doll große Krise seit…na ja, seit schon gaaanz lange. Und was macht der europäische Wohlstandsverein? Er versagt auf ganzer Linie. Vom Präsidentenkanzlerkönig bis hin zum Schuhputzer schlägt den Verlierern jahrelang praktizierter globaler Schande nur Misstrauen, Argwohn und Hass entgegen. Und da sind wir wieder bei Euch, liebe Schlechtmenschen.
Ich dachte bislang immer, strohdumme und degenerierte Hinterwäldler gäbe es nur in amerikanischen Slasher-Filmen. Sie wissen schon, die die Studenten auf Campingreisen kidnappen und ihre Gehirne in Einmachgläsern aufbewahren. Doch ganz offenbar gibt es diese Perlen der Schöpfung auch hierzulande. Geifernde Horden die geflüchtete Familien nach 3000 Kilometer Höllentrip zur Begrüßung anfeinden, angröhlen und verhöhnen. Oder solche die vor brennenden Flüchtlingsunterkünften stehen und johlend Beifall klatschen. Heidenau, Freital, Bautzen, Clausnitz… wie ich mich für Euch schäme.
Doch wieso…warum… ??? Ich zermartere mir das Hirn, aber ich komme nicht darauf was bei Euch falsch gelaufen ist? Vielleicht fehlt mir auch einfach das Einfühlungsvermögen…vielleicht weil ich nicht nach der Grundschule hingeschmissen habe oder weil mein Vater und mein Bruder nicht die gleiche Person sind??? I don´t know – ich weiß es nicht. Aber dass Ihr mit der Entehrung des einstmals bedeutungsvollen Satzes: Wir sind das Volk, auch alle Anderen mit reinreißt, das geht so gar nicht. Denn oh ja, es gibt die andere Seite. Jene die sich nicht immer vom ersten Impuls überwältigen und mitreißen lassen. Jene die in sich gehen und eigene Gedanken anstellen. Genau das ist übrigens meine ureigene Definition von Intelligenz. Die Fähigkeit die eigene Position in Frage zu stellen, das eigene Handeln reflektiert wahrzunehmen. Dazu seid Ihr Vollhonks doch gar nicht in der Lage. Für Euch sind es immer die einfachsten Parolen die ziehen. Es haben immer die Anderen Schuld an Euren Problemen. Und wenn Euch nicht gefällt was Ihr zu hören bekommt?Dann wird einfach alles und jeder als Vertreter der Lügenpresse und Volksverräter-Politik gebrandmarkt – schon kann man alle störenden Gegenstimmen getrost ignorieren. Wenn ihr diese möglichst laut niederschreit, dann müsst ihr vielleicht nicht mehr das hohle Heulen des Windes zwischen Euren Ohren hören. Genau hier packen Euch dann auch die politischen Rattenfänger. Sie bieten Euch die einfachen Antworten die Ihr hören wollt, auch wenn Sie (möglicherweise) genau wissen, dass diese in der politischen Realität keinen Pfifferling wert sind.
Wir leben in einer höchst komplizierten Welt – in dieser Welt gibt es keine einfachen Antworten auf ultra-komplexe Probleme. Jeder der Euch das erzählen will, ist schlicht ein Lügner.
Nicht das wir uns falsch verstehen – ich fände es auch klasse wenn wir nur drei Knöpfe drücken müssten um alles in Ordnung zu bringen… doch es macht keinen Sinn die Realität einfach komplett auszublenden. Realität ist: Weil in Syrien und drumherum gerade diverse Vereine Bomb-den-Lukas spielen, stirbt dort bald der 500.000 Mensch. Viele die – aus welchem Grund auch immer – keine Lust haben die Million vollzumachen, verlassen die zerbombte Mondlandschaft die einmal ihre Heimat war und fliehen. Wenn Sie dann nach einer Wahnsinns-Odyssee endlich in unserem Land eintreffen, sollten Sie nicht von abgestumpften und verrohten Idioten begrüßt werden, sondern in erster Linie unsere Solidarität erwarten dürfen.