Närrisch zur rechten Zeit

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Die Narren in der Region starten in ihre neue Saison, selten war ihr Auftrag so wichtig.

Da kommen sie mit Pauken und Trompeten um die Ecke, grün und weiß leuchten ihre Kostüme schon von weitem durch das triste Grau dieses nebligen Novembernachmittags. Wie eine Lawine der guten Laune ergießen sich die Musikanten der Hardtseegugga auf den Vorhof der kleinen Mehrzweckhalle am Schulzentrum Ubstadt-Weiher, lassen dabei ein paar gut gealterte Partykracher der letzten Jahrzehnte ertönen. Das lässt niemanden kalt – nicht die vielen Menschen, die eigens an diesem Samstagnachmittag hierher gepilgert sind, nicht Bürgermeister Tony Löffler, nicht Graf Kuno aus Bruchsal und selbstredend nicht die schockrosa-gewandeten Elferräte, die erwartungsvoll auf der Stirnseite des Hofes Aufstellung genommen haben. Elektrisierend schallt die fröhliche Blasmusik über den Platz, wird von den Betonwänden der Halle zurückgeworfen, verteilt sich lautstark über die Szenerie. Überall heben sich Mundwinkel, zucken Gliedmaßen im schmetternden Takt der Musik, und jeder weiß es, spürt es: Es ist wieder Fasnacht.

Nie zuvor war diese so wichtig wie in diesen Tagen. Nach wochenlangem Sperrfeuer desaströser Nachrichten, der Hoffnungslosigkeit und hier und da schon einem Hauch von Endzeitstimmung brauchen wir alle etwas Fröhlichkeit, etwas Sorglosigkeit und etwas Unbeschwertheit. Inmitten dieser Kakophonie aus Bitterkeit, Hiobsbotschaften aus aller Welt und dem allgegenwärtigen Getöse ist ein vertrautes und liebgewonnenes Ritual wie heilender Balsam auf die Seele. Die Fasnacht mag nicht jeden begeistern, manch einer sieht in ihr nur aufgesetzte Heiterkeit, doch das, was sich an diesem Samstagnachmittag hier in Ubstadt ereignet, ist in keinster Weise aufgesetzt. Egal, wo man hinsieht, fröhliche Gesichter, die sich nach Freude und Geselligkeit sehnen. Dabei ist der Ablauf der alljährlichen Kampagnen-Eröffnung im Grunde immer gleich. In groben, zotigen Reimen verkünden die Narren des Elferrats den Start der fünften Jahreszeit, verlesen im Brustton der Überzeugung ihre herrlich unbeholfenen Paarreime Richtung Bürgermeister Tony Löffler, der seinerseits in nicht minder wackeligem Versmaß erwidert. Kleine Kostprobe gefällig? Nun denn, here we go: „Darum an unseren Bürgermeister von mir ein Rat, halt mir bei guter Laune den Elferrat. Mach ihm Geschenke groß und klein, sonst wird der Rathaussturm ganz furchtbar sein.“ Das würde jetzt einen Goethe oder einen Schiller nicht unbedingt in Existenznöte bringen, aber es geht hier schließlich nicht um große Poesie, es geht um den ganz großen Spaß. Der wird im Falle des Elferrats Ubstadt-Weiher in der kommenden Saison übrigens antike Ausmaße annehmen. Das diesjährige Motto der Kampagne lautet allenthalben: „Römer, Griechen, Pharaonen, in der Antike will der Esel thronen.“ Das geht doch runter wie Öl, finden Sie nicht?

Ja, Fasnacht ist ein bisschen Realitätsflucht, und verdammt, warum denn bitte auch nicht? Wir beschäftigen uns Tag für Tag mit der Realität, mit den Regeln dieser komplizierten Welt, mit ihren Tücken und ihren Wirren, die wir manchmal kaum noch begreifen können. Was bitteschön ist dagegen einzuwenden, sich von diesen nicht selten belastenden Momenten eine kurze Auszeit zu nehmen, in ein Kostüm zu schlüpfen und untergehakt mit all den anderen, denen es genauso geht, ein paar schöne Stunden zu erleben? Gerade in diesem Winter, in dem wir so viel Unsicherheit, so viel Unheilvollem und Ungewissem entgegensehen – sei es hierzulande, aber auch weltweit – schadet ein bisschen Seite-an-Seite und etwas trotzige Unbeschwertheit doch ganz sicher nicht. Oder wie die Ubstadter Narren es so hochgradig lyrisch auf den Punkt bringen: „… Doch heute wollen wir lachen, schunkeln, singen und Freude in den grauen Alltag bringen.“ Von uns aus gerne, Freunde, lasst es krachen und ein dreifach donnerndes: „Helau – I-Ah!“

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