Kann denn Tuning Sünde sein?

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Fünf Autofreunde aus Karlsdorf-Neuthard wehren sich dagegen, beständig mit Posern und Rasern in einen Topf geworfen zu werden

Samstagmorgen in Karlsdorf Neuthard. Es ist heiß, verdammt heiß, schon gegen 11 Uhr liegt die Temperatur in der kleinen Hinterhofwerkstatt ein ganzes Stück über 30 Grad. Dort wo normalerweise Autos auf der Hebebühne stehen, hat sich um mich herum ein kleiner Kreis gebildet. Annika aus Kronau, Marcel aus Karlsdorf, Manuel aus Hambrücken, Steven aus Östringen und Marcel aus Spöck. Wie man so hört, gehören Sie alle zum Kreis des ultimativen Bösen… egozentrische Parasiten die es möglichst schnell aus dem Verkehr zu ziehen gilt und die unser aller Verachtung verdienen.

Interview in der Autowerkstatt

Glaubt man unzähligen, sensationsheischenden Schlagzeilen der Medien und dem kollektiven Geheule an Stammtischen und in den sozialen Netzwerken, gehören diese fünf Freunde zum Bodensatz der Gesellschaft, denn alle fünf sind leidenschaftliche Tuner – ein Hobby das entgegen landläufiger Meinung und Klischees völlig legitim ist und das es bereits seit rund 70 Jahren gibt, als 1953 der erste Spoiler auf einen VW Käfer montiert wurde.

Tuning. In aller erster Linie bedeutet das erst einmal, dass Annika, Manuel, Steven und die beiden Marcels, große Auto Enthusiasten sind, die ihre Fahrzeuge und noch mehr die Arbeit an ihnen lieben. Aus dem Englischen übersetzt bedeutet Tuning “Abstimmen, in Einklang bringen” – ein Prozedere, dass die fünf individuell und unterschiedlich interpretieren. Steven z.b. ist ein Performance-Tuner. Wenn er an seinem grell-orangenen, aus Asien importierten Fahrzeug tüftelt, geht es ihm also in erster Linie um Motorleistung und Geschwindigkeit. Marcel wiederum hat sich der Tuner-Sparte “Show and Shine” verschrieben – für Ihn ist die Optik maßgebend. Sein metallic-goldener Golf mit feinsten Ledersitzen und quasi makellosem Teint ist sein ein und alles. Während ein kleiner Macken in der Karosserie Steven nur ein gelassenes Achselzucken entlockt, kann Marcel so lange nicht schlafen bis der kleine Makel vollständig behoben wurde.

Marcel in seinem VW

Zwei völlig unterschiedliche Herangehensweisen und Geschichten und doch im Grunde eine Familie. Als Tuner geht es den Freunden nur um die Leidenschaft für ihre Fahrzeuge, das Miteinander, das Tüfteln, das Fachsimpeln und natürlich das gemeinschaftliche Schrauben und Werkeln an ihren Augäpfeln auf vier Rädern. Bei ihren Autos handelt es sich nicht um normale Alltagsfahrzeuge, keiner von ihnen würde je auf die Idee kommen damit am Samstag zum Globus zu düsen und den Kofferraum mit Getränkekästen zu beladen. Diese Schmuckstücke führt man nur hin und wieder zu gemeinsamen Treffen aus, wo im kleinen oder großen Kreis gefachsimpelt und diskutiert werden kann.

Steven in seinem Rechtslenker aus Asien

Was ein Tuner mit Herz, Hirn und Verstand aber niemals tun würde, ist mit quietschenden Reifen, dröhnendem Motor und lautstarken Kavalierstarts durch die Stadt zu rasen und seine Mitmenschen zu belästigen. Das ist in erster Linie das Gebaren der sogenannten “Poser” – vornehmlich Halbstarke die mit stark motorisierten Luxus-Karossen aus dem gehobenen Segment, mit extravaganter Fahrweise versuchen Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Nicht selten drehen Sie dabei immer wieder dieselben Runden durch die Innenstadt um mit reichlich Lautstärke und Getue im Mittelpunkt zu stehen. Besonders in den Städten hat das Auftreten der Poser mittlerweile bedenkliche Dimensionen angenommen, aus Mannheim beispielsweise erreichen uns sehr regelmäßig Polizeiberichte, die sich viel zu oft mit diesem Klientel befassen.

Über diese Szene ärgern sich die fünf Freunde aus Karlsdorf Neuthard regelmäßig – ganz besonders aber deswegen, weil Sie in der öffentlichen Wahrnehmung mit den Posern und Rasern in einen Topf geworfen werden. Wer das Wort Tuner beispielsweise in der Nachrichten-Suche von Google eingibt, bekommt tatsächlich jede Menge Berichte serviert, in denen der Begriff Schulter an Schulter mit Posern und Rasern genannt wird. Bei den Menschen hat diese einseitige Berichterstattung bereits Spuren hinterlassen, erzählen die Karlsdorfer Tuner unisono. In den Augen mancher Mitbürger steht ein getuntes Auto für illegale Wettrennen in der Großstadt, bei denen auch hin und wieder Unschuldige zu Schaden kommen, für Lärmbelästigung und moralische Verdorbenheit.

Manuel in seinem Schatz

“Klar, es gibt auch bei uns in der Szene schwarze Schafe, das ist so”, erzählt mir Manuel in unserem zweistündigen Gespräch. “Die absolute Mehrheit von uns will aber einfach nur eine gute Zeit miteinander und den Autos haben und niemandem auf die Nerven fallen”.

Wegen der schwarzen Schafe, der weiter anwachsenden Poser Szene und der aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung, wächst offenbar auch der Druck auf die Polizei. In groß angelegten und mitunter auch öffentlichkeitswirksam inszenierten Kontrollen, gehen die Behörden konzertiert gegen mögliche Sünder vor. Erst kürzlich fand eine groß angelegte Kontrolle in einem Bruchsaler Gewerbegebiet statt, bei denen mehrere Fahrzeuge komplett aus dem Verkehr gezogen und stillgelegt wurden. “Da waren manche dabei, bei denen das auch völlig in Ordnung ging und die tatsächlich viele Regeln gebrochen hatten”, berichtet Manuel, der an besagtem Abend auch vor Ort war. Was ihn aber traurig macht, ist die absolute Null Toleranz Politik und die unerbittliche Härte, mit denen manche Beamte vor Ort agierten. “Obwohl viele Fahrzeuge komplett vom TÜV abgenommen und sämtliche Teile eingetragen und schriftlich dokumentiert waren, haben die Prüfer vor Ort akribisch nach kleinsten Fehlern gesucht, die bei einer normalen Verkehrskontrolle wohl kaum eine große Rolle gespielt hätten, berichten mir die fünf Freunde sichtlich frustriert.

Was die Karlsdorfer Tuner sich wünschen, klingt alles andere als an den Haaren herbeigezogen. Es geht um mehr Respekt, die Fähigkeit zu abstrahieren und nicht alle ohne nachzudenken über einen Kamm zu scheren. Deswegen suchen Sie das Gespräch wo es nur geht, stellen sich auch den destruktivsten und feindseligsten Kommentaren im Internet und bemühen sich um Transparenz und Öffentlichkeit. Ob sie damit in einer Gesellschaft, die dazu tendiert nur noch Extrempositionen wahrzunehmen und gemäßigte Stimmen mit lautstarkem Geschrei zu übertönen, am Ende erfolgreich sein werden, bleibt abzuwarten. Doch locker lassen wollen die fünf Freunde aus Karlsdorf-Neuthard auf keinen Fall. Als Tuner bringen Sie das nötige Rüstzeug dafür auch in jedem Fall mit: Ausdauer, Geduld, Beharrlichkeit, Fingerspitzengefühl und nicht zuletzt den ganz langen Atem.

Ein Bericht von Stephan Gilliar

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5 Gedanken zu „Kann denn Tuning Sünde sein?“

  1. Nicht weinen wenn man nicht mit den Auto-Posern in eine Schublade gesteckt werden möchte, sich aber schlicht mit genau diesen Leuten zusammen aufhält.
    Natürlich kommt es dann zu Überschneidungen zwischen Kontrollorgan und vermeintlich „zivilisierten“ Tunern die vielleicht einfach nur Pech hatten, zur selben Zeit am selben Ort zu sein wie der schief aufgebaute, halblegale Taschengeld-Golf der eben ausnahmsweise zurecht aus dem Verkehr gezogen wurde.
    Ich fahre selbst einen nicht minderwertig verbastelten 99´er Evo6 – halte mich allerdings tunlichst von deratigen „Veranstaltungen“ fern nachdem ich bereits in Karlsruhe ständig über einen Kamm geschert wurde mit Leuten die eben nicht auf die Straße gehören. Einfach lästig.
    Ich wünsche unseren Ordnungsbehörden so sehr tiefere Einblicke in die KFZ Welt um künftige Kontrollen zielgerichteter durchführen zu können. Euer Artikel hier scheint mir ein willkommener Tropfen zu sein der bislang leider in ein viel zu großes Fass fällt :)

  2. Viele sind schon durch ein lautes Auto irritiert. Da kann man sogar langsamer fahren als vorgeschrieben. Und jedoch wird man sehr kritisch angeschaut. Ich persönlich rase nicht durch Einen Ort. Oder lasse es knallen das alle in Deckung gehen. Doch die typischen Poser mit ihren Bauchtaschen. Wollen einfach nur gesehen werden. Was der Tuner auch möchte aber eher positiv.

  3. Sehr guter Beitrag!
    Bin selbst ein großer Auto-Enthusiast und finde ich in dieser Zeit wirklich traurig, wie die Gesellschaft und leider auch der Staat sich diesbezüglich entwickelt.
    Dieser Artikel zeigt mir wenigstens, dass es noch mehr Menschen mit Verstand und Benzin im Blut gibt!

  4. Hi
    Habe vor 40 Jahren mit schrauben angefangen erst wars mofa moped dan Auto
    Damals hieß es nicht Tuning
    Sondern jeder hatte spass am Auto verschönern und individuel zu sein klar war damals einiges anders aber es gig um Spaß zu haben Sich Treffen austauschen
    Klar Samstag Abend Musste die kiste glänzen wen du vor der Disco vorgefahren bist
    Aber es war echt ne Geile zeit
    Heute vermisse ich vielerorts worum es geht
    Kameradschaft und gegenseitiges helfen
    Nicht wer hat am Meisten kohle in die karre gesteckt
    Ich finde ihr aus Karlsruhe u umgebung macht es klasse
    Ich bin aus Neuenburg am Rhein
    Weiter so 👍🤙🤘😎

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