Auf der Suche nach der richtigen Haltung zwischen Naivität und blindem Hass
Eine Sinnsuche von Thomas Gerstner
Ich habe mich lange davor gedrückt diesen Artikel zu schreiben, dutzende Male habe ich ihn begonnen, dutzende Male wieder verworfen. Generell haben wir uns in der Redaktion darauf verständigt, möglichst ausgewogen und neutral mit der Asylkrise (das Wort ist bewusst gewählt) und ihren Folgen umzugehen. Wir waren in so ziemlich jeder Flüchtlingsunterkunft im Kraichgau, haben Interviews mit Helfern, Politikern und natürlich auch Flüchtlingen geführt. Wir haben aber auch über die Schattenseiten geschrieben – jene die lange Zeit nicht haben sein dürfen: Diebstähle, Übergriffe und Schlimmeres. Dann kam Köln und hat uns in seiner Intensität die Angst vor Augen geführt, die viele schon seit Monaten in Ihren Eingeweiden spazieren tragen. Der Auslöser für diesen Artikel war jedoch eine Situation in die ich vor wenigen Tagen in Eppingen gekommen bin. Ich stand dort in einer Tankstelle zu später Stunde an der Kasse und war dabei Diesel und Kippen zu bezahlen, als ein Schwarzer den Verkaufsraum betrat. Er hatte die Kapuze seines Hoodies auf und roch leicht nach Alkohol. Meine erster, reflexartiger aber mächtiger Gedanke war: Der überfällt den Schuppen jetzt und du bist mittendrin. Noch während ich mit mir haderte ob ich mit einem Hechtsprung durch die Panorama-Scheibe das Weite suche oder heldenhaft die Dicke hinter der Theke rette, bezahlte der Mann seinen Einkauf und ging wieder. Ganz ohne zu klauen, zu töten und zu vergewaltigen. Ich kann Ihnen sagen: Ich schämte mich meiner Gedanken mächtig in den kommenden Tagen.
Setzen wir uns mit diesen Gefühlen auseinander
Dann aber fragte ich mich doch: Wieso habe ich so gedacht und empfunden? Ich kann ziemlich sicher sagen, dass ich von Natur aus ein aufgeschlossener und nicht zur Xenophobie neigender Mensch bin. Was also hat mich unterbewusst dazu gebracht in diesem Schwarzen primär einen Verbrecher zu sehen? Leider muss ich Ihnen sagen: Ganz aus der Luft gegriffen sind diese Befürchtungen nicht. In unserer Redaktion gehen täglich Meldungen über Delikte aus den drei für uns wichtigen Landkreisen Karlsuhe, Heilbronn und Rhein-Neckar ein. Seit Monaten lesen wir diese mit Bauschmerzen, denn zum Großteil finden wir dort bei den Täterbeschreibungen Formulierungen wie „dunkelhäutig, südländisches Aussehen“ und so weiter. Es brennt sich auf die Netzhaut, lässt sich nicht ignorieren und wird ständig mehr. Auch das selektive Wahrnehmen, können wir nach eingehender Doppelt-Recherche ausschließen! Hieß es noch vor ein paar Monaten seitens der Polizei, das in Zusammenhang mit den Flüchtlingen keine erhöhte Kriminalität festzustellen sei, hat sich auch hier der Ton geändert. Heute registriert man durchaus eine gestiegene Kriminalität im Umfeld der Asylunterkünfte. Die badische Zeitung hat sich jüngst die Mühe gemacht und versucht dies in Zahlen zu fassen: Demnach gab es 2015 in Baden-Württemberg knapp 16.000 von Flüchtlingen begangene Delikte.Freilich entfällt der Löwenanteil auf Ladendiebstähle und Schwarzfahren aber auch rund 2000 leichte und 1000 schwere Körperverletzungen finden sich in den Zahlen, die die Kollegen im Innenministerium in Erfahrung bringen konnten. Nicht vergessen können wir auch die etwa 220 Sexualdelikte. Gerade gestern meldete die Polizei die Vergewaltigung einer 41-Jährigen um 20 Uhr am Mannheimer Wasserturm durch einen dunkelhäutigen Mann. Sie ist ein weiterer Fall der es nur in die Lokalpresse geschafft hat und bei weitem nicht der Erste: In Karlsruhe wurden 12-15 Jährige Mädchen im Europabad sexuell belästigt, eine Frau wurde in der Nähe der Landeserstaufnahmestelle vergewaltigt und in Weil am Rhein fielen gleich mehrere Männer über minderjährige Mädchen her… Unter den Tätern waren jeweils auch Flüchtlinge. Doch erst Köln hat in seiner geballten Stärke das bundesweite Interesse auf diese Thematik gelenkt, obgleich sie sicher nicht erst dort ihren Anfang nahm. Im Netz kursierte danach ein Posting das aussagte: „Nicht Ausländer, sondern Arschlöcher belästigen Frauen“. Das ist absolut richtig, doch im Falle von Köln waren es leider sowohl das Eine als auch das Andere. Genau deshalb spielt die Herkunftsfrage in diesem Zusammenhang sehr wohl eine Rolle. In meiner 15-Jährigen Laufbahn als Journalist ist mir auf jeden Fall noch keine Meldung untergekommen in der geschrieben stand, dass 1000 deutsche Männer gemeinsam auf die „Jagd“ gegangen sind.
Es wird schlimmer bevor es besser wird
Angesichts dieser Entwicklung schwingt das gesellschaftliche Pendel nach dem Hype der blinden Willkommenskultur, nun naturgemäß erst einmal in die andere Richtung. Man spricht über die Dinge, die bisher einfach nicht sein durften und doch waren und sind. Man sieht in allen Asylsuchenden eine generelle Bedrohung – Misstrauen macht sich breit. Aus unbestimmter Angst wird bestimme Angst und auch Wut mischt sich immer mehr in den unappetitlichen Gefühlsmix in unserer Brust. Diese Gefühle sollten sehr ernst genommen und doch nicht maßgebend werden! Wenn manche Neuankömmlinge die Hilfsbereitschaft dieser Nation mit einem herzhaften Tritt in die Kronjuwelen belohnen, verdient das unsere Verachtung. Auch wer Angst hat sich in manchen Gegenden frei zu bewegen, hat damit nicht unrecht.Beispiel gefällig? Ich würde mich zu später Stunde aktuell nicht mehr am Bruchsaler Bahnhof aufhalten und kann nur jedem Anderen auch davon abraten. Die Vorfälle der vergangenen Monate in diesem Viertel sprechen eine klare Sprache und auch das was Anwohner berichten, ermutigt nicht gerade zu einem nächtlichen Bummel durch die City.Eigentlich ist das doch sehr traurig – einfach hinnehmen zu müssen, dass die oft geleugneten No-Go-Areas sich nun auch in unserer doch eher ländlich geprägten Heimat ausbreiten.
Was nun?
In der Phase in der wir uns gerade befinden, sollten wir trotz aller roten Alarm-Leuchten nicht überreagieren. Das vorhin erwähnte Pendel muss – nach dem es nun von der einen auf die andere Seite geschwungen ist – erst einmal in der Mitte zum Stehen kommen. Erst dann können wir gesunde und nachhaltige Entscheidungen treffen. Köln und Co. haben nicht alle Flüchtlinge über Nacht böse gemacht oder ihre diabolische Natur enthüllt – ebenso wenig lässt sich das Märchen vom armen Tropf aus Not und Elend noch universell anbringen. Wie immer im Leben liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen. Es sollte uns nach wie vor mit Stolz erfüllen, dass wir zu den wenigen Ländern gehören die zu helfen bereit sind, während der Rest von Europa geradezu episch und beschämend versagt. Doch kann auch das „Helfen“ nur mit klaren Regeln ablaufen. Wir haben das Recht genau zu prüfen wer da zum Abendessen kommt und zwar bevor er die gute Stube betritt. Wenn das geschlossene Grenzen und Menschentrauben davor bedeutet, dann müssen wir mit diesen Bildern wohl leben. Wir schulden es unseren Kindern dafür zu sorgen, dass Sie weiter ( oder wieder ) unbehelligt im Schwimmbad toben können oder ohne Angst um 20 Uhr am Bruchsaler Bahnhof in eine S-Bahn steigen können. Es wäre auch schön wieder das Gefühl zu haben, dass unser Staat in erster Linie darum bemüht ist, uns als seine Bürger zu schützen. Die darüber hinaus noch reichlich vorhandenen Kapazitäten, dürfen und sollen gerne auf den Schutz Jener verwendet werden, die diesen Schutz brauchen und verdienen.Es muss doch eine andere Wahl geben als nur zwischen treudoof und kaltherzig. Machen wir uns nichts vor: Wir erleben gerade die größte Krise, die dieses Land seit dem Kriegsende durchgemacht hat. An dem was in den kommenden Monaten geschieht, werden unsere Kinder uns einmal messen.
Lasst Sie uns nicht enttäuschen und die beide zentralen Geschenke gemeinsam einsetzen, die uns die Natur spendiert hat: Herz und Hirn.