Wenig Nutzen für die Menschen – großer Schaden an der Umwelt. Naturschützer und Bürger sprechen sich gegen massive Einschnitte in die Natur aus
Es wird ernst. Noch exakt 10 Tage lang nimmt das Regierungspräsidium Einsprüche oder Stellungnahmen mitunter zur geplanten Umgehungsstraße im Norden Bruchsals entgegen. Wegen der Corona Krise wird das sogenannte Scoping-Verfahren nur schriftlich durchgeführt, öffentliche Anhörungen wird es dazu in diesem Jahr nicht geben.
Für Umwelt und Naturschützer, aber auch alle die sich nicht mit der Zerschneidung der letzten großen Naturlandschaft rund um Bruchsal zufriedengeben wollen, steht einiges auf dem Spiel. Fiele die Wahl auf die bereits mehrere Jahrzehnte alte Variante einer Nordumgehung Bruchsals als Erweiterung der B35, schnitten die Baumaschinen in nicht allzu ferner Zukunft eine fünf Kilometer lange Schneise durch bisher unberührte Natur . Die Folgen wären beträchtlich: Durch ein beliebtes Naherholungsgebiet würden sich dann zu jeder Stunde des Tages Lastwagen auf mehreren Spuren wälzen und dort für Lärm und Abgase sorgen, wo bisher frische Luft und ursprüngliche Ruhe vorherrschen. Eine Vorstellung die vielen Bruchsalern nicht schmeckt, bereits vor Jahren haben die Proteste gegen die oberirdische Zerschneidung des Bruchsaler Nordens Fahrt aufgenommen, auch der Gemeinderat hat sich längst geschlossen gegen diese Variante ausgesprochen.
Dass eine solche Lösungen aus ökologischer Sicht ausschließlich Probleme nach sich ziehen würde, liegt auf der Hand, doch auch das oft in den Raum gestellte Versprechen einer Entlastung der verkehrsgeplagten Anwohner in der Bruchsaler Innenstadt, wird zunehmend in Zweifel gezogen. Die Arbeitsgemeinschaft Natur und Umweltschutz AGNUS lässt zu den diskutierten Varianten einer Nordumgehung Bruchsals in ihrer jüngsten Stellungnahme verlauten: “Durch diese Varianten wird zusätzlicher Verkehr in den Großraum Bruchsal angezogen und der spätere Ausbau zu einer Autobahn A 80 Bruchsal – Vaihingen – Stuttgart ermöglicht. Dagegen wird der Verkehr auf bestehender Trasse in Bruchsal nicht wesentlich verringert (im wesentlichen bedingt durch Ziel- und Quellverkehr) und führt zu keiner Entlastung der Anwohner. Dies wurde bereits in den 1990er Jahren beim damaligen ersten Planfeststellungsverfahren durch Gutachten hinreichend belegt.”
Auch in Bretten werden Zweifel laut
Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch die Bürgerinitiative Verkehrsentlastung Bretten. Auch in der Melanchthonstadt ist eine Umgehungsstraße geplant, die zusammen mit den Projekten in Bruchsal und Neulingen einen direkten Bypass der Autobahnen A5 und A8 bilden würde. Ebenso wie die Nordumgehung Bruchsals ist hier das Projekt “B294 Südwesttangente Bretten” quasi über Nacht im Bundesverkehrswegeplan 2030 von faktisch aussichtslos zum vordringlichen Bedarf heraufgestuft worden. Kritiker sehen daher in der Kombination aller drei Maßnahmen weniger das noble Ansinnen die Menschen in Bauschlott, Bretten und Bruchsal zu entlasten, als vielmehr eine kostengünstige Variante einen teuren Ausbau der Autobahnen A5 und A6 zu umgehen.
Hügelhelden Videodoku zum Diskurs über die B35 Ost aus dem Frühjahr 2019
Dass die Brettener von der Südwesttangente wirklich profitieren würden, bezweifelt die Bürgerinitiative und begründet dies in ihrer Stellungnahme an das Regierungspräsidium mit harten Zahlen. So entfielen bei einer Verkehrsuntersuchung im Jahr 2017 gerade mal zwischen etwa 7 und 11 Prozent des Verkehrs auf den Durchgangsverkehr, also exakt jenen Verkehr der durch eine Umgehungsstraße potentiell aus der Stadt verbannt werden könnte. Der verbleibende Löwenanteil von rund 90 % setzt sich demnach aus Quell-, Binnen- und Zielverkehr zusammen, also lokalen Verkehrsflüssen für die ein Ausweichen auf eine Umgehungsstraße keinerlei Sinn ergeben würde.
Wie aktuell sind die entscheidenden Daten?
Sowohl die Bruchsaler Agnus als auch die Brettener Bürgerinitiative äußern Zweifel an denen zugrundeliegenden Daten, die dem Regierungspräsidium bislang als Grundlage für die Großprojekte zu dienen scheinen. “Ein Großteil der laut Vorlage benutzten Unterlagen, Erhebungen und Gutachten sind mittlerweile ca. 20 Jahre alt oder älter, insofern fragwürdig”, schreibt beispielsweise die AGNUS in ihrer Stellungnahme an das Regierungspräsidium.
Auch in Bretten wird eine durch das Präsidium angeführte Verkehrszählung von Oktober 2019 mit kritischen Augen gesehen. Hierzu führt die BI weiter aus und appelliert an das Regierungspräsidium: “..Im Scoping-Dokument wird (..) auf eine Verkehrszählung vom Oktober 2019 verwiesen. Der Beschreibung ist nicht ersichtlich, ob analog der Verkehrserhebung vom 23.05.2017 die Zu- und Abflüsse der Fahrzeuge an den Kreuzungspunkten erhoben wurden. Uns ist diese Verkehrszählung unbekannt! Wir bitten Sie die Erhebungsdaten offen zu legen und deren Inhalt in Bezug der Anteile an Binnen-, Ziel-, Quell- und Durchgangsverkehr zu benennen…”
Die Alternativen
Ob in Bruchsal noch eine flächendeckende Akzeptanz für eine oberirdische Zerschneidung des Naturraums rund um den Rotenberg herrscht, darf massiv bezweifelt werden. Umweltschützer, Anwohner, zahlreiche Bürgerinnen und Bürger sowie Naturschützer haben sich gegen diese Variante der Umgehung längst in Stellung gebracht. Die AGNUS gibt zudem zu bedenken: “Da es für die Bruchsaler Einwohner also keinen wesentlichen Nutzen, sondern im Wesentlichen Nachteile gibt, kann es auch keinen positiven Kosten-Nutzen-Effekt geben. Die Grundlagen des Verfahrens für die Varianten 1a und 1b sind hiermit rechtlich angreifbar, unbelegt und fragwürdig.”
„Die Akte Rothenberg“ Videodoku von hügelhelden.de aus dem Jahr 2015
Neben diesen Varianten 1a und 1b, also einer oberirdischen Trasse durch den Nordosten Bruchsal oder einer Tunnelvariante durch besagtes Gebiet, gibt es allerdings noch eine ernsthafte Alternative. Schon vor Monaten hat die Stadt Bruchsal im Zuge einer Machbarkeitsstudie die Ertüchtigung der bestehenden Bundesstraße 35 durch das Stadtgebiet untersucht und kam zu einer überraschenden Variante Nummer 2. Diese sieht eine Untertunnelung der bestehenden B35 im Bruchsaler Stadtgebiet vor. Ein solcher Tunnel könnte von der Lidl-Kreuzung unterhalb der Prinz-Max-Kreuzung Richtung Weiherberg führen, bzw. in einer Modifikation noch vor der Prinz-Max-Kreuzung wieder ans Tageslicht führen. Für diese Varianten machen sich auch die Bruchsaler Umweltschützer stark. Dr. Michael Hassler und Jürgen Schmitt führen dazu die aus ihrer Sicht besonderen Pluspunkte auf der Webseite der AGNUS aus: Ein positiver Kosten-Nutzen-Faktor, kaum Eingriffe in Natur und Landschaft, keine ökologischen Folgeschäden, eine starke Reduktion der Anwohnerbelastung sowie ein effizienter Ausbau der B 35 zu einer leistungsfähigen Bundesstraße, aber ohne „Autobahn-Option“.
Wie geht es weiter?
Wer sich auch noch gegenüber dem Regierungspräsidium zu den geplanten Maßnahmen positionieren möchte, der sollte jetzt in die Gänge kommen. Anfang des kommenden Jahres werden im Regierungspräsidium bereits die Planungsarbeiten für die Projekte anlaufen, berücksichtigt werden dabei alle Positionen – von den Städten und Gemeinden über Anwohner und Verbände bis hin zu Naturschutzorganisationen. Welche Variante am Ende das Rennen machen wird, steht derzeit noch völlig in den Sternen. Wer sich aber bundesweit die Proteste gegenüber Straßenbauprojekten vor Augen führt, die eine großflächige Zerstörung der Umwelt mit sich bringen, kann kaum davon ausgehen, dass in dieser Sache bald das letzte Wort gesprochen sein wird.
Links zum Thema:
Informationen zum Scoping-Verfahren der Ortsumgehungen auf den Seiten des Regierungspräsidiums Karlsruhe
Die Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Natur und Umweltschutz Bruchsal
Die Stellungnahme der Bürger Initiative Verkehrsentlastung Bretten
Frei nach Douglas Adams:
„Wozu wird die Umgehungsstraße denn überhaupt gebaut ?“
„Das ist eine Umgehungsstraße. Und Umgehungsstraßen baut man eben“
Wird also demnächst Zeit für die Hyperraum Expressroute.
….und wieder ist man dagegen, ich lese immer nur dagegen, gerade für Bretten wäre es wichtig, die Stadt würde entlastet werden. Bretten ist ein Hinderniss egal wo man hinmöchte, ist halt ein Knotenpunkt. Das Verkehrskonzept in Bretten ist auf behindern ausgerichtet weil man keinen Verkehr möchte, löst aber das Problem nicht. Umwelt und Verkehrspoltik kann auch heißen zu schauen das der Verkehr läuft und nicht stillsteht. Ich gehöre zum „Zielverkehr“ dummerweise muss man sich durch die Stadt quälen, nicht gut für mich nicht gut für die Anwohner. Jetzt im Ernst ich kenne keine Stadt die ihren Hauptverkehr durchs Wohngebiet leitet und dann noch was gegen eine Umgehung hat. PS. Freut euch wenn die S4 ein Jahr lang saniert wird…oder ist man da auch dagegen – es lebe der Stillstand