Menschliche Abgründe am Telefon – Das widerwärtige Spiel mit der Angst
von Philipp Martin
Aufgelöst, noch immer das Telefon in der Hand, steht die alte Dame vor ihrem Haus in Ubstadt. Sie ist die Mutter eines guten Bekannten, eine liebevolle Frau, mitfühlend und großherzig in ihrem Wesen. Sie tritt auf der Stelle, sieht sich nach rechts und nach links um – ein wirrer rastloser Blick, der Geist dahinter in Aufruhr, Angst und tiefer Sorge. Gott sei Dank ist meine Frau an diesem Morgen zu Fuß zum Einkaufen gegangen, trifft so auf dem Heimweg auf die alte Dame. Sie nimmt sie am Arm, fragt sie, was denn los sei? Die Polizei hätte sie gerade angerufen, ihr mitgeteilt, dass ihr Sohn in einen schweren Verkehrsunfall verwickelt war und nun zur Begleichung von Kaution und Rechtskosten sofort Geld benötige. Meine Frau erkennt das Muster, gemeinsam informieren Sie die Polizei über den versuchten Betrug. So könnte man sagen, dass diese Geschichte noch einmal gut ausgegangen ist. Ich würde es eher glimpflich nennen, denn von “gut” kann beim Gemütszustand der alten Dame in den Tagen und Wochen darauf keine Rede mehr sein. Dieser Vorfall hat sie sichtlich gezeichnet, die Angst, die ihr wie ein spitzer Dolch direkt ins Herz gefahren ist, hat Wunden hinterlassen.
Natürlich hat sie das.. die Angst um das eigene Kind, die Sorge um dessen Wohlergehen, was könnte eine Mutter mehr umtreiben? Es gibt nichts Mächtigeres auf der Welt, als die Liebe der Eltern. Es ist ihre größte Stärke und gleichzeitig ihre größte Schwäche. Gegen sie verwendet, macht es sie verwundbar, angreifbar und unendlich verletzlich. Man darf sich zurecht fragen, welche Scheusale, welche Ausgeburten der Hölle, welch degenerierte Gestalten diese Liebe als Waffe einsetzen, nur um sich selbst zu bereichern? Ich kann es mir kaum vorstellen. Doch Tatsache ist, dass diese Art des Verbrechens in den letzten Monaten zahlenmäßig geradezu explodiert ist. Nach den unzähligen falschen Telefonanrufen, die sich nahezu allesamt gegen ältere Menschen richten, hat sich zwischenzeitlich auch ein neuer Trend etabliert, der als Medium die gängigen Messenger-Dienste wie z.B. WhatsApp verwendet. Hier suggerieren die Täter, das eigene Kind wäre in Schwierigkeiten und brauche spontan dringend Geld. Im Grunde ist es eine adaptierte Variante des altbekannten Enkeltricks am Telefon, doch auch diese findet Opfer in Hülle und Fülle. Teilweise mehrere tausend Euro erbeuten die Verbrecher auf diese Weise, allein im Jahr 2022 beziffert das Bundeskriminalamt die dadurch entstandenen Schäden mit einem zweistelligen Millionenbetrag.
Nun könnte man ganz gefühlskalt entgegnen: „Selbst schuld, wer auf so etwas Billiges hereinfällt“, doch das wäre herzlos und zynisch. Nicht jeder Mensch beherrscht die technischen Mittel so gut wie es eigentlich nötig wäre, nicht jeder Senior steht mit seinen Kindern und Enkeln in regelmäßigem Austausch. Wer hier eine Mitschuld bei den Betroffenen sucht, der praktiziert nichts anderes als die leider immer wieder allgegenwärtige Täter-Opfer-Umkehr. Täter sind nur jene, die sich die Angst und die Liebe der Menschen um ihre Angehörigen zu Nutze machen, um diese so tief zu brechen, dass sie in ihrer seelischen Pein alles, aber auch wirklich alles tun würden.
Auf diese Weise setzen diese verabscheuungswürdigen Kreaturen aus ihrem Nebel der Anonymität heraus zwei fatale Entwicklungen in Gang: Sie bestrafen Menschen für ihre Sorge und Liebe um andere und fördern in unserer Gesellschaft Misstrauen und Zweifel bis in die Familien hinein. Das ist nicht hinnehmbar, doch derzeit bittere Realität. Gerade erst heute hat die Polizei in Karlsruhe über neue Fälle solcher Schockanrufe informiert, die alle nur ein Ziel verfolgten: Liebe in Angst und Angst in Profit zu verwandeln.
So bleibt am Ende nur eines: Bleiben Sie wachsam und nicht nur das – bleiben sie fürsorglich. Informieren Sie Ihre Mitmenschen über dieses perfide Spiel, nehmen sie insbesondere ältere und hilflose Menschen an der Hand und erzählen Sie ihnen, was im Falle eines Falles zu tun ist.
Ergänzend seien Ihnen hiermit noch die Ratschläge der Polizei Karlsruhe ans Herz gelegt:
- Werden Sie misstrauisch bei Forderungen nach schnellen Entscheidungen, Kontaktaufnahme mit Fremden sowie Herausgabe von persönlichen Daten, Bargeld, Schmuck oder Wertgegenständen.
- Lassen Sie sich am Telefon nicht unter Druck setzen. Legen Sie den Hörer auf. So werden Sie Betrüger los.
- Wählen Sie die 110 und teilen Sie den Sachverhalt mit. Benutzen Sie nicht die Rückruftaste, da Sie sonst unter Umständen wieder bei den Tätern landen.
- Sprechen Sie am Telefon nicht über Ihre persönlichen und finanziellen Verhältnisse.
- Beraten Sie sich mit Ihrer Familie oder Personen, denen Sie vertrauen.
Weitere Informationen und Präventionstipps finden Sie unter www.polizei-beratung.de.
Tja, das habe ich auch schon mehr als genügend erlebt. Für unliebsame Anrufe habe ich neben dem Festnetz-Telefon eine Trillerpfeife berit gelegt, die dann gerne benutze. !!! Damit rechnet ja keiner der Anrufer und ich stelle mir vor, wie unangenehm es sein kann..
Sehr gut formuliert!