Wirbel um die kleine Milchmahlzeit
Eine Kolumne von Tommy Gerstner
Freunde, um den Ausgangspunkt meiner heutigen Einlassungen verstehen zu können, müssen wir gar nicht allzu sehr in die Vergangenheit reisen. Eigentlich sind es sogar nur ein paar Tage, die uns vom Zündpunkt einer großen Welle der Empörung on- sowie offline trennen. Szene 1 dieser Geschichte spielt in einem altehrwürdigen Café in Old Karlsruhe Town. Ich mache es kurz, denn diese Geschichte haben sie in ähnlicher Form schon viele Male aus allen Ecken und Enden der Bundesrepublik gehört: Zwei Mütter nehmen im Café Platz, trinken ein Heißgetränk Ihrer Wahl und fangen an ihre Säuglinge zu stillen. Beim Aufbruch werden sie von der Café-Chefin gebeten, beim nächsten mal woanders hin zu gehen. Es kam wie es kommen musste – die beiden Mütter fühlten sich falsch behandelt und sprachen darüber mit der örtlichen Zeitung. Die Geschichte schwappte ins Netz, wuchs weiter an und entlud sich nun in einer Demonstration einiger Dutzend Mütter auf dem Trottoir vor dem Café.
Die Cafebetreiber hatten vom Zeitpunkt des Interviews an, absolut keine Chance mehr. Ihr Café avancierte zum Todesstern des Imperiums, welcher nun von den ehrbaren und guten Jedi-Rittern ins Visier genommen wurde. So ist das eben im Jahr 2020, in dem besonnene Diskussionen, in denen beide Seiten angehört werden, zugunsten von unverhältnismäßigen Überreaktionen abgelöst wurden. Selbstverständlich ist Stillen etwas absolut natürliches, mich persönlich juckt es nicht die Bohne ob um mich herum gesaugt und genuckelt wird – allabendlich gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen deutlich mehr zu sehen, als ein bisschen Busen-Ansatz, an dem kleine Münder saugen.
Was mich an der ganzen Sache stört, ist jener Trend der in den letzten Jahren einfach absurde Ausmaße angenommen hat: Der Anspruch eines Jeden seine persönliche Sichtweise dem Rest der Gesellschaft aufdrücken zu wollen. Neulich regten sich beispielsweise ein paar Transgender-Männer über das Venus Symbol auf Slipeinlagen auf – der Hersteller knickte augenblicklich ein und entfernte selbiges von der Verpackung. Himmel, man muss doch nicht immer alles persönlich nehmen und es ausschließlich vom eigenen Standpunkt aus bewerten. Mir persönlich ist es schnurzpiepegal ob es Frauenparkplätze, aber keine Männerparkplätze gibt oder ob eine Shampoo-Flasche in rosa oder babyblau gehalten ist…
Anstatt sich immer nur an der neuerdings merkwürdig verdrehten Rangordnung “Gott – Ich – Rest der Menschheit” zu orientieren, könnte man doch versuchen sich mit etwas Empathie auch einmal in die Position des anderen hinein zu fühlen. Nehmen wir doch einfach besagtes Karlsruhe Café. Seit 100 Jahren steht es nun schon dort und bietet vornehmlich älteren Menschen einen vertrauten und festen Anlaufpunkt. Schon für uns Jüngere dreht sich diese Erde in den letzten Jahrzehnten wahnsinnig schnell, so schnell dass man kaum noch Schritt halten kann… Was denkt ihr, wie fremd unsere heutige Zeit den Senioren erscheinen muss, bei denen Anpassungsgabe und Flexibilität altersbedingt nicht mehr derart flutschen wie bei uns Youngstern?
In diesem Café ist für sie die Welt noch in Ordnung, man trifft Generationsgenossen und hält sich an jenen Werten fest, die in den eigenen, starken Jahren eben prägend waren. Damals war es nun einma nicht üblich sein Kind in der Öffentlichkeit zu stillen und auch nur der beiläufige Blick auf den Busen einer Frau galt als ungehörig und verpönt. Ob diese Regel gut oder schlecht war, ist in diesem Fall gar nicht die entscheidende Frage. Viele der gesellschaftlichen Regeln von damals sind heute völlig zurecht überholt. Fraglich ist aber, ob man diesen älteren Mitbürgern unbedingt seine eigene Weltanschauung – ausgerechnet in einem ihrer letzten Refugien – lautstark aufdrücken muss. Natürlich haben die demonstrierenden Mamis recht und jeder sollten mit dem Segen der Gesellschaft dort stillen können wo es Ihnen beliebt. Wäre es nicht aber auch einfach eine Option, kulant zu sagen: Okay, es ist eine überholte und nicht mehr zeitgemäße Sichtweise, aber des lieben Friedens willen orientiere ich mich an diesem einen Ort am Wertesystem der anderen?
Dieses kleine bisschen Rücksichtnahme könnte doch so versöhnend wirken, zwischen derart unterschiedlichen Generationen und Weltansichten. Ich würde behaupten dass 995 von 1000 Karlsruhe Cafes keinerlei Schwierigkeiten mit stillenden Müttern haben, müssen diese 5 Refugien aus einer anderen Zeit denn nun wirklich am Pranger brennen?
Freunde, auch wir werden irgendwann einmal alt sein und uns dann einen Ort suchen, an dem die Welt noch wie zu jenen Zeiten tickt, in denen wir Sie aktiv gestaltet und verstanden haben. Ob unsere Ansichten dann noch zeitgemäß sind? Wahrscheinlich nicht… aber solange sie niemandem wirklich weh tun, lasst uns doch in Gnade damit ein bisschen Halt im saugenden Mahlstrom der Zeit.
Ja, ich finde auch, dass nicht jeder gleich eingeschnappt sein sollte. Ich kann auch gut damit leben, dass es keine Männerparkplätze gibt….und man muss es nicht immer jedem Allerletzten in dieser Welt recht machen….
Allerdings nur weil man es von früher gewohnt ist, soll es auch weiter so sein? Dann sollten die Personen vielleicht auch noch mit Autos von damals fahren…..und künstliche Hüften gab es damals auch noch nicht. Trotzdem haben sie welche „verbaut“ bekommen.
Man muss auch als alter Mensch nicht stehen bleiben. Wenn jemand an sein Cafe schreibt „nur für Karlsruher Bürger“ wäre es ebenfalls diskriminierend. Von daher gehört es dem Betreiber nicht anders. Zumal auch Interviewanfragen von einer Zeitung mit drei großen Buchstaben abgelehnt wurden….also wollen sie es wohl so.
Wenn so etwas normales wie stillen problematisch sein soll, dann versteh ich die Welt nicht mehr. Zudem, ja es war damals vielleicht nicht üblich so offenherzig rumzurennen…aber wenn Helene Fischer mit großem Ausschnitt im TV läuft, schauen auch die Alten hin…..irgendwie eine Doppelmoral, oder?! Aber ok. Da sieht es ja niemand…..und wenn die Angetraute rein komme, zappt man hald schnell weiter…………….
Es geht mit Sicherheit nicht ums stillen!Es geht darum dass die jungen Muttis von heute denken,jeder müsste Rücksicht auf sie nehmen wenn sie ihre lieben Kleinen über Tische und Bänke gehen lassen,während sie in aller Ruhe ihren Kaffee schlürfen!ich weiss wovon ich Rede,ich arbeite auch in der Gastronomie!ich frage mich manchmal wirklich,wo bei denen,die immer nach Toleranz schreien,die Toleranz denjenigen gegeüberbleibt,die vielleicht nicht unbedingt auf blanken Busen schauen wollen und nicht ständig schreiende und tobende Kinder um sich haben wollen.wir sind auch mit unseren Kindern in Gaststätten gegangen,haben aber darauf geachtet,dass andere Leute nicht gestört wurden.und auch unsere Kinder sind tolerant und sehen auch die andere Seite und denken nicht,sie sind der Nabel der Welt. Vielleicht sollte man den jungen Müttern, die noch nicht soviele arbeitsjahre hinter sich haben,wieder etwas Respekt vor der Arbeit anderer beibringen!und auch Toleranz
Toller Artikel!