Caroline Wolf ist Buchhändlerin in Bruchsal und Oberderdingen. Sie bietet ihren Kunden das, was selbst die mächtigsten Online-Riesen nicht schaffen: eine persönliche Führung durch den unendlichen Kosmos der Bücher.
von Stephan Gilliar
Ich kann mich noch gut daran erinnern, das allererste Mal im Pavillon der Telekom auf der Expo 2000 in Hannover an einem Internet-Terminal online mein erstes Buch bestellt zu haben – oder vielmehr überhaupt meine erste Online-Bestellung aufzugeben. Das alles hat sich damals unfassbar neu angefühlt und das war es ja schließlich auch. Das Internet war blutjung und der Onlinehandel steckte nicht in den Kinderschuhen, sondern erst in den Säuglingsschläppchen. Bücher konnte man schon 1997 bei Bertelsmann online (kurz BOL.de) über das Netz einkaufen, Amazon kam erst ein Jahr später nach Deutschland. Was sich seither aus der kleinen Nischenbranche „Online-Handel“ entwickelt hat, muss ich Ihnen kaum erklären, das wissen Sie selbst, nutzen und erleben die damit einhergehenden, quasi unbegrenzten Möglichkeiten vermutlich jeden Tag.
Angefangen hat jedoch alles mit dem Online-Handel von Büchern, das war nicht nur das Kerngeschäft von Bertelsmann, sondern zu Beginn auch das von Amazon. Welche Branche darunter leiden sollte, dürfte wohl auf der Hand liegen. Dem Buchhandel blies noch vor allen anderen ab Ende der Neunziger der eiskalte Wind der netzbasierten Konkurrenz unbarmherzig ins Gesicht. In der Folge sinkt die Zahl der Buchhandlungen in Deutschland Jahr für Jahr und das in beachtlichem Tempo. Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels kommen auf 100 Geschäftsaufgaben nur 40 Neugründungen, jedes Jahr verschwinden also summa summarum etwa 60 Buchhandlungen in Deutschland von der Bildfläche.
Um sich dennoch über Wasser halten zu können, braucht es Alleinstellungsmerkmale, das Besondere – etwas, das eine örtliche Buchhandlung von den Online-Riesen absetzen kann. Nach Meinung der Buchhändlerin Carolin Wolf ist das einzig und allein die persönliche Bindung, der direkte und menschliche Kontakt zur Kundschaft. Seit ihrer Ausbildung zur Buchhändlerin vor rund 20 Jahren hat sie die Branche in all ihren Belangen und Aspekten kennengelernt, sowohl den Betrieb im großen Filialgeschäft als auch die Herausforderungen der Selbstständigkeit. Vor knapp elf Jahren entschloss sich die gebürtige Kraichtalerin, mit einem eigenen Buchladen den Schritt in die Unabhängigkeit zu wagen. In der Hoheneggerstraße in der Bruchsaler Innenstadt eröffnete sie 2013 die nach ihr benannte Buchhandlung und entwickelte diese Stück für Stück. Durch die in Deutschland geltende Buchpreisbindung war es ein Muss, gute Lieferkonditionen mit Großhändlern oder gleich den Verlagen selbst auszuhandeln. Die Gewinnmargen in der Branche sind durch die Deckelung traditionell eher eingeschränkt. Dazu kommt natürlich, dass die Ladenmiete, die Nebenkosten, Versicherungen und die Gehälter mit einkalkuliert werden müssen, nahezu alles Posten, die beim reinen Online-Vertrieb von Büchern nur eingeschränkt anfallen.
Die Magie des Buchladens
Dem gegenüber stehen aber Faktoren, die sich nur schlecht in harten Zahlen und Fakten ausdrücken lassen, sondern vielmehr über Gefühle oder das, was die Beach Boys „Good Vibrations“ genannt haben. Ein Buchladen ist ganz einfach ein magischer Ort, er erinnert ein bisschen an das Nirgendhaus von Meister Hora, wo die Zeit stillzustehen scheint. Es ist kein bestimmtes Merkmal, das diesen Eindruck fördert, sondern die Summe vieler kleiner: der Geruch frisch gedruckter Bücher, das sanfte Schleichen über weiche Teppiche, das melodische Rascheln, wenn irgendwo jemand eine Seite umblättert, und das andächtige Flüstern, zu dem alle lauten Stimmen noch auf der Ladenschwelle verklingen. Es ist das Streichen über Buchrücken, das wie bei Tarotkarten eine Beziehung zwischen Buch und Leser herzustellen vermag, das Stöbern und das Entdecken. Auch wenn online die Auswahl viel größer sein mag, fehlt doch dieser haptische Kontakt mit dem Buch als Kunstwerk selbst – ein Gefühl, das kein eReader der Welt, möge er auch noch so praktisch sein, je ersetzen kann.
Hinzu kommt eben genau diese einzigartige Beziehung zwischen Kunde und Buchhändler, die für den Erfolg von Carolin Wolf und ihrem neunköpfigen Team steht. Eine Beziehung, die nicht einfach so entsteht, sondern durch viel Aufmerksamkeit und Erfahrung wachsen muss. Manche Kunden möchten ganz in Ruhe stöbern und suchen; ihnen bietet man am besten einmal zurückhaltend Unterstützung an, lässt sie dann aber ihr „Ritual“ alleine zelebrieren. Andere wiederum wünschen sich Beratung und Austausch, Ideen und vielleicht ein paar ganz neue Anregungen, mit denen sie gar nicht gerechnet haben. Genau hier trennt sich dann auch die Spreu vom Weizen. Hier wird der Unterschied zwischen reinem Verkaufspersonal und echten Buchliebhabern offenbar. Denn Buchhändler zu sein bedeutet nicht einfach nur, die aktuelle Spiegel-Bestsellerliste herunterbeten zu können, sondern auch Tipps und Impulse abseits von Mainstream und Top Ten geben zu können. Ein guter Buchhändler gibt etwas Orientierung im unendlich großen Kosmos der Bücher; alleine kann man sich hier auch kaum zurechtfinden. Vorsichtig geschätzt gibt es weltweit mehrere hundert Millionen Titel, jedes Jahr kommen Millionen neue hinzu. In dieser unglaublichen Masse jene Perlen zu finden, die den eigenen Vorlieben entgegenkommen, ist also ohne Führung ein äußerst ehrgeiziges Unterfangen.
Wer also Bücher abseits von irgendwelchen Verkaufsranglisten finden und entdecken möchte, der kommt um einen Besuch im stationären Buchhandel kaum herum. Hier gibt es sie noch, die echten Kenner, die Insider, die auch mal sanft einen Stups in Richtungen geben können, auf die man von alleine vermutlich nie gekommen wäre. Das muss man können und das muss man wollen – Bücher verkaufen sich eben nicht so leicht wie eine Packung Zigaretten oder eine Flasche Cola. Beratung ist das A und O. Carolin Wolfs Konzept kommt bei der Kundschaft ganz offenbar an; nach Bruchsal konnte sie mit Weingarten und Oberderdingen noch zwei weitere Filialen eröffnen. Während der kleine Laden in Weingarten allerdings aufgrund einer schwierigen, viel zu lange dauernden Baustellensituation zwischenzeitlich wieder aufgegeben werden musste, floriert das kleine Geschäft in der Rote-Tor-Straße in Oberderdingen außerordentlich gut. Hier ist Lena Bauer jeden Tag für die Kundschaft da, führt durch das kleine, ausgewählte Sortiment der Filiale und bestellt, was gerade nicht vorrätig ist – fast immer über Nacht.
Bestellen können die Kunden der Buchhandlung Wolf übrigens auch selbst. Über die Website besteht die Möglichkeit eines Kaufes über den dort implementierten Onlineshop. Die Bücher kommen dann entweder direkt in eine der beiden Filialen oder, wenn gewünscht, auch direkt per Post nach Hause. Um zukunftsfähig an allen Fronten gewappnet zu sein, hat Caroline Wolf beschlossen, diesen zweigleisigen Weg zu fahren: einmal das klassische Geschäft über die beiden Filialen und eben ein zusätzliches Standbein mit einem eigenen Onlineshop. Denn Zukunft hat das Buch zweifelsohne. Mitnichten sind es nur die Erwachsenen, die bei Carolin einkaufen; gerade viele Teenager lieben immer noch gedruckte Bücher – Lesen steht bei vielen von ihnen hoch im Kurs. „Young Adult“ nennt sich diese Branche, beflügelt werden die jeweiligen Trends übrigens ausgerechnet vor allem über die sozialen Medien… Online-digital also zum analogen Offline-Leseerlebnis. Gut so, denn während die modernen audiovisuellen Medien absolut nichts mehr der Fantasie überlassen, lässt sich mit einem Buch die eigene Vorstellungskraft und damit die Magie in jedem von uns noch immer wecken und uns damit völlig neue Wege gehen. „Wer Bücher liest, schaut in die Welt und nicht nur bis zum Zaune“, hat Goethe einmal gesagt und tatsächlich – was könnte wichtiger sein, als aus unseren Blasen auszubrechen und die Welt als das zu begreifen, was sie wirklich ist: unendlich komplex, faszinierend und bunt.