Herbert findet´s Scheiße

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“Freude war früher, denn früher war alles besser”

Eine Kolumne von Thomas Gerstner

Wann Herbert sich das letzte Mal über etwas gefreut hat, das weiß er gar nicht mehr. Für Freude gibt es schließlich kaum noch Gelegenheit, geschweige denn Anlass, so schlecht und verdorben ist diese Welt. Freude war früher, denn früher war alles besser. Früher waren die Farben kräftiger, schmeckte das Essen besser, schien die Sonne heller und an Weihnachten lag immer Schnee. Früher waren Männer noch Männer, Frauen noch Frauen und Ausländer im Ausland. Früher waren die Gartenzäune weiß, die Rasen gemäht, die Zeitung noch ehrlich, die Jugend noch folgsam. Schon früher gab es heiße Sommer, das Geld war noch etwas wert und zu Fasching ging man als Cowboy und Indianer auf die Straße. Früher waren die Starken noch stark und eine Tracht Prügel eine Lektion fürs Leben. Früher waren drei Programme genug, das Haus im Grünen mit glänzendem Benz das hehre Ziel, eine Woche Italien im Sommer genug Labsal für den faulen Pelz.

Doch das alles ist längst vorbei, eine Vergangenheit, die es zu beweinen gälte, wären denn Tränen eines Mannes nur würdig. Heute ist alles schlecht, alles längst den Bach hinunter und zum Teufel gegangen. Schon längst sind die Tage von Sodom und Gomorrha angebrochen, tanzt der Beelzebub auf Gottes grüner Erde und verteilt Geschenke wie Wokeness, Genderstern oder Klimahysterie. Der Autofahrer entmündigt, der Schottergarten zum Menetekel der Apokalypse und Fleisch oder Flug zum Politikum geworden, die Geschlechtszugehörigkeit spontan entschieden und der Russe verteufelt.

All das lastet schwer auf Herbert, lässt düstere Wolken um sein Haupt kreisen. Je näher diese Welt dem Abgrund entgegen taumelt, desto schwärzer und dichter werden sie. Wenn Herbert morgens die Vorhänge aufzieht, treffen ihn Wut und Verbitterung zusammen mit den einfallenden Sonnenstrahlen. Jeder Muskel steif, der Kiefer mahlend, die Augen nur enge Schlitze. Worauf sollte man sich auch freuen, in diesem hässlichen Rest verbleibenden Lebens? Wo sich die Reiter der Apokalypse doch mit donnernden Hufen beständig nähern? Jeden Tag steigt der Druck etwas mehr, drückt von innen gegen Herberts Schädeldecke, lässt ihn nicht schlafen, lässt sein altes Herz hämmern und die Knochen schmerzen.

Besser geht es ihm nur dann, wenn er redet, wenn er laut redet, wenn er schimpft und wenn er schreit. Wenn er der Welt seine Meinung sagt, seine harten und unverhandelbaren Diagnosen ungefiltert über ihr ausschüttet. Dann schießt das Blut durch seine Adern, pulsiert heiß unter seiner Haut. Nur dann fühlt er sich lebendig, nur dann lässt der Druck einen Moment lang nach. Doch diese Momente des Feuers und der einstweiligen Abrechnung sind seltener geworden. In der Gaststätte am Ende der Straße will man ihn nicht mehr, seine Freunde sind Stück für Stück verschwunden, am Ende auch seine Frau. Geblieben ist nur die Wut, seine alte Geliebte, die ihn Tag für Tag mit ihren scharfen Krallen liebkost. Die ihn leitet, die seine Hand führt, wenn er sich jeden Tag stundenlang an seinen alten Computer setzt, um im Netz der Welt die heiße Glut aus seinem Inneren, aber vor allem Wahrheit zu offenbaren.

Dann, wenn die Vorhänge zugezogen sind und nur das flackernde Licht des Bildschirms sein altes mürrisches Gesicht in blaue Schatten taucht, dann kann er alles endlich fließen lassen. All die Wut, all den Unmut, all den Frust… Sie fließen durch seine Finger in die Tasten und von dort aus direkt in die Welt, die zuhören muss, weil der dunkelgottähnliche Algorithmus weiß, dass Schlechtes besser klickt als Gutes. In diesen unendlichen Weiten kann Herbert ohne Preisgabe seines Namens all die aufgestaute Negativität loswerden, seine Sicht der Dinge wie durch einen Strohhalm eng und fokussiert ohne jedweden Kompromiss einem Todesstrahl gleich abfeuern. Dort in all den Netzwerken, Boards, Foren und Kommentarspalten vereinen sich seine Todesstrahlen, mit denen unzähliger Anderer, hinterlassen tiefe Krater und nichts als Zerstörung. Wer immer kann, bringt sich davor in Sicherheit, räumt das weite Feld, um vor Herbert und den unzähligen gesichtslosen Kameraden seiner von Hass und Verbitterung angetriebenen Armee nicht niedergemacht zu werden. Herberts Welt ist klein, aber glasklar umrissen. Nur Schwärze, kaum Weiß, nichts dazwischen. Es gibt nur ein Dafür oder ein Dagegen. Wohl dem, der Ersteres wählt…

Hier in den Untiefen seines selbst erschaffenen digitalen Limbus trifft Herbert daher zunehmend nur noch auf Gleichgesinnte, andere Menschen, die diese Welt ebenso wie er nur noch durch die grau-schwarze Brille wahrnehmen. Und weil das so ist, glaubt Herbert sich nicht nur im Recht, sondern auch in der Mehrheit. Die Blase, die sich durch seine angestauten Emotionen immer weiter auszubreiten scheint, wird zu seinem höchst eigenen Horizont, zu seinem ganzen Kosmos. Hier sind die Vielen, hier muss die Wahrheit sein.

All die Anderen, die eigentlich die Vielen sind – nicht nur ein wenig, sondern erdrückend und unleugbar – glauben sich eingedenk des eigenen Schweigens in der Minderheit. Sie ziehen sich Stück für Stück zurück, überlassen Herbert und den dunklen Legionen des Hasses das Feld. Manche von ihnen werden daran zerbrechen, verzweifeln… In manchen von ihnen wird der traurige Keim der Dunkelheit aufgehen und wachsen. Ein menschliches Drama, das sich Tag für Tag ein ums andere Mal wiederholt. Sich selbst bedingt, sich selbst am Leben hält, sich selbst speist.

Manchmal, tief in der Nacht, wenn Herbert wach liegt, dann wünscht er sich, dass dies alles anders wäre. Dass er die Festung seiner eigenen Traurigkeit verlassen und zurück ins Helle finden könnte… In diesen Momenten ursprünglicher Erkenntnis irgendwo zwischen der Finsternis der Nacht und dem Licht des neuen Tages ist Herbert der Wahrheit so nahe wie sonst kaum. Eine Wahrheit, die wir im Grunde alle kennen, sie tief in unserem Inneren fühlen und erahnen. Eine Wahrheit, die wir durch die vielen lauten, wütenden, missgünstigen und schrillen Stimmen zu verleugnen gelernt haben und die wir doch so sehnlichst vermissen.

Diese Wahrheit weiß um die Dunkelheit, so wie sie um das Licht weiß. Doch sie weiß auch, dass es viel mehr Licht gibt, als es uns bewusst ist. Sie weiß darum, dass sich in dieser Welt mitnichten das Gute und das Böse ebenbürtig sind… das Gute überwiegt bei weitem. Es findet sich in jedem Lächeln, in jedem Kuss, in jedem Quäntchen Mitgefühl, in jedem freundlichen Wort, in jedem glücklichen Gedanken.

Würde sich all dieses Schöne und Warmherzige gegen das Kleine und Niederträchtige verbünden, so wäre dieser Kampf entschieden, noch bevor er überhaupt losginge. Würden sich all die gemäßigten Stimmen, all die reflektierten Gedanken und überlegten Worte zusammentun, so bliebe für den Hass und die Missgunst kaum noch ein Rückzugsort.

Doch Schlechtes klickt besser als Gutes, Negatives bringt Aufmerksamkeit und nicht zuletzt bare Münze. Wie schön wäre es, wenn Herbert das alles wüsste. Doch in seiner Blase hört und sieht man davon nichts, denn hier ist es immer dunkel, hier ist es immer Nacht.

Der Mensch ist gut, er hat nur viel zu schaffen, und wie er einzeln dies und das besorgt, entgeht ihm der Zusammenhang des Ganzen.

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14 Gedanken zu „Herbert findet´s Scheiße“

  1. Alle, die nicht nur schwarz sehen, müssten viel öfter den Mund aufmachen, auch mal fröhlich auf ihre Nachbarn, Arbeitskollegen und Freunde zugehen. Ja, es gibt Dinge über die man sich aufregen kann, aber das sollte doch nicht überwiegen. Freut Euch am Leben, an Eurer Familie. Ich freue mich über meine Kinder und Enkelkinder, es ist doch schön zu sehen wie sie heranwachsen. Das Problem ist, dass alle die, die zufrieden sind, den Mund halten. So erscheint es, dass die Schwarzseher in der Mehrheit sind, denn die schweigen nicht.

  2. Also so schlimm find ichs net…die Motzerei. Des ghört halt dazu und zu uns. Und wenn mer mit allem zufriede wär, däd sich ja nix mehr ändere.

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