In einem neuen Café im Innenhof der Alten Flehinger Mühle sollen Menschen mit und ohne Behinderung Seite an Seite arbeiten und so ein Stück gelebte Inklusion Wirklichkeit werden lassen.
von Stephan Gilliar
Ein wunderschöner Fliesenfußboden, eine hölzerne Theke aus längst vergangenen Tagen, dunkle Tapeten mit Blumenornamenten, Polstersessel und filigrane Kaffeetischchen mit geschwungenen Beinen. Wenn man nicht genau wüsste, dass man hier in einem Neubau steht – von alleine käme man jedenfalls nicht darauf. Das alte Wirtschaftsgebäude im Innenhof der Flehinger Mühle wurde so gekonnt durch ein neues ersetzt, dass man den Austausch tatsächlich zunächst gar nicht bemerkt. Die Mischung aus schlichter, klarer Bauweise, kombiniert mit vielen alten Elementen im Inneren, lässt den Neubau organisch und natürlich wirken. So war es auch gewollt, ließen die Planer bei der kleinen Eröffnungsfeier am Donnerstagnachmittag verlauten. Zwar stand das alte Gebäude nicht unter Denkmalschutz, die umliegende alte Sägemühle aber schon, und deswegen war hier Fingerspitzengefühl gefragt.
Entstanden ist ein kleines Café, das den schönen Namen „Stück vom Glück“ trägt. Hier arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung Hand in Hand, jeder nach seinen Möglichkeiten. Das Café ist ein Projekt des Vereins „Mühlwerk Sinneswandel“, dessen zentrale Zielsetzung es ist, Menschen mit unterschiedlich hohem Hilfebedarf ein erfülltes Arbeitsleben zu ermöglichen – mit Tätigkeiten, die sich an den individuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten des Einzelnen orientieren. Ein Zuhause hat der Verein am Ortsrand von Flehingen gefunden, wo das Sozialwerk Bethesda vor etwa fünf Jahren ein großflächiges Gelände erworben hat, um eine innovative Wohnanlage für Senioren zu errichten. In diesem Zuge erwarb das Sozialwerk auch die alte, bereits seit Jahren leerstehende Mühle, suchte nach einer sinnstiftenden Nutzung und fand sie im „Mühlwerk Sinneswandel“. Manuela und Felix Rominski sind das Herz und die Seele des Projekts. Ihre Tochter zeigte bereits in jungen Jahren Anzeichen einer neurologischen Entwicklungsstörung, wodurch die Rominskis mit anderen betroffenen Eltern sowie Pädagogen, Therapeuten und weiteren Unterstützern in Kontakt kamen, die sich zum Ziel gesetzt haben, verlässliche Perspektiven für den späteren Alltag ihrer Kinder zu schaffen. Auch die gesellschaftliche Situation hatten die Gründer im Blick: Es mangelte an Orten, an denen Menschen mit und ohne Behinderung miteinander in Kontakt treten konnten, sowie an beruflichen Möglichkeiten für Menschen mit Behinderung, die nicht in traditionelle Arbeitsstrukturen passten. Diese Lücke soll das Mühlwerk Sinneswandel schließen.
Mit dem kleinen Café ist nun ein erster großer Meilenstein auf diesem langen Weg Wirklichkeit geworden. Ab dem 14. September steht das „Stück vom Glück“ zunächst von Mittwoch bis Sonntag zwischen 13 und 18 Uhr allen Gästen zur Verfügung – eben zur Kaffeezeit, wie Felix Rominski lächelnd betont. Neben Kaffee gibt es natürlich auch viele kleine Leckereien, Torten und Kuchen. Dafür wurde mit Friederike sogar eine Konditorin eingestellt, die bereits zuvor in ihrer beruflichen Laufbahn mit Menschen mit Behinderung gearbeitet hat. In ihrer großen und hell gestalteten Backstube arbeitet sie ganz im Sinne der Inklusion Seite an Seite mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit körperlichen und/oder geistigen Einschränkungen. Dabei gibt es keinen Druck, kein Soll, das erfüllt werden muss. Es geht darum, diesen Menschen eine Perspektive zu geben, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass auch ihr Beitrag wichtig ist und sie Teil von etwas Sinnstiftendem sind. Ob es das Etikettieren von Marmeladengläsern ist, das Abtrocknen von Besteck oder das Einräumen von selbst gemalten Postkarten – die Art der Betätigung ist nicht von Bedeutung, die Betätigung selbst jedoch sehr wohl. „Man muss die Umstände verändern und nicht die Menschen“, bringt es Felix Rominski auf den Punkt. „So wird aus dem Mühlwerk ein Stück vom Glück.“
Ab Oktober soll das Angebot des kleinen Cafés erweitert werden – dann wird es hier auch Frühstück und Brunch geben, sogar am Wochenende. Alles steht bereit, damit das „Stück vom Glück“ nach all den Jahren und Monaten intensiver Planung und Umsetzung endlich Wirklichkeit werden kann. Alles – nein, noch nicht alles.
Das Mühlwerk Sinneswandel, das in seiner Kernaufgabe auf Inklusion setzt und Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam beschäftigen möchte, hofft weiterhin auf die abschließende Zustimmung der Behörden zur dauerhaften Anstellung von vier bereits im Betrieb erprobten Mitarbeitenden. Unterschiedliche Perspektiven zur finalen Auswahl dieser Mitarbeitenden, unter denen auch die Tochter der Rominskis ist, stehen derzeit noch im Raum. Alle Beteiligten arbeiten unter Hochdruck an einer Lösung – einer Lösung, die in welcher Form auch immer unabdingbar für den zukünftigen Betrieb des Cafés ist, denn ohne Zuschüsse für die Angestellten wäre ein Fortbestand undenkbar.
UPDATE 12.09.2024
Aufgrund der großen Resonanz auf diesen Artikel, insbesondere im Kommentarbereich, hat uns Manuela Romanski, geschäftsführende Gesellschafterin des Mühlwerk Sinneswandel die folgenden Zeilen als Antwort darauf übermittelt:
Ein sehr schöner Bericht! Lieben Dank an die Hügelhelden!
Was braucht es, ein solches Projekt zu realisieren? Mut, Energie, Vertrauen, ein bisschen Wahnsinn … und viele Menschen, die mitmachen. Einige gehen ein kurzes Stück mit, einige den ganzen langen Weg. Einige investieren Zeit. Einige Geld. Einige kreative Ideen und Einige sind einfach genau dann da, wenn man sie braucht. Allen gemein ist, sie sind wertvoll. Und dafür sind wir sehr dankbar! Denn das ist ein ambitioniertes Projekt, das nur mit vielseitiger und vielfältiger Unterstützung gelingen konnte.
Ich danke allen die sich eingebracht haben … dem Gründungsteam (neben den genannten Sarah Barresi und Claudia Hackenjos), dem Förderverein, allen Spendern, Sponsoren & Stiftungen, allen Fürsprechern, allen die mit kreativen Aktionen unterstützt haben und die mit Rat & Tat zur Seite standen.
Manuela Rominski, geschäftsführende Gesellschafterin
Nicht unerwähnt bleiben sollte welche Architektin für diese wundervollen Räume verantwortlich ist. Claudia Hackenjos, Mitbegründerin.
Das Mühlwerk Sinneswandel ist ein eingetragener Verein, der von der Mitarbeit, Kreativität und Expertise ALLER Vereinsmitglieder lebt. Herzlichen Dank an dieser Stelle an das Gründungsmitglied Claudia Hackenjos für ihren jahrelangen Einsatz und die Architektenplanung für dieses Leuchtturmprojekt!
Auch wenn sie sich zwischenzeitlich aus internen Gründen aus der Führungsebene verabschiedet hat, sollte doch ein weiteres Gründungsmitglied, nämlich die Architektin Claudia Hackenjos, erwähnt werden. Mit ihrem baulichen Entwurf, Ihrer Tätigkeit als Bindeglied zwischen Architekt und Bauleitung, dem Aquirieren von zahlreichen Helferinnen und Helfern, die sie angeleitet und mit denen sie gemeinsam tagelang tapeziert, gestrichen, Möbel restauriert und aufgebaut hat, hat sie bis zur Eröffnung ganz maßgeblich zum Gelingen des Projekts beigetragen. „Ohne sie, wäre das Café noch heute Baustelle“, wie es einer der Helfer heute ausdrückt. Außerdem stammen die meisten, der auf zahlreichen Märkten und im Café angebotenen selbst gemachten Lebensmittel wie Marmeladen und Liköre aus ihrer Küche.
Dies schreibe ich Ihnen als Gesellschafterin der gUG, Gründungsmitglied und Buchprüferin des Vereins Mühlwerk Sinneswandel, dem ich selbst vor allem wegen ihr und ihrer schwer behinderten Tochter Jule beigetreten bin.
Wenn ich das lese, bin ich echt erschüttert, dass Claudia Hackenjos im Artikel nicht erwähnt wird. Da fehlt es mir an Wertschätzung und Würdigung ihres Engagements? Ich wünsche und hoffe, dass im Mahlwerk Sinneswandel ein wertschätzender Umgang stattfindet und sich die Sinne in diesem Sinne wandeln dürfen.
Toll und sehr bewundernswert, dass ist mal Inklusion, sinnbringender und bereichernd für Personal und Gäste, bravo! 🥰
Für mich ist erwähnenswert das es den“besonderen“ Menschen zugute kommt. Ein in der heutigen Zeit wirklich wichtiger Grund und ich hoffe das viele Menschen das Projekt unterstützen!!
Vielen Dank, daß Sie uns das Projekt vorgstellt haben. Die Braxmeiermühle kenne ich seit sehr langer Zeit. Jahrelang stand die Mühle leer und ich hatte keine Hoffnung mehr gehabt, daß dieses Prpojekt jemals realisiert wird. Alle Achtung was daraus geworden ist.