Die Welle nach der Flut

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Auch noch rund zehn Tage nach der Flutkatastrophe in Gondelsheim schwappt eine riesige Welle der Hilfsbereitschaft und Solidarität über die schwer gebeutelte Kraichgau-Gemeinde.

von Stephan Gilliar

Ganz Gondelsheim vibriert regelrecht. Emsiges Treiben überall in den Straßen und Gassen, vor allem aber in den mit Schlamm und Dreck überzogenen Gärten, Einfahrten und natürlich in den Kellerräumen. Überall parken Lieferwagen von Handwerkern, teilweise von weit außerhalb der Region. Man hört das Brummen von Bautrocknern und das scharfe, wespenartige Zischen der Hochdruckreiniger. Mit Schubkarren wird bis zur Unkenntlichkeit zerstörter Hausrat aus den noch immer nassen Räumen auf die Straße geschafft, auch noch heute, rund zehn Tage nach der verheerenden Hochwasserkatastrophe.

Mit schweren schwarzen Schläuchen spülen Tankwagen die Kanalisation, die Polizei fährt daneben mit ihrem riesigen Wasserwerfer die Bruchsaler Straße entlang und bläst mit dem Druck des Wassers durch die geöffneten Gullydeckel. Über all dem liegt immer noch ein leicht modriger Geruch nach Schlamm und Unrat, angefacht durch die Hitze dieses Sommertages. Ganz Gondelsheim ist überzogen mit einem braunen Schleier; die Hinterlassenschaften des Wassers prägen auch jetzt noch die Szenerie. Der nächste Regen wird auch diese Spuren fortwaschen, doch Regen wird man in Gondelsheim vermutlich nie wieder unbedarft und sorglos entgegensehen. „Ich bekomme regelrecht Panik bei dem Gedanken, dass all das noch mal geschehen könnte“, sagt Bürgermeister Markus Rupp, dem die Anstrengungen der hinter ihm liegenden neun Tage deutlich ins Gesicht geschrieben stehen. Dicke Ringe der Müdigkeit liegen um die Augen des seit 1998 amtierenden Bürgermeisters der Kraichgau-Gemeinde. Unter seinem Hemd ist die Haut grün-blau verfärbt – eine Erinnerung an einen Sturz in einen offenen Gullydeckel während der Flutnacht, der beinahe fatal ausgegangen wäre, hätte nicht ein Polizist Markus Rupp an der Hand wieder nach oben gezogen.

Keine zehn Meter kann der Bürgermeister durch die Straßen von Gondelsheim gehen, ohne dass er von irgendjemandem angesprochen wird. „Können Sie nicht … würdest du mal … schau doch mal schnell …“. Es gibt viele Anliegen, die die Menschen in Gondelsheim seit diesem 14. August haben. Fast jeder trägt auf seine Weise eine Bürde, eine Sorge mit sich herum. Sie vertrauen ihrem Bürgermeister, wenden sich mit ihren Problemen direkt an ihn, wissen sich bei ihm gut aufgehoben. So werden Hände gedrückt, Schultern geklopft und nicht selten herzliche Umarmungen ausgetauscht. „Das ist mein Gondelsheim. Wenn es darauf ankommt, rückt man zusammen“, weiß Markus Rupp und ist immer noch gerührt ob der Welle der Solidarität, die nach der Flutwelle ohne an Fahrt zu verlieren durch den Ort rollt.

Überall wird mit angepackt – selbstlos, ohne zu murren oder etwas dafür zu wollen. Man hilft eben, wo man gebraucht wird, und das betrifft so viele Menschen, so viele Haushalte im Ort. Durch das Wasser wurden nicht nur die Keller und Wohnräume geflutet, sondern auch wichtige Infrastruktur zerstört, beispielsweise unzählige Heizungsanlagen, sodass kaum warmes Wasser zum Duschen zur Verfügung steht. Wer kann, geht zu den Nachbarn, doch auch in der Saalbachhalle stehen sanitäre Anlagen für die Flutopfer zur Verfügung. Die gute alte Mehrzweckhalle, die wie durch ein Wunder trotz enger Nachbarschaft zur Saalbach ungeschoren davonkam, ist das Nervenzentrum der Gondelsheimer Solidarität. Immer wieder liefern Freiwillige hier kostenlos Lebensmittel an: Brötchen vom Bäcker, Fleisch vom Metzger, Obst und Gemüse von den Landwirten und Supermärkten. Dazwischen steht der Hausmeister, kocht und brutzelt unermüdlich für alle, die Stärkung brauchen. Eine Gruppe Polizisten sitzt an einem der Tische, trinkt einen schnellen Becher Kaffee, bevor es gleich wieder weitergeht. Arbeit gibt es immer noch genug, und sie wird Gondelsheim auch noch lange Zeit nicht ausgehen.

Was Gondelsheim an diesem Dienstag vor einer Woche zugestoßen ist, lässt sich kaum mit anderen Überflutungen der vergangenen Jahre vergleichen. „Wir wurden vom Wasser regelrecht in die Zange genommen“, erinnert sich Markus Rupp nur zu gut an diesen schicksalhaften Abend. Als die Pegelstände in der Nachbarschaft von Orange auf Rot sprangen, war er längst auf den Beinen, um zu helfen, wo es zuerst geboten war. Beim Betreuten Wohnen, einer Wohnanlage für Senioren direkt am Saalbach, sorgte er zuerst dafür, dass die Menschen aus dem Erdgeschoss Zuflucht in den oberen Stockwerken suchten. Danach bat er die Feuerwehr, den in einem ebenerdigen Bungalow am Saalbachufer lebenden Dietmar Freisler, Ehrenbürger und Urgestein Gondelsheims, zu evakuieren. Die Floriansjünger schafften es gerade noch so.

Man muss sich die Menge an Wasser vergegenwärtigen, die an diesem Abend in Gondelsheim über dem Dorf niederging. Fast 160 Liter pro Quadratmeter – das entspricht ungefähr der Füllmenge einer Badewanne, die sich auf die Größe eines kleinen Küchentischs ergießt. Markus Rupp schaffte es gerade noch rechtzeitig zu Fuß über die Brücke beim Meierhof ins Rathaus, bevor der Saalbach ihm den Weg abschnitt. Das Wasser kam jedoch nicht nur durch das kleine Flüsschen, sondern auch in gigantischen Mengen über die Abhänge an den Flanken der Gemeinde talwärts geschossen. „Man konnte mit dem bloßen Auge zusehen, wie der Pegel ansteigt – innerhalb von einer Viertelstunde um einen guten Meter“, erinnert sich der Bürgermeister. „Ich habe wirklich Angst um die Menschen bekommen.“ Nicht zu Unrecht: Leicht hätte eine Überflutung dieser Größenordnung Menschenleben kosten können. Doch wie ein Wunder wurde kaum jemand auch nur ernsthaft verletzt. „Wir hatten eine Familie, die in ihrem Keller eingeschlossen war. Nur weil die Kraft des Wassers die Kellertür irgendwann splittern ließ, konnten sie sich befreien. Sonst wären sie dort einfach ertrunken“, erzählt Markus Rupp. Nur eine dramatische Geschichte von vielen, die er an diesem Abend miterlebt hat. Menschen wurden nicht nur in ihren Häusern vom Wasser eingeschlossen, sondern auch in ihren Fahrzeugen von der Flut mitgerissen.

Die Wunden, die das Wasser Gondelsheim zugefügt hat, sind oberflächlich bereits gut verheilt. Durch einen enormen logistischen Kraftakt konnten Tausende Tonnen Schlamm, Unrat und Sperrmüll bereits abtransportiert werden. „Wir haben wirklich das ganz große Rad gedreht“, weiß Markus Rupp und ist neben den vielen freiwilligen Helfern in Gondelsheim auch auf sein Team im Rathaus stolz. Die neue Bauamtsleiterin habe fast rund um die Uhr durchgearbeitet und Unglaubliches gestemmt. Ein Team der Verwaltung ziehe auch heute noch durch die Straßen, um direkt vor Ort bei den Menschen zu erfragen, wo es noch brennt, wo noch Hilfe nötig ist. Der Bauhof sei im Grunde seit einer Woche schlaflos; alle zögen unerbittlich an einem Strang. Das Getriebe des kleinen Gondelsheims läuft zwar heiß, aber nach wie vor wie geschmiert. Das muss es auch, denn die Nachwehen der Katastrophe werden noch lange anhalten. Am Mittwoch gibt es eine große Bürgerversammlung, bei der mehrere Experten den Menschen Tipps in unterschiedlichste Richtungen geben werden: Versicherungen, Vorsorge, Wiederaufbau – eben alles, was jetzt relevant ist und in Zukunft relevant werden wird.

Welche Kosten gerade für das kleine Gondelsheim auflaufen, will sich Markus Rupp zur Stunde gar nicht ausrechnen. Aktuell geht es einfach nur ums Machen. „Alles, was wir in diesen ersten Tagen erledigen, wird nicht auf die Menschen in Gondelsheim umgelegt, das tragen wir“, versichert der Bürgermeister. Über das „Wie“ müsse man sich zu einem späteren Zeitpunkt Gedanken machen.

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11 Gedanken zu „Die Welle nach der Flut“

  1. Und es wird wieder kommen…und es wird auch andere treffen.
    Wir haben das nicht mehr im Griff.
    Wir brauchen riesige Auffangmöglichkeiten, nicht nur in Gondelsheim.

    • Bei einer Wassermenge, wie sie vergangene Woche auftrat, wäre jede Form künstlich geschaffener Auffangbecken schnell überfordert gewesen. Gegen Überflutungen dieser Größenordnung lässt sich vermutlich kein 100-prozentiger Schutz generieren.

      • Entschuldigung, das ist schlichtweg falsch. Ich empfehle, sich die Bauten in Paris oder Tokio anzusehen. Und dort hat man mit ganz anderen versiegelten Flächen und speziell in Tokio mit ganz anderen Regenmengen zu tun.
        Wo ein Wille wäre, wäre auch ein Weg.

        • wie wär´s mit einfach mal weniger mit dem Auto fahren?
          Weniger Fleisch essen?
          Nicht mehr 5 mal im Jahr in den Urlaub fliegen?

          Es könnt´alles so einfach sein….

        • Damit macht man es sich dann aber doch zu leicht. Es war nicht nur der Saalbach, der für das viele Wasser gesorgt hat, sondern auch die statische Gewitterzelle mit einer riesigen Regenmenge, die über die Hanglagen zusätzlich in die Gemeinde geflossen ist. Geht man bei Gondelsheim von einer Grundfläche von etwa etwa 15-16 km² aus, wären an diesem Abend bei 165 l/Quadratmeter also etwa 2,5 Millionen m³ Wasser zu verarbeiten gewesen, fast 1000 olympische Schwimmbecken. Das ist schon eine enorme Menge Wasser, die ein künstliches Bauwerk aufnehmen müsste. Uns ist klar, dass die Modellrechnung nicht sehr exakt ist, aber Pi mal Daumen war es in jedem Fall extrem viel Wasser, bedingt durch ein extremes Ereignis.

          • Hier eine weitere Milchmädchenrechnung.
            Ich habe als Vergleichsmodell den Polder Rheinschanzinsel Philippsburg gewählt.
            Hochwasserrückhalteräume – Stadt Philippsburg
            „… Auf einer Fläche von rd. 210 ha können dort ca. 6,2 Mio. cbm Wasser zurückgehalten werden… “
            Mit den Angaben von Hügelhelden:
            ca. 2,5 Mio. cbm sind runtergekommen (Zeit ?) -> die würden ca. 40% des Polders Rheinschanzinsel füllen (in 2h, 3h, 4h ?),
            und ca. 0,4 x 210ha dafür benötigen ?
            Das wären 84ha.
            Die Fläche Gondelsheims beträgt 4km x 4km = 16(km)^2 = 1600ha
            84ha wären 5,3% der Gesamtfläche von Gondelsheim für Hochwasserrückhaltung.

  2. Es muss ja nicht so ein künstliches Bauwerk sein wie in Tokyo.
    Es reichen schon Rückhaltebecken oder Seen. Oder Speicher für Regenwassernutzung in der Fläche. Nach dem Motto „Kleinvieh macht auch Mist“.
    Das will man aber nicht. Ersteres wegen Fläche und Eigentum (komisch, bei Gewerbe- und Neubaugebieten geht das…), letzteres wegen angeblichen Klärmehraufwand und Mindereinnahmen bei Verkauf von (Bodensee-)Trinkwasser.
    Es es allein der Wille zur Änderung, der fehlt. Technisch wäre vieles machbar.

  3. Gebe meinen VorrednerInnen voll Recht!
    Und bleibe dabei: dieser Landkreis bekommt nix auf die Reihe, wedern beim Verkehr, beim Naturschutz und auch nix beim Hochwasserschutz.
    Wird man vorstellig, wird man arrogant abgenutzt.
    Halt, doch eines können sie: an den BürgerInnen sparen.
    Hätte ich hier nicht so viel investiert, wären wir schon längst weg. Es gibt lebenswertere Gegenden, auch in Deutschland.

  4. @Anonymous: Sauber, jetzt wäre nur die Frage: liegt der Polder Rheinschanzinsel möglicherweise in der Rheinebene und Gondelsheim hingegen in einer Tallage im Kraichgau? Wo bitteschön soll in Gondelsheim Platz sein für einen Polder auch nur mit 40% der Rheinschanzinsel? Hint: er muss auf Saalbachhöhe liegen….

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