Das erste Mal seit der großen Flut feiert Gondelsheim gemeinsam auf seinem Rathausplatz.
Oberflächlich sind die Wunden geheilt, die die Flut vor rund drei Wochen in Gondelsheim geschlagen hat, doch wer genau hinsieht, spürt ihren Nachhall noch immer. Schlammspritzer an den Fassaden und auf den Gehsteigen, hier und da noch ein kleiner Haufen Sperrmüll, der Schnellimbiss an der Bruchsaler Straße ist immer noch geschlossen. Könnte man hinter die Türen und Fenster blicken, so würde man auch jetzt noch auf feuchte Keller, zerstörte Heizungsanlagen, klamme Tapeten, zerstörten Hausrat und viel Frustration stoßen.
Darf man in einer solchen Situation, wenn sich ein ganzes Dorf noch die Wunden leckt, eigentlich wieder fröhlich und unbeschwert feiern? Diese Frage hat sich der Musikverein Gondelsheim im Vorfeld seiner traditionellen Hocketse auf dem Rathausplatz gestellt und dabei die Befindlichkeiten der Menschen im Dorf nicht auf die leichte Schulter genommen. „Natürlich haben wir uns Gedanken gemacht in der Vorstandssitzung“, erzählt Manuel. „Da standen Fragen im Raum wie: ‚Machen wir es? Ist es zu früh? Ist es falsch?‘“ Letztlich habe man sich dazu entschlossen, die Veranstaltung durchzuführen, denn das Feedback im Vorfeld war überwältigend. „Da ist wieder eine echte Lust auf Normalität“, sagt Manuel, und auch seine Vereinskollegin Hannah bestätigt: „Bei den Proben haben wir aus dem ganzen Ort nur Positives gehört.“
Gut, dass der Musikverein an den Plänen festgehalten hat, denn das kleine Fest am Samstagabend war wie Balsam für die Gondelsheimer Seele. Unterstützt wurden die Musiker auch von den Handballern, die an diesem Tag ein Turnier in der Saalbachhalle ausgetragen haben, sowie von der Brauerei Hoepfner, die ein paar hundert Liter Freibier spendierte. Das halbe Dorf strömte auf den Rathausplatz, einfach nur, um beieinander zu sein, zusammenzusitzen, etwas zu trinken, etwas zu essen und den Ärger, den Frust, die Angst und vor allem die Sorgen der letzten Wochen eine Weile zu vergessen. Auch Johanna vom Kohlerhof, gelegen jenseits der B35 auf den abschüssigen Feldern, die das Wasser wie einen Trichter direkt ins Dorf geleitet haben, sitzt heute Abend mit ihrer Tochter Laura, ihrem Mann Marco und ihrer Mutter Claudia unter der großen Linde vor dem Rathaus. Ihren Biohof, von dem aus sie Obst und Gemüse überall in der Region vertreibt, hat es knüppelhart getroffen. Satte 1,40 Meter stand ihre Halle unter Wasser, alles haben die Fluten auf ihrem Weg talwärts zerstört.
„Alle Maschinen waren kaputt, ein Kühlhaus hat es zerlegt, wir haben ganze drei Tage lang Schlamm aus der Halle geschippt“, erzählt Johanna, die am Abend der Flut noch im Familienurlaub in Ostfriesland war und das Drama nur aus der Ferne verfolgen konnte. Mittlerweile kann sie wieder lachen, jeden Tag wird es ein bisschen besser. „Am Anfang haben wir gedacht, die Kohlerkiste wäre erledigt, doch jetzt haben wir die Arbeit schon wieder vom Hof meiner Eltern aufgenommen“, erzählt sie und legt viel Optimismus in ihre Stimme. Für die Hocketse der Gondelsheimer Musiker ist sie dankbar. „Es tut total gut, mal abzuschalten und wieder unter Menschen zu kommen.“
So sehen das auch Helga und Peter, die durch die Flut sogar ihr Heim verloren haben. Das Wasser von den Hügeln, das auch dem Kohlerhof zum Verhängnis geworden ist, hat in ihrem Haus derart große Schäden verursacht, dass sie mittlerweile umziehen mussten. Was beide auf den Beinen gehalten hat, war die unglaubliche Welle an Hilfsbereitschaft der Menschen aus dem Dorf. „Was die Nachbarschaft da geleistet hat, war einfach nur Wahnsinn“, erzählt Helga, die ein T-Shirt mit dem Gondelsheimer Wappen in einem Herzen trägt, auf dessen Rückseite zu lesen ist: „Helfen, ohne zu fragen, wem“. Nicht nur sie trägt ein solches T-Shirt, auch Peter, Enkelin Veda, ihre Tochter Sabine und ihr Schwiegersohn Timo. Er hatte die Idee für die Shirts, deren Erlös fast vollständig in die Spendenkasse der Gemeinde Gondelsheim zugunsten der Flutopfer fließt. „Weil es Leute gibt, die es noch schlimmer getroffen hat, werden die Erlöse gespendet“, erklärt Timo und deutet auf die Schautafel links neben der alten Schule, wo es Infos über das Projekt und die Bestellmöglichkeiten gibt. (Wir haben dieses Bild samt Infos in unserer Galerie online gestellt.)
Auch wenn die Flut Gondelsheim viel genommen hat, so hat sie doch eines bewirkt: Die Menschen hier sind näher aneinandergerückt, das Wasser hat sie enger zusammengeschweißt und in vielen von ihnen den Glauben an das Gute in uns allen – trotz all der Hiobsbotschaften, die tagtäglich über unseren Köpfen zusammenschlagen – wieder gestärkt. Ein Gut, das sich, anders als die Schäden der Flut, nicht in Geld beziffern lässt, dafür aber dennoch unendlich wertvoll ist.