Der letzte Track des Sommers

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“Rock die Weide“ verabschiedet mit einem gigantischen Open-Air den Sommer 2024.

Ich fahre auf meinem gelben Roller durch die abendlichen Kraichgau-Dörfer. Es ist ruhig auf den Straßen, und dennoch scheint die Luft irgendwie zu vibrieren. Überall riecht es nach Grillkohle, man hört Stimmen und Musik aus den Gärten und Hinterhöfen. Es scheint fast, als ob die Menschen, sich des herannahenden Herbstes bewusst, diesen Sommer noch ein letztes Mal feiern und an ihm festhalten wollen, während er sich still und leise für dieses Jahr verabschiedet. Ein bisschen Wehmut liegt in der Luft, doch so ist er nun einmal, der Lauf der Welt und der Gang aller Dinge. Es sind Tage, die einem klarmachen, dass es das Leben genau hier und heute zu feiern gilt, denn was morgen ist – wer weiß das schon?

Genau dieses Credo scheint auch das unausgesprochene und dennoch allgegenwärtige Leitmotiv der vierten Ausgabe des Open-Air-Festivals „Rock die Weide“ auf dem Acker des Milchhofes der Familie Hoffmann in Flehingen zu sein. Einmal noch ist der Abend heiß, duftet das Gras satt und grün, und das Abendrot schimmert warm und gütig am Horizont. Alle sind sie gekommen, um gemeinsam dieses Fest zu feiern, zur Musik zu tanzen und eine schöne Zeit zu haben – draußen, unter der Wärme des immer fahler werdenden Sommerhimmels. Es scheint an diesem Abend gar nicht so sehr um die Musik selbst zu gehen. Nur ein Teil der Menschen steht zu Beginn vor der Bühne, wo die wilden Kerle wohnen und dröhnen. Eine Schar Hardrock-Fans schüttelt wild das Haupthaar, während die Heiligen Dämonen (Datum der Heiligsprechung unbekannt, Anfrage an den Vatikan läuft) ihren Tribut an die Böhsen Onkelz lautstark in den Flehinger Himmel schicken. Viele andere aber stehen etwas abseits, unterhalten sich angeregt in kleinen Gruppen, sitzen an den Biertischen und genehmigen sich ein zünftiges Abendessen. Was Letzteres angeht, so muss man wirklich den Hut vor der Milchhof-Küche ziehen. Während die Verpflegung auf Festivals normalerweise eher in der Kategorie “Nährstoffversorgung” rangiert, war das, was hier auf weißen Papptellern serviert wurde, geradezu Sterneküche. Der Braten mit glasierten Zwiebeln im weichen Weckle lässt mich jetzt noch sehnsüchtig und hungrig an den Samstag zurückdenken.

Zwischen all den T-Shirts mit Band-Logos aller Art und den unzähligen Helfern mit dem Rock die Weide-Emblem auf Brust und Rücken stechen zwei orange Hemden deutlich heraus. Die Farbe ist den beiden Organisatoren vorbehalten, Jessy und Steffen, die einmal mehr für ganz großes Kino auf dem Acker gesorgt haben. Trotz Heirat, Vollzeitjobs, Schwangerschaft und dem üblichen 24-Stunden-Tag in der Landwirtschaft haben die beiden zum vierten Mal dieses kleine, aber große Festival auf die Beine gestellt und dabei an alles – aber auch wirklich alles – gedacht: vom Aschenbecher bis zum Notausgangsschild, von der Security bis zum Barkeeper, vom QR-Einlass-Code bis zur obligatorisch versifften Cordcouch im Backstage-Bereich. Man muss es einfach knallhart sagen: Die beiden tun damit für die Kraichgauer Jugendkultur an einem Abend mehr, als manch eine Kommune übers ganze Jahr hinweg.

Aus irgendeinem Grund funktionierte auf der Weide auch der in diesem Jahr gewagte Genremix der gebuchten Bands. Von wirklich hartem Hardrock bis zu sanft-softem Cover funktionierte tatsächlich alles. Das Publikum zeigte sich offen und bereit, einfach alles an diesem letzten Sommerabend zu feiern und hochleben zu lassen.

Heute ist all das schon wieder Geschichte. Die Bühne ist abgebaut, die Gäste sind abgereist. Auf dem Milchhof hält der Alltag wieder Einzug. Wo am Wochenende noch gerockt und gefeiert wurde, grasen heute schon wieder die Kühe. Doch wenn man ganz leise ist und das Ohr auf die grüne Weide legt, dann kann man sie schon fast wieder hören: die ersten Klänge der Musik, das fröhliche Gelächter der Menschen. Denn eines ist sicher: Nach dem Herbst kommt der Winter, dann der Frühling – und mit dem Sommer bereits die nächste Ausgabe von Rock die Weide. Wir freuen uns schon jetzt darauf.

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