Noch bis vor kurzem haben Inna und Olga ein eigenes Restaurant in der Altstadt von Odessa am Schwarzen Meer betrieben, doch dann kam der Krieg…
von Stephan Gilliar
Ich kann meinen Hut vor Bewunderung überhaupt nicht tief genug ziehen, so sehr beeindruckt mich die Geschichte von Olga und ihrer Mutter Inna. Die beiden mussten nicht nur quasi über Nacht ihre Freunde, ihr vertrautes Umfeld, ihre Berufe und ihre Pläne in der Ukraine hinter sich lassen, sondern haben es auch geschafft, in der Fremde die ersten Grundsteine für eine ganz neue Zukunft zu legen.
Stellen Sie sich das einfach für einen Moment vor Ihrem geistigen Auge vor: Aus heiterem Himmel würde unser Heimatland von einem ausländischen Aggressor überfallen, Frieden und Sicherheit würden innerhalb von wenigen Stunden Krieg und Angst weichen. Um für das Wohl ihrer Familie zu sorgen, würden auch sie vermutlich Hals über Kopf alles stehen und liegen lassen, was sie sich ein Leben lang aufgebaut haben, was ihnen vertraut ist und was ihnen Halt gegeben hat.
Sie würden über Nacht in die Fremde ziehen, ihr Lager an einem neuen Ort aufschlagen, an dem sie kaum jemanden kennen, mit den Sitten und Gebräuchen nicht vertraut sind und keine einzige Silbe der hiesigen Sprache sprechen. Ich bin mir recht sicher, dass ich in einer solchen Situation in Trauer und Depression und Mutlosigkeit versinken würde, kaum in der Lage wäre mir kurz oder auch nur mittelfristig ein neues Leben oder gar einen Alltag aufzubauen. Noch viel weniger könnte ich mir vorstellen, die behördlichen Strukturen, die Gesetzeslage und die Formalitäten vor Ort zu verinnerlichen und quasi aus dem Stand in eine neue Selbständigkeit zu starten.
Inna und Olga aus Odessa in der Ukraine haben aber genau das getan. Seit einigen Monaten betreiben sie in der Bruchsaler Innenstadt ein kleines, ukrainisches Café mit Spezialitäten aus jener Heimat, die sie überstürzt verlassen mussten, als der russische Angriffskrieg im Februar 2022 seinen unheilvollen Anfang nahm. Auf wenigen Quadratmetern in einer kleinen Gastro-Nische in der Kaiserstraße servieren Sie zum Beispiel tiefroten Borschtsch, deftig-süße Blinis mit Hackfleisch, Schmand oder wahlweise einer süßen Füllung. Dazu stehen in der kleinen Vitrine süße Törtchen und Kuchen mit glänzender Glasur und in allen Farben des Regenbogens. Zubereitet werden die Süßstücke von der 19-Jährigen Olga, die in Odessa bis zum Kriegsausbruch eine Ausbildung zur Konditorin durchlief. Abschließen wird sie diese nicht gemeinsam mit den anderen Auszubildenden in der Heimat, sondern am Bildschirm.. Zwischenzeitlich laufen die Lektionen zumindest online weiter.
In der Küche an den dampfenden Kochtöpfen und den zischenden Pfannen hantiert zeitgleich ihre Mutter Inna. Eine Arbeit, die sie aus dem Stand beherrscht, schließlich hat sie bis zu ihrer Flucht ein eigenes Restaurant in der Altstadt von Odessa, einer Hafenstadt am Schwarzen Meer, betrieben. Was daraus geworden ist, das weiß sie nicht, sie hat kaum noch Kontakt in die Heimat. Sie hält es nicht lange aus, darüber nachzudenken oder zu sprechen, was zu Hause, was mit ihrem Land geschieht. In den ersten Wochen nach ihrer Ankunft in Bruchsal – ihr Mann war zum Arbeiten schon früher hier, daher war diese Wahl naheliegend – versank die 39-Jährige in Depressionen, wer könnte ihr das auch verdenken? Weiter möchte sie lieber nicht über den Krieg sprechen, glaubt jedoch kaum, dass dieser bald endet, oder dass sie unmittelbar nach dessen Ende zurückkehren wird, in eine zerstörte Heimat, die dann kaum wiederzuerkennen ist. Man merkt, Mutter und Tochter haben schwierige Monate hinter sich, eine belastende und zutiefst zermürbende Zeit voller Ängste und Sorgen.
Doch sie haben sich beide berappelt. Anstatt über das Smartphone und die Medien eine Hiobsbotschaft nach der anderen aus der Ukraine verarbeiten zu müssen, entschieden sie sich für einen Neustart und eine Perspektive in der gewählten neuen Heimat Deutschland. Gemeinsam mit Bekannten und Freunden, darunter die durch und durch liebenswerte kasachische Krankenschwester Helena, die für dieses Interview freundlicherweise die Übersetzung übernommen hat, wird eine kleine Gewerbefläche angemietet, das Inventar beschafft und die notwendigen Qualifikationen und Genehmigungen eingeholt. Zuvor hatte Inna schon ein paar Wochen lang im Bruchsaler Krankenhaus gearbeitet, ein erster Kontakt mit den gastronomischen Gepflogenheiten hierzulande.
Die Eröffnung ihres winzigen Cafés, das gerade mal über drei kleine Tische verfügt, gelingt durch die Macht der sozialen Netzwerke. Allein in Bruchsal gäbe es eine Telegram-Gruppe mit über 800 Mitgliedern, erzählt Helena, allesamt Geflüchtete aus der Ukraine und damit nicht nur Landsleute, sondern auch Schicksalsgenossen. Doch auch die angestammten Bruchsalerinnen und Bruchsaler interessieren sich zunehmend für den Neuzuwachs und die unbekannten Gerichte aus einer Region Europas, die im Kraichgau bis dato im Grunde nicht vertreten war. Sogar meiner Tochter, die mit ihren jungen Jahren das Paradebeispiel eines Kostverächters ist, schmecken die ukrainischen Pfannkuchen mit deftiger Füllung und der geschmacklichen Symbiose aus süß und deftig ausgenommen gut. Vertrauen Sie mir, wenn ich sage, allein das schon ist ein Ritterschlag ;-)
An einem heißen Sommertag würde ich vermutlich nicht im “Taki Da Vkusno” einkehren, was man mit “Das ist ja lecker” übersetzen könnte, dafür ist mir die ukrainische Küche etwas zu gehaltreich. Deftig, süß und schwer sind die Gerichte auf der kleinen Speisekarte und damit nach meiner Wahrnehmung eher etwas für die kälteren Monate. Ein Glück also, dass diese, nachdem dem Sommer vermutlich bald die Puste ausgehen wird, schon in Kürze in Bruchsal Einzug halten werden. Bleibt am Ende nur eine klare Empfehlung auszusprechen: Die Empfehlung Neues auszuprobieren und die neu Zugezogenen nach Kräften zu unterstützen. Смачного!