Schmutzkampagne zur Unzeit?
Seit in Baden-Württemberg 2013 die ersten Gemeinschaftsschulen ihren Betrieb aufnahmen, ist die junge Schulformen beständiger Kritik ausgesetzt. Noch bevor wirklich belastbare Ergebnisse vorlagen, befand zum Beispiel die Landes-CDU bereits 2016 in ihrem Wahlprogramm die Gemeinschaftsschule als “gescheitert”. Nun, wenige Tage vor den Informationsveranstaltungen und dem Einschreibungsbeginn an vielen Gemeinschaftsschulen, erhält die Kritik eine neue Qualität und Dimension..
In einer öffentlichen Mitteilung des Philologenverbandes Baden-Württemberg, griff die Interessenvertretungen für gymnasiale Lehrkräfte das Modell Gemeinschaftsschule im Land harsch an und unterstellte der neuen Schulform mangelhafte Förderung von Kindern mit Gymnasialempfehlung, attestierte massive Disziplinprobleme und formulierte schließlich noch den Verdacht Ergebnisse könnten hier bewusst geschönt werden. Der Verband forderte zudem die Politik auf, der Gemeinschaftsschule Mittel zu kürzen und diese den Gymnasien im Lande zugute kommen zu lassen.
Wir haben mit dem Rektor der Lußhardtschule Forst Hambrücken und dem SPD Kreisvorsitzenden der AG Bildung Stephan Walter über die Kritik und ihre Folgen gesprochen:
Zwischenzeitlich haben sieben Rektoren von Gemeinschaftsschulen im Stadt- und Landkreis Karlsruhe ein gemeinsames Statement in dieser Angelegenheit verfasst, das unserer Redaktion im Originalwortlaut vorliegt:
Rektoren an Gemeinschaftsschulen der Region Karlsruhe weisen die Kritik des Landesphilologenverbandes zurück
Auf Aussagen von 15 Gymnasiallehrkräften an Gemeinschaftsschulen stützt der Philologenverband seine Attacke auf die Gemeinschaftsschulen. Das sind rund 1 Prozent von etwa 1.330 Gymnasiallehrkräften, die momentan an Gemeinschaftsschulen unterrichten. „Das ist nicht repräsentativ und damit unglaubwürdig“, so der Rektor der Lußhardtschule Forst-Hambrücken und SPD-Kreisvorsitzender der AG Bildung, Stephan Walter. „Überproportional viele Schüler mit Hauptschulempfehlung erreichen an den Gemeinschaftsschulen den Realschulabschluss“, so Walter, „mehr als an jeder anderen Schulart – diesen Erfolg verschweigt der Philologenverband“.
Dass sich der Philologenverband an der Gemeinschaftsschule abarbeitet, hat aus Sicht deren Interessensvertretung, des Verbandes der Gemeinschaftsschulen Baden-Württemberg, einen guten Grund: „Unsere Schulen zeigen, wie zeitgemäße Entwicklung von Bildungsangeboten orientiert an internationalen Standards in der Praxis funktioniert“, erklärt Vorsitzender Wagner-Uhl. In Kombination mit der Genehmigung weiterer Oberstufenstandorte sieht sich die Gymnasial-Lobby seit Jahren erstmals im Zugzwang, sich mit ihrer Weiterentwicklung zu beschäftigen. Ein schwieriges Unterfangen für eine Schulart, die sich der gesellschaftlichen Dynamik konsequent durch Abgrenzung und Ausgrenzung verweigert. Zudem halten die Gemeinschaftsschulen ein attraktives Angebot zum G9-Abitur bereit, um das sie viele Allgemeinbildende Gymnasien beneiden. Weitere gymnasiale Oberstufen sind derzeit sowohl in Karlsruhe als auch in Friedrichshafen geplant. Auch im nördlichen Landkreis war eine gymnasiale Oberstufe an einer Gemeinschaftsschule wiederholt im Gespräch.
In der Sekundarstufe 1 aller Schularten werden Disziplin- und Verhaltensprobleme an erster Stelle genannt. „Wir brauchen dafür bessere Unterstützung an Gymnasien, Realschulen, Gemeinschaftsschulen sowie den Haupt- und Werkrealschulen. Das können kleinere Klassen und Lerngruppen, zusätzliche pädagogische Kräfte wie Schulsozialarbeiterinnen und mehr Fortbildungen sein. Wir erleben immer wieder, dass Fortbildungen zum Umgang mit Heterogenität überbucht sind“, sagte Doro Moritz, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Um die Leistungsfähigkeit der Gemeinschaftsschulen zu stärken und den zunehmenden schulischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht werden zu können, fordert der Verband Bildung und Erziehung (VBE) wirkungsvolle und gezielte Maßnahmen. Die Gemeinschaftsschule ist eine verbindliche Ganztagsschule. Für die Organisation eines qualitativ ansprechenden Ganztagesangebotes mit pädagogischer Zielsetzung müssen ausreichend und mehr sächliche und zeitliche Ressourcen geschaffen werden. Coaching-Gespräche sind ein wesentliches Merkmal der Gemeinschaftsschule und im Direktbereich zuzuweisen. Um der Individualisierung, insbesondere in Klasse 8, 9 und 10, voll umfänglich gerecht zu werden, bedarf es pro Klasse und Niveaustufe mindestens eine Lehrperson in den Kernfächern sowie eine deutliche Erhöhung des Stundenpools, so der Landesvorsitzende Gerhard Brand.
- Stephan Walter, Lußhardt-GMS Forst-Hambrücken
- Christiane Naaß, GMS Waghäusel
- Karin Sebold, Turmberg-GMS Weingarten
- Elisabeth Eser, GMS Eggenstein-Leopoldshafen
- Karsten Ex, GMS Oberhausen-Rheinhausen
- Micha Pallesche, Ernst-Reuter GMS KA,
- Friedbert Jordan, GMS Grötzingen