Früher sorgte der Fluglotse und Wahl-Bruchsaler Thomas Kayser während des kalten Krieges für Sicherheit am deutschen Himmel… Heute tüftelt er an seinem Traktor und bringt im Rohrbachtal die Ernte ein
Seit vielen Jahrzehnten lebt und wirkt Thomas Kayser bereits im Kraichgau, seine Herkunft offenbart sich aber bereits nach den ersten Worten ohne jedweden Zweifel. Die “Eifler Platt” springt sofort ins Ohr, ein Dialekt mit echtem Wiedererkennungswert, der einen Badner unwillkürlich zum Schmunzeln bringt. Aber wie sagen die Ur-Eifler so schön: “Dumm säin die, die die, die die Mundart huh halle, fia dumm halle.” Recht hon se!
Geboren wurde Thomas Ende der 50er Jahre im kleinen Dörfchen Dünfus, mitten in der rheinland-pfälzischen Eifel, nahe der Stadt Cochem. Nicht einmal 300 Seelen leben hier – damals, als Thomas ein Kind war, waren es sogar noch weniger. Seine Eltern bewirtschafteten auf ihrem kleinen Bauernhof etwas Land und führten ein Leben in einfachsten Verhältnissen. Auf den Tisch kam, was die eigenen Hände erarbeiteten – anpacken musste ein jeder – Tag für Tag, ab dem ersten Hahnenschrei. Doch so sehr sich Thomas Eltern auch abmühten, irgendwann brachte die Landwirtschaft dann einfach zu wenig ein und sein Vater musste zusätzlich als Wachmann in einem nahen Betrieb arbeiten.
Als Thomas mit etwa 16 Jahren seine mittlere Reife an der Handelsschule in Cochem ablegte, begann er danach eine Ausbildung als Groß- und Außenhandelskaufmann in einer Weinkellerei. Mit Erreichen der Volljährigkeit stand jenes Ritual an, das bis Anfang 2011 alle jungen Männer in der Bundesrepublik über sich ergehen lassen mussten: Das Kreiswehrersatzamt meldete sich und beorderte Thomas zur Musterung für den allgemeinen Wehrdienst. Mit der Aussicht auf den damit einhergehenden, kargen Sold, trat er die Flucht nach vorne an und beschloss sich für ein paar Jahre beim Bund verpflichten zu lassen. Weil es ihm Flugzeuge und Mechanik schon immer angetan hatten, bewarb er sich um einen Posten als Instrumenten-Mechaniker auf dem Flugfeld am Fliegerhorst Büchel in seiner Eifeler Heimat. Weil seine Qualifikationen aber dafür zu gering ausfielen, verwerte die Bundeswehr ihm diesen Wunsch – bot ihm aber gleichzeitig eine andere, völlig unerwartete Perspektive. Als ein Offizier sich bei ihm meldete und ihm die Frage stellte: “Hätten sie nicht Lust Fluglotse zu werden?” musste Thomas erst einmal recherchieren, um in Erfahrung zu bringen, was genau das eigentlich ist. Der Haken: Thomas sollte sich gleich für 12 Jahre verpflichten, eigentlich hatte er nur vier Jahre Dienst beim Bund im Sinn. Nach nächtelangem Grübeln, entschied er sich aber dann doch die Gelegenheit beim Schopfe zu packen und sagte zu.
1979 begann so die Laufbahn des Fluglotsen Thomas Kayser. Grundausbildung, unzählige Lehrgänge, Schulungen, Prüfungen an der Flak, im Tower und am Radar folgten in den kommenden Jahren dicht auf dicht. Die Sprachschule in Hamburg, die Ausbildung zum Fluglotsen in Kaufbeuren – der Erwerb von Kenntnissen von Avionik bis hin zum Flugverkehrsrecht… Thomas lernte bis ihm der Schädel qualmte. Zu tun gab es für einen Fluglotsen damals genug. Die 80er Jahre standen vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch ganz im Zeichen des Kalten Krieges, dementsprechend groß und umfangreich fiel der militärische Flugverkehr über Deutschland aus. Es war die Aufgabe von Thomas und seinen Kameraden in der Flugsicherung, die vielen militärischen Maschinen im deutschen Luftraum zu koordinieren und dafür zu sorgen, dass alle in sicherem Abstand von 5 nautischen Meilen und 1000 Fuß seinen Zuständigkeitsbereich passieren konnten. Zu jener Zeit übrigens noch eine Tätigkeit, die kaum mit elektronischer Unterstützung erfolgte – die Computertechnik steckte schließlich noch in den Kinderschuhen – und ein hohes Maß an kognitivem Einsatz abverlangte.
Neben diversen Schulungen und Fortbildungen absolvierte Thomas im Laufe der Zeit auch eine Offiziersausbildung in Fürstenfeldbruck und stieg bis zum Ende seiner militärischen Laufbahn in den Rang eines Hauptmanns auf. Die Füße am Boden und die Augen am Himmel erlebte er so ein Stück militärische Geschichte in Deutschland hautnah mit. Im Fliegerhorst Nörvenich in Nordrhein-Westfalen musste er mit ansehen, wie ein Starfighter abstürze, wurde Zeuge der Stationierung von Pershing und Tomahawk-Raketen.
1987 wurde Thomas Kayser schließlich nach Karlsruhe versetzt, wo damals in der dortigen Niederlassung der Flugsicherung noch militärisches und ziviles Bodenpersonal unmittelbar nebeneinander arbeiten. In dieser Zeit lernte er auch seine Frau kennen, die zu jener Zeit in einer Bad Schönborner Klinik als Krankenschwester arbeitete. 1989 heirateten die beiden und zogen schließlich gemeinsam nach Bruchsal. Anfang der 90er Jahre wurde der militärische Bereich der Sicherung des deutschen Luftraums in den zivilen Bereich integriert. Formal wurde Thomas von der Bundeswehr beurlaubt und im gleichen Atemzug von der Deutschen Flugsicherung angestellt und bezahlt.
Von seinem Radar-Platz in der Rintheimer Querallee aus, beobachtete er fortan tagtäglich rund sechs Stunden einen bestimmten Abschnitt des deutschen Luftraums und sorgte am Himmel für geordnete Verhältnisse. Ein Job der mit den Jahren immer komplexer und anspruchsvoller wurde, nahm doch das Verkehrsaufkommen am Himmel durch den Boom der zivilen Luftfahrt jedes Jahr massiv zu. Das Fluglotsen vergleichsweise gut bezahlt werden, hängt selbstredend auch mit ihrem hohen Grad an Verantwortung zusammen. Schon ein kleiner Fehler kann für weitreichende und fatale Folgen sorgen. Wer dies anzweifelt, möge sich an den Abend des 1. Juli 2002 erinnern, als durch eine Verkettung vieler unglücklicher Umstände, in deren Zentrum ein Mitarbeiter der Schweizer Flugsicherung stand, DHL-Flug 611 und Bashkirian-Airlines-Flug 2937 kollidierten und 71 Menschen, darunter 49 Kinder starben. Zwar war sich Thomas zu jedem Zeitpunkt und in jeder Schicht seiner Verantwortung bewusst, doch war es für ihn nie erheblich ob die blinkenden Punkte auf seinem Radarschirm für einen Jumbojet oder eine kleine Cessna standen… Für ihn ging es immer darum seine Flüge sicher über den Himmel zu lotsen – ein Vorsatz den er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2014 erfolgreich einhalten konnte.
Da Fluglotsen wegen der hohen Anforderungen an ihre kognitive Leistungsfähigkeit, früher als andere Berufsgruppen in den Ruhestand verabschiedet werden, war Thomas zum Zeitpunkt seiner Pensionierung nur 55 Jahre alt. Definitiv zu jung um fortan die Hände in den Schoß zu legen. So beschloss er noch einmal dort anzusetzen, wo er durch seinen Auszug aus dem Eifeler Elternhaus einst aufgehört hatte. Im geistigen Schulterschluss mit seinem längst verstorbenen Vater, kaufte er sich einen gebrauchten Traktor – genau das selbe Modell, das sein alter Herr auch besessen hatte. Mit Leidenschaft schraubte er daran und trat den Oldtimer und Schlepperfreunden in Kraichtal bei. Hier lernte er einen Bruchsaler Landwirt kennen und als dieser ihm eine Aushilfsstelle auf seinem Hof anbot, zögerte Thomas nicht lange und sagte zu.
So steht der einstige Fluglotse, Hauptmann Thomas Kayser, heute in einer Bruchsaler Scheune, schraubt mit öligen Händen an seinem treuen alten Traktor und bringt im Spätsommer die Ernte ein. Eine Geschichte, die nur das Leben schreiben kann. Wenn er auf der Kanzel seines Traktors sitzt und über ihm Kondensstreifen ihre weißen Bahnen ziehen, dann ist er gedanklich aber wieder da oben – an seinem Himmel – wo er so lange Zeit nur eines war: Der Herr der Lüfte.