Wehe, wenn der Kaktus losgelassen
Ein Kommentar von Thomas Gerstner
Negativpreise sind ein beliebter Weg um auf Missstände hinzuweisen. Die schlechtesten Hollywood-Filme erhalten die „Goldene Himbeere“, die größten Werbelügen den „Goldenen Windbeutel“ und seit neustem erhält die frauenfeindlichste Werbung den „Zornigen Kaktus“. Dieses Jahr wird die zweifelhafte Ehre einem Unternehmen aus Bruchsal zuteil. Für eine Anzeige die mit dem prallen Po einer Schönheit wirbt (man sieht zwar nur den Hintern, aber dieser lässt auf einen verheißungsvollen Rest schließen) zeichnet „Terre des Femmes“ das Unternehmen aus und teilt die passende Pressemitteilung gleich mit aller Welt. Und schon ist die Empörung groß. Reflexhaft wird der Skandal benickt – geht ja gar nicht…diese Schufte…wie können dir nur… Das Bruchsaler Unternehmen dürfte nun ganz schön einzustecken haben, schließlich scheinen dort ja nur Playboys alten Schlages sowie schmierige Chauvis in ihren Ledersesseln zu räkeln und sich von ihren Sekretärinnen in High Heels die Trauben in den Mund werfen zu lassen.
Himmel, was für eine Heuchlerei
Mal unter uns Pfarrerstöchtern: Wäre auf dem entsprechenden Banner ein Männerhintern abgebildet worden, hätte kein Schwein im Stall danach gepfiffen. Wenn diese Werbebotschaft eines aufzeigt, dann höchstens das die Kreativen die sich diese Anzeige aus den Hirnwindungen gedröselt haben, die Zeichen der Zeit nicht erkennen. Eine junge Studie aus den Staaten hat kürzlich aufgezeigt dass „Sex überhaupt not more sells“ – Sex verkauft sich nicht mehr so gut wie in den haarigen Siebzigern, den hässlichen Achtzigern oder den bizarren Neunzigern. Ich bin kein Kostverächter aber kann diesen Effekt trotzdem auch bei mir beobachten. Wo ich auch hinsehe, hineinblättere oder durchzappe – überall werde ich mit Möpsen, Schenkeln und Hintern bombardiert. Ich kann es nicht mehr sehen und will es auch nicht mehr. Stattdessen interessiere ich mich wieder weitaus mehr für die nicht hochglanz-tauglichen Kurven meiner Partnerin. Ich bin quasi über Jahrzehnte so übersext worden, dass ich nun wieder instinktiv zum ureigenen Kern des Verlangens zurückkehren konnte. Jahrelang wollte man uns erzählen was sexy ist – letztlich ohne Erfolg. Denn das regelt jeder für sich selbst – genauso wie beim Essen…. Das betrifft nicht nur mich! Viele Menschen lassen sich längst nicht mehr vom strammen, glatten, leistungsbetonten Portfolio kommerzialisierter Sexualität bevormunden. Sogar Teenager haben trotz Milfs, Creampies und Gangbangs auf Youporn und Co. wieder einen natürlicheren Umgang mit ihrer Sexualität. Daran scheint keine Medienmacht der Welt etwas ändern zu können und schon lange kein Hintern auf einem Bruchsaler Werbebanner der zu einem Bewerbungscheck auffordert. Mann oh Mann – ein nackter Hintern… Ganz ehrlich – da zuckt bei mir rein gar nichts – höchstens der Ärger über übereifrige weibliche Empörungsbrigaden, die eine Lächerlichkeit die sich schnell selbst überlebt hätte künstlich in unser aller Wahrnehmungshorizont katapultieren. So, jetzt muss ich aber los – aus irgendeinem Grund habe ich total Bock auf einen kostenlosen Bewerbungscheck in Bruchsal….
Herzliche Grüße
Thomas Gerstner