Ärztin untersucht Mädchen / Symboldarstellung / Archivbild
Pflichtuntersuchung für ganze Schule in der Diskussion
Wie uns das Gesundheitsamt aktuell auf Anfrage hin mitteilte, haben sich im Falle der in Bad Schönborn nachgewiesenen Tuberkulose-Erreger bislang 48 Menschen in der Folge angesteckt. Bei allen Patienten handelt es sich wohl um Schüler der selben Klassenstufe an der Michael-Ende-Schule Bad Schönborn.
UPDATE 11.07.2019
Wichtig zu wissen: Bei den 48 Personen konnte ein direkter Kontakt mit dem Erreger nachgewiesen werden, dies bedeutet aber nicht dass sie deshalb infektiös sind, oder zwangsläufig an Tuberkulose erkranken. Hierzu schreibt das Gesundheitsamt unmissverständlich auf seiner Info-Website:
Wer sich angesteckt hat wird nicht automatisch auch krank! Personen, die sich angesteckt haben, aber nicht erkranken, sind für andere nicht ansteckend!
Dennoch steht mit den nun veröffentlichen Zahlen nun fest dass es auch Infektionen außerhalb der ursprünglich betroffenen Klasse an der Michael-Ende-Schule in Bad Schönborn gegeben hat, welche der Schüler mit einer offenen und ansteckenden TBC-Infektion besuchte. Ferner wird immer wahrscheinlicher dass besagter Schüler den Erreger über einen nicht unerheblichen Zeitraum verbreiten konnte, da zum einen nur Patienten mit einer offenen Tuberkulose ansteckend sind und zudem der Erreger im Regelfall nur nach längerem Kontakt übertragen wird.
Was bedeutet die Ansteckung für die Betroffenen?
Für die bislang 48 Infizierten ergeben sich daraus im wesentlichen nach Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in Abstimmung mit dem Robert-Koch-Institut sowie dem Gesundheitsamt drei mögliche Szenarien.
1.) Die Krankheit bricht niemals aus, weil das Immunsystem den Erreger in Schach hält – dies ist der wahrscheinlichste Fall und trifft auf etwa 85% der Patienten dieser Altersklasse zu.
2.) Die Krankheit bricht erst nach Wochen, Monaten, Jahren oder sogar Jahrzehnten aus, weil die Immunabwehr nachlässt.
3.) Die Krankheit bricht aus und wird somit von einer geschlossenen zu einer aktiven Tuberkulose. Schafft der Erreger bei einer aktiven Tuberkulose die Anknüpfung an das Lungengewebe entsteht eine offene und damit ansteckende Tuberkulose.
UPDATE: Auf Anregung des Gesundheitsamtes hin ergänzen wir diesen Absatz mit einem Hinweis auf die am häufigsten anzutreffende latente Form der Infektion. Bei dieser liegt zwar eine Infektion mit dem Tuberkuloseerreger Mycobacterium tuberculosis vor, es treten aber keinerlei Symptome einer aktiven Tuberkulose auf. Patienten mit dieser Form gelten nicht als erkrankt! Erst durch eine Schwächung der Immunabwehr des Körpers steigt das Risiko, dass aus der latenten Infektion eine aktive Tuberkulose wird aus welcher wiederum eine offene Tuberkulose werden kann.
Wie wird behandelt?
Die Krankheit wird im Falle eines Ausbruchs mit einer Kombination aus verschiedenen Medikamenten behandelt, die über mehrere Monate hinweg konsequent eingenommen werden müssen. Zu Beginn der Therapie werden in den ersten zwei Monate gleichzeitig vier Medikamente verschrieben, sogenannte Antituberkulotika. Anschließend werden hiervon zwei weitere Präparate für weitere vier Monate verabreicht.
Nach Aussagen des Gesundheitsamtes gibt es bei latenten Infektionen für die vorbeugende Behandlung zwei Möglichkeiten: Die Gabe eines Antibiotikums für neun Monate oder zwei Antibiotika für drei Monate. Auch wenn die Leber des Patienten durch diese Medikation beansprucht werden kann, vertragen besonders junge Menschen die Therapie zumeist problemlos! Zudem – und dies ist der springende Punkt der für diese Behandlung spricht – erhöht sich dadurch die Chance signifikant einen Ausbruch der Infektion zu einem späteren Zeitpunkt zu vermeiden.
Die Sorgen der Eltern gilt es ernstzunehmen
Spätestens jetzt sollte aber klar sein dass man den zahlreichen, betroffenen Familien in Bad Schönborn keine Panikmache oder Hysterie vorwerfen kann, wenn Sie ihre Besorgnis zum Ausdruck bringen. Es handelt sich hierbei schließlich nicht um eine Magen-Darm-Infektion oder einen Befall mit Kopfläusen, sondern um Tuberkulose, welche auch noch heute die Statistik der schwersten Infektionskrankheiten der Welt anführt. Auch bei einer erfolgreichen Behandlung besteht weiterhin die Möglichkeit irgendwann wieder mit dem Erreger konfrontiert zu werden.
Selbstverständlich sind aber übermäßige Angst oder gar Panik in diesem Fall nicht angebracht, die Krankheit gilt nach wie vor als gut behandel- und therapierbar. Dennoch kann eine umfassende Antibiose über mehrere Monate – speziell bei Kindern nicht einfach nur achselzuckend abgetan werden. Die Eltern als Panikmacher oder Hysteriker zu bezeichnen, wie es in den sozialen Netzwerken immer wieder in den letzten Tagen geschehen ist, ist also mehr als unangebracht.
Eltern wütend über Informationspolitik
In Gesprächen mit unserer Redaktion äußerten sich viele der betroffenen Eltern in den vergangenen Tagen besorgt bist wütend über den Informationsfluss in dieser Angelegenheit. Viele kritisieren hierbei offen die aus ihrer Sicht vermeintlich zu spät erfolgte Reaktion.
So wurde uns seitens der Elternschaft mehrfach und unabhängig voneinander bestätigt dass die Krankheit des Schülers bereits Anfang Mai offensichtlich wurde. Das Gesundheitsamt schreibt uns bezüglich der Ereigniskette: “….Das Gesundheitsamt hat sofort nach Bekanntwerden des aktuellen Falles mit der sogenannten „Umgebungsuntersuchung“ begonnen und entsprechende Ermittlungen aufgenommen. Im Hinblick auf das schulische Umfeld wurden in Zusammenarbeit mit der Schulleitung Kontaktpersonen ermittelt. Die Eltern der Schüler der betroffenen Klassenstufe erhielten erstmals am 06.06.19 ein Schreiben. Noch am selben Tag fand – im Hinblick auf die bevorstehenden Pfingstferien – eine erste Informationsveranstaltung statt.”
Wann die Schule das erste Mal auf die Krankheit des Schülers aufmerksam und dieser aus dem Unterricht herausgenommen wurde, ist nach unserem Erkenntnisstand derzeit noch unklar. Die Schule äußerte sich zu dieser Frage bisher nicht und hat bislang keine unserer Anfragen beantwortet. UPDATE 14:40 Uhr: Zwischenzeitlich hat die Schule – 6 Tage nach unserer ersten Anfrage – kurz und knapp per Email geantwortet. Rektor Mathias Kretschmer äußert sich dahingehend, dass man erst durch das Gesundheitsamt von der Infektion erfahren habe. Zudem läge ihm die Gesundheit der Schülerinnen und Schüler sehr am Herzen, Informationen über einzelne Kinder könne man aber nicht weitergeben. (die wir auch nicht angefordert haben – Anmerkung der Redaktion)
Wegen der vergleichsweise hohen Zahl infizierter Patienten wurde vergangene Woche eine zweite Informationsveranstaltung in der Aula der Michael-Ende-Schule Bad Schönborn abgehalten, diesmal für die ganze Schule. Hier informierten sich laut Teilnehmerkreisen rund 100 Eltern, Schüler und Lehrer über den aktuellen Stand der Dinge. Das Gesundheitsamt beantwortete nach Rückmeldungen mehrerer Eltern alle Fragen ausführlich. Berichte wonach einzelnen Eltern das Wort entzogen oder ein Saalmikrofon abgeschaltet wurde, stellten sich als nicht zutreffend heraus.
Die Diskrepanz zwischen dem ernsten Bekanntwerden der Infektion und den ersten bestätigten Ansteckungen, ließe sich durchaus durch die Natur der Tuberkulose begründen. Die erste Phase des Krankheitsverlaufes einer offenen Tuberkulose fällt manchmal so unscheinbar aus, dass der Patient noch ohne größere Einschränkungen seinen Alltag bewältigen kann. In dieser Zeit sind die Symptome nicht sonderlich ausgeprägt, so dass eine Infektion nicht zwangsläufig offensichtlich wird, erläutert das Gesundheitsamt auf Nachfrage.
Besagter Schüler mit der offenen Tuberkulose konnte jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb der gleichen Klassenstufe an der Michael-Ende-Schule 48 weitere Personen anstecken, was sich nicht nur durch kurze und flüchtige Kontakte erklären lässt. Mindestens 8 Stunden müssten die Betroffenen die gleiche Atemluft wie der ansteckende Patient eingeatmet haben um sich eine Infektion zuziehen zu können, so ein Arzt des Gesundheitsamtes gegenüber unserer Redaktion. Besonders klassenübergreifend geschieht so etwas vermutlich nicht an einem Tag. “Ob es zu einer Ansteckung kommt, hängt unter anderem davon ab, wie lange und intensiv der Kontakt mit Erkrankten war und wie empfänglich die Person für eine Infektion ist” führt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hierzu auf ihrer Webseite weiter aus.
Wie geht es nun weiter?
Die Unruhe unter den Eltern der betroffenen Schüler ist derzeit verständlicherweise hoch, nicht zuletzt weil viele niedergelassenen Ärzte in der Region die Behandlung von Tuberkulose-Patienten bislang ablehnen, so berichten es mehrere Eltern übereinstimmend gegenüber unserer Redaktion. Weil die daraufhin konsultierten Kinderkliniken in Heidelberg und Karlsruhe mit den Anfragen überlastet sind, hat nun das Gesundheitsamt eine Informationsschrift an die niedergelassenen Ärzte herausgegeben, die einen Leitfaden für die vorbeugende Behandlung von TBC Patienten beinhaltet, erläutert uns ein Amtsarzt die jüngsten Maßnahmen.
Das Gesundheitsamt berät nun zur Stunde darüber wie in diesem Fall weiter zu verfahren ist. Diskutiert wird unter anderem die Möglichkeit die Untersuchung nicht nur für die betroffene Klassenstufe sondern für die gesamte Schule verpflichtend durchzuführen. Dies ist laut Aussagen des Amtes nicht einfach zu bewerkstelligen, da es hier mitunter hohe (auch juristische) Hürden gibt. In jedem Fall empfiehlt das Amt die Untersuchungen für alle Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrer der Michael-Ende-Schule dringend.
Weitere Informationen reichen wir Ihnen sobald sie verfügbar sind selbstverständlich nach. Wie die betroffenen Eltern die Situation erleben, lesen Sie hier ab Freitag Mittag.