Bereits in fünfter Generation stellen die Nachfahren von Max Bernhard Martin in Philippsburg das berühmte Martinshorn her
A1 und D2 – Diese Töne kennt jeder Mensch in Deutschland in und auswendig. Jeden Tag hören wir die einprägsame Klangfolge, wenn Rettungskräfte wie zum Beispiel die Feuerwehr auf der Straße auf sich aufmerksam machen müssen. Seit bald 100 Jahren schallen diese beiden Tönen landauf und landab durch Dörfer und Städte, wenn das berühmte Martinshorn erklingt.
Hergestellt wird das Martinshorn in einer unscheinbaren Wohngegend mitten in Philippsburg. Hinter einem schmiedeeisernen Zaun in der Albert-Schweitzer-Straße findet sich ein zweistöckiges Gebäude, unterhalb dessen Giebel in blauen Lettern die Worte “Deutsche Signal-Instrumenten-Fabrik Max B. Martin KG” prangen. Woher der Name Martinshorn kommt, dürfte sich hiermit schon ein Stück weit erklären, doch die Wurzeln dieser spannenden Geschichte finden sich nicht in Philippsburg, sondern viel weiter nördlich im sächsischen Vogtlandkreis. Mitten im Elstergebirge gründete 1880 der Unternehmer Max Bernhard Martin in der kleinen Stadt Markneukirchen seine Signal-Instrumenten-Fabrik. In jenem Jahr als der Kölner Dom vollendet wurde und Edison seine Glühbirne zum Patent anmeldete, begann Max Martin mit der Produktion von Autohupen, Trompeten und vielen weiteren Gerätschaften, die mittels Druckluft durch ein Horn ordentlich Lautstärke erzeugten.
Mit dem Siegeszug des Automobils, wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmend auch die Feuerwehr und die Polizei mit motorisierten Fahrzeugen ausgestattet. Als immer mehr Autos die deutschen Straßen eroberten, ergab sich zunehmend die Notwendigkeit, den Einsatzfahrzeugen der Rettungskräfte Geltung im Verkehr zu verschaffen. In den frühen 30er Jahren entwickelte Max Bernhard Martin gemeinsam mit Polizei und Rettungsdiensten daher ein System, das als Warnvorrichtung andere Verkehrsteilnehmer schon von weitem auf die herannahenden Einsatzkräfte aufmerksam machen sollte. Die mittels Druckluft in zwei Schallbechern erzeugten Töne A und D haben sich seither bewährt und sind auch noch heute, rund 90 Jahre später, aktuell wie eh und je.
Doch wie landete das Unternehmen schließlich im badischen Philippsburg? Die Antwort findet sich in der desaströsen Wirtschaftspolitik der Deutschen Demokratischen Republik. In den 50er-Jahren wurde das Unternehmen enteignet und fortan als volkseigener Betrieb weiter geführt. Technische Innovationen sollte es hier am Geburtsort des Martinshorns fortan bis zur Wende nicht mehr geben, es wurde auf Verschleiß produziert, erzählt der heutige Firmenchef Martin Brender, dessen Frau Viola die Enkelin von Max Bernhard Martin ist. Zu Beginn der 60er-Jahre, noch vor der Schließung der Mauer, übersiedelte die Familie daher in die Bundesrepublik und fand nach einem kurzen “Zwischenhalt” in Bayreuth schließlich in Philippsburg eine neue Heimat. Nach dem Ende der DDR bestand zwar die Möglichkeit, die alte Fabrik in Sachsen wieder zu übernehmen, doch jahrelange Misswirtschaft der SED hätte diesen Schritt zu einem viel zu teuren Unterfangen gemacht.
So blieb die Familie von Max Bernhard Martin Philippsburg verbunden und produziert hier und heute bereits in fünfter Generation dessen Erfindung, das Martinshorn für den deutschen aber auch für den weltweiten Markt. Es findet sich nicht nur verbaut in den Einsatzfahrzeugen der Rettungskräfte, sondern auch in Industrieanlagen, bei Sprengungen, oder eben überall dort wo es auf Durchsetzungsfähigkeit und Lautstärke ankommt. Dass digitale Systeme, wie beispielsweise das elektronisch generierte “Yelpen” der Polizei, das klassische Martinshorn bald beerben werden, daran glaubt Martin Brender nicht. Nichts kommt an Lautstärke und Präsenz der guten, alten, analogen Hörner heran, ist er sich sicher. Während die elektronischen Geräusche erst auf kurze Distanz auf der Autobahn hörbar werden, ist das Herannahen eines Fahrzeuges mit eingeschaltetem Martinshorn schon deutlich vorher wahrnehmbar. Die 127 dBA, die Kompressor, Membran und Schallbecher erzeugen, sind bisher unerreicht, berichtet Martin Brender stolz.
Rund 5000 Hörner werden jedes Jahr in Philippsburg produziert und in die ganze Welt versendet. Während in Deutschland bei Einsatzfahrzeugen Modelle mit der bewährten Tonfolge A1 und D2 benötigt werden, sind es in Belgien beispielsweise A und H, in Neuseeland Fis 1 und H1 oder in Österreich G1 und C2. In Deutschland regelt sogar eine spezielle DIN-Norm das omnipräsente Sondersignal. Tonhöhe, Intervall, Frequenz – nichts bleibt hier dem Zufall überlassen. Damit die Martinshörner wie gefordert funktionieren, wird im Akustiklabor im Keller beständig deren Funktion auf Herz und Nieren überprüft. In der Folge ist in und um das Gebäude beständig das Heulen der Sirenen gedämpft zu vernehmen, weshalb ein unbedachter Besucher permanent den Hals reckt um die vermeintlich herannahenden Rettungsfahrzeuge auszumachen. Familie Brender hat sich selbstredend bereits längst damit arrangiert, der berühmte Klang ist ein Teil von ihnen. In wenigen Jahren wird Tochter Vanessa den Betrieb übernehmen und ganz im Sinne und Geiste ihres Ur-Urgroßvaters Max weiterhin dafür Sorge tragen, dass das Martinshorn von weither und überall zu hören ist.