Das Leben hinter Gittern soll Gefangene auf die Zeit “danach” vorbereiten. Ein schwieriges Unterfangen.. nicht selten eine Sisyphusarbeit
Die Justizvollzugsanstalt Bruchsal. Schwer und wuchtig liegt der 175 Jahre alte, steinerne Monolith mitten im Herzen der Stadt und ist doch gefühlt kein Teil davon. Eine Welt in der Welt, abgeschottet und für die meisten Bruchsaler nur am Rande ihres Bewusstseins existent. Doch etwa 600 Menschen leben hinter den schweren Mauern, jeder davon hat die Regeln unserer Gesellschaft und ihrer Gesetze verletzt und verbüßt dafür eine mehr oder weniger lange Haftstrafe. Im “Stern zu Bruchsal” oder auch “Café Achteck” genannten Gefängnis, sitzen oder saßen bereits Terroristen, Serienmörder, Vergewaltiger oder Betrüger ein. Viele der Gefangenen haben sich schwerer Vergehen schuldig gemacht, so dass Gerichte verfügt haben, sie für mehrere Jahre aus der Mitte unserer freien Gesellschaft zum Schutze derselben zu entfernen.
Der Strafvollzug in den Gefängnissen hat aber nicht nur die Aufgabe, die Gefangenen für eine definierten Zeitraum nur wegzusperren, sondern sie währenddessen auch zu resozialisieren. Es ist ein Wort, das jeder kennt, doch kaum etwas damit anzufangen weiß. Die Universität Hamburg definiert den Begriff folgendermaßen: “Mit (…) Resozialisierung werden die Bemühungen, einen Straftäter zu bessern und ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern, bezeichnet.”
Wie aber funktioniert so etwas? Wie geht man es an und wie lässt sich sicherstellen, dass ein Straftäter nach seiner Entlassung nicht wieder straffällig wird? Dafür gibt es hinter Gittern Fachkräfte wie Sozialarbeiter, Psychologen, aber auch Juristen, die sich im Team gemeinsam dieser fordernden Aufgabe stellen. In Bruchsal kümmert sich zum Beispiel Adrian Parsaei um die juristischen Angelegenheiten eines ganzen Traktes. Immerhin 80 bis 90 Männer, darunter viele, die man salopp als “richtig schwere Jungs” bezeichnen könnte. Nun würde man vermuten, nur ein richtig harter Hund mit einer ebenso harten Hand, könne hier für den nötigen Durchgriff sorgen, doch auch das ist eines der vielen falschen Vorurteile, welche die Justizvollzugsanstalt Bruchsal wie die Motten das Licht umkreisen. Adrian Parsaeis Auftreten ist weniger von Härte gezeichnet, als vielmehr von respektvoller Aufmerksamkeit und seinem ruhigen und unaufgeregten Wesen. Statt mit einem Nadelstreifenanzug und einer Aktentasche mit schweren Schnappverschlüsse, kommt er im grauen Zipper-Mantel mit weißen Turnschuhen zum Interview.
Der 35-Jährige stammt ursprünglich aus Mainz, hat dort Jura studiert und wird derzeit vom Justizministerium Baden-Württemberg in unterschiedlichen Funktionen abgeordnet. Er war schon Strafrichter, hat als Staatsanwalt gearbeitet und ist seit Mai vergangenen Jahres Vollzugsabteilungsleiter in Bruchsal und zudem stellvertretender Anstaltsleiter. Zu seinen verantwortungsvollen Aufgaben gehört es, den Vollzug für jeden einzelnen Gefangenen individuell zu bewerten und dementsprechend zu gestalten. Auch hinter Gittern gilt schließlich: Jeder Mensch ist ein Individuum, hat unterschiedliche Eigenschaften und dazu eine höchst eigene Vorgeschichte. So muss selbstverständlich nicht jeder Gefangene für die gesamte Haftdauer in den geschlossenen Vollzug, es gibt auch mildere Formen wie beispielsweise den offenen Vollzug, die zur Anwendung kommen können.
Tatsächlich gibt es auch Gefangene, die regulären Arbeiten außerhalb der Gefängnismauern nachgehen und zum Feierabend in die JVA zurückkehren. Diese Option besteht natürlich nicht für jedermann, hier gilt es sehr sorgsam abzuwägen, weiß Adrian genau. Es ist eine Gratwanderung, die dem Anspruch der Bevölkerungen auf Sicherheit und der Weiterentwicklung der Gefangenen besonnen Rechnung tragen muss. So wäre es beispielsweise völlig unverhältnismäßig, einem Gefangenen, der wegen Schwarzfahrens einsitzt, die Haft bar jeder Relation hart auszugestalten. Schließlich soll nach der Entlassung kein Leben vollständig in Trümmern liegen. Andererseits kann einem nach wie vor gefährlichen Gewaltverbrecher selbstredend nicht gestattet werden, sich unbeaufsichtigt in der Stadt bewegen zu können. Doch sogar hier gibt es aber Abstufungen, schließlich sind Menschen wandlungsfähig und durchaus fähig, alte Handlungsmuster zu überdenken, zu bereuen und abzulegen. Kommt Adrian nach Rücksprache mit Psychologen und Sozialarbeitern zu der Ansicht, dass der Wechsel vom geschlossenen in den offenen Vollzug vertretbar ist, kann nach durchaus auch ein Mörder zeitweise Freigang erhalten.
Das mag zwar auf den ersten Blick befremdlich wirken, doch genau das ist schließlich das Ziel der Resozialisierung – “die Bemühungen, einen Straftäter zu bessern und ihn wieder in die Gesellschaft einzugliedern“. Eine solche Eingliederung muss natürlich stufenweise, Stück für Stück erfolgen und wird begleitet von engmaschiger Betreuung und auch therapeutischen Angeboten während der Haftzeit. Neben dem Umstand dass Gefangene für einen geregelten und sinnerfüllten Alltag einer regulären Arbeit in der JVA nachgehen, gibt es dazu auch Gesprächsangebote oder auch die Möglichkeit in kleineren oder größeren Wohngruppen, die Regeln des sozialen Miteinanders praxisnah zu erfahren. Für manche übrigens eine Premiere. Nicht zuletzt ist auch die Haft selbst für den einen oder anderen der notwendige “Schuss vor den Bug“, um künftig “sauber” zu bleiben.
Adrian und sein Team haben den Zustand und die Entwicklungen jedes einzelnen Gefangenen auf dem Schirm. Bei guter Führung und einer – wie Adrian es im Juristenjargon nennt – „positiven Legalprognose”, ist auch eine vorzeitige Entlassung aus der Haft möglich – Immer vorausgesetzt, die Vollstreckungskammer gibt grünes Licht. Natürlich ist auch dieses System, wie jedes andere, das mit Menschen arbeitet, nicht frei von Fehlern. “Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit” weiß Adrian und meint damit, dass auch die beste Resozialisierungsstrategie nicht immer dafür Sorge tragen kann, dass Menschen nach ihrer Entlassung nicht wieder straffällig werden. “Bei manchen weiß man schon, dass man sie wahrscheinlich wieder sehen wird. Viele hier sitzen mehrfach“, sagt der Jurist pragmatisch – weiß natürlich um die begrenzten Möglichkeiten des Systems. Tatsächlich wird fast jeder zweite Gefangene irgendwann rückfällig, auf die eine oder andere Weise. Eine entmutigende Zahl, die Adrians Arbeit und die seiner Kollegen viel zu oft zu einer Sisyphosaufgabe machen.
Doch aufzugeben, das kommt für ihn gar nicht in Frage. “Das sind immer noch Menschen“, sagt Adrian und weigert sich alle über einen Kamm zu scheren. “Aber klar, ist das frustrierend, wenn man den einen oder anderen dann immer wieder sieht”. Doch die Resozialisierung ist nicht nur Zeitvertreib oder ein zu belächelndes, ehrenwertes Ziel…sie ist eine gesetzlich verankerte Prämisse und das erklärte Ziel des Strafvollzugs. Nach §2 des Strafvollzugsgesetzes soll der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Ein klar definiertes Ziel, dem Adrian Tag für Tag folgt – unbeirrbar und pragmatisch, ganz wie es eben seine Art ist.
Also so schön isses da auch wieder net!