Seit 20 Jahren arbeitet Kathlen als Justizvollzugsbeamtin im Bruchsaler Gefängnis und ist sich nach wie vor sicher: “Das ist mein Traumjob”
Obwohl die im Volksmund als “Café Achteck” bekannte Justizvollzugsanstalt Bruchsal mitten im Herzen der Stadt aufragt, ist sie doch eine Welt völlig für sich – eine Art weißer Fleck im Stadtplan Bruchsals. Kaum jemand weiß etwas darüber und wenn dann meist nur aus der Gerüchteküche oder über Hörensagen. Wer noch nie etwas mit einem Gefängnis zu tun hatte, der dürfte sein Wissen hingegen vielmehr durch diverse amerikanische Spielfilme zusammengetragen haben. Sie wissen schon… die ganzen Klischees über Feilen in Torten, rivalisierende Gangs, orangene Overalls und Aufstände.
Auch Kathlen Mohr musste sich erst einiger dieser Hollywood-Trugschlüsse entledigen, als sie vor 20 Jahren ihre Laufbahn als Justizvollzugsbeamtin begann. “Ich habe anfangs auch gedacht, im Gefängnis gäbe es so einen riesigen Speisesaal, wo die Gefangenen mit Metalltabletts Schlange an der Ausgabe stehen” lacht die heute 42-jährige, die nach zwei Jahrzehnten im Vollzug all dessen Ecken und Kanten in und auswendig kennt. Sie weiß, dass das Essen von den Gefangenen direkt in der Zelle eingenommen wird, dass die Beamtinnen und Beamten statt mit schweren Schlagstöcken unbewaffnet im Zellentrakt unterwegs sind und sie weiß, dass sich hinter Gittern so manch einer eher Beruf und Ausbildung widmet, als sich in Banden und Gangs zu organisieren.
Auch wenn viele immer noch darüber staunen, dass auch Frauen in der JVA Bruchsal Seite an Seite mit ihren männlichen Kollegen Dienst tun, ist dies doch heute eher Regel als Ausnahme. Als Kathlen Mohr zu Beginn der 2000er ihre neue Laufbahn einschlug, war das allerdings schon noch eher etwas Exotisches. “Auf 150 Männer kamen gerade mal etwa 10 Frauen” erzählt die gebürtige Leipzigerin, die mit ihren Eltern im Alter von 10 Jahren direkt nach dem Mauerfall nach Bruchsal kam. Hier in der Stadt hatte ihre Mama schon eine Bekannte, so dass der Anschluss nicht ganz so schwer fiel. Während ihre Mutter im Einzelhandel arbeitete, besuchte Kathlen in Bruchsal die Schule, legte schließlich an der Albert-Schweitzer-Realschule ihre mittlere Reife ab. Danach trat sie erstmal in die Fußstapfen der Mutter, arbeitete als Verkäuferin bei Karstadt in Karlsruhe und später in einem Bruchsaler Autohaus. Ganz ausgefüllt hat Kathlen diese Tätigkeit aber nie, sie wollte immer mit Menschen arbeiten, wollte helfen, etwas bewirken. Über ihren damaligen Mann – einem Polizisten – bekam sie erstmals Kontakt zum baden-württembergischen Strafvollzug und brannte sofort dafür. So begann sie ihre mehrjährige Ausbildung zur Justizvollzugsbeamtin, erlernte die Theorie in Stammheim und sammelte praktische Erfahrungen in der JVA Bruchsal.
Seither arbeitet Kathlen Mohr hier, hinter den dicken Mauern des Sterns von Bruchsal, ist jeden Tag in ihrem Trakt unterwegs. Hier trifft sie auf die unterschiedlichsten Menschen, die unterschiedlichsten Geschichten.. Schicksale in allen nur erdenklichen Farben und Formen. Vom Kleinkriminellen bis hin zum Mehrfachmörder ist alles dabei. Angst hat sie dabei keine, die hatte sie nie. Obwohl sie sich völlig unbewaffnet im Trakt aufhält, weiß sie doch dass ihre KollegInnen im Falle eines Falles nur einen Knopfdruck auf ihren Funksender entfernt sind. “Jede Waffe kann schnell gegen uns verwendet werden” erklärt sie kurz und knackig diese Praxis, die sich im Alltag schon unzählige Male bewährt hat. Natürlich rappelt es ab und zu, doch ihr selber sei noch nie etwas geschehen, erzählt sie und hat dafür auch eine These, von der sie überzeugt ist: “Menschlich bleiben, auf Augenhöhe begegnen”. Auch wenn manche dabei vielleicht die Stirn runzeln – Kathlen Mohr versucht immer den Menschen hinter dem Gefangenen zu sehen, nicht nur das Verbrechen. “Man sieht niemandem seine Taten an” weiß sie genau und zudem, dass es manchmal einfach passieren kann, auf die schiefe Bahn zu kommen. Nicht immer stecke kaltblütiges Kalkül oder Boshaftigkeit dahinter. “Manche reden mit mir über ihre Vergehen und ich höre zu” erzählt Kathlen und ist sich sicher: “Viele bereuen zutiefst, was sie getan haben”.
Natürlich ist in einer großen Haftanstalt wie der JVA Bruchsal kein Gefangener wie der andere, der Ruf des Schwerverbrecher-Knastes längst überholt. “Das ist eine wirklich gemischte Gesellschaft” berichtet Kathlen von der Arbeit in ihrem Trakt. Hier begegnet sie Gelegenheitsdieben, Wirtschaftskriminellen, Mördern und Sexualstraftätern. Manche sind nur für Tage oder Wochen hier, andere für viele viele Jahre. Darunter sind auch berühmte Namen, wie zum Beispiel Hans-Georg Neumann, der bis zu seiner Freilassung auf Bewährung vor wenigen Monaten durchgehend seit 1962 im Gefängnis saß.
Es ist eine andere Welt, dort hinter den Mauern der JVA Bruchsal, doch es ist eine Welt, in der sich Kathlen wohl fühlt. “Es ist immer noch mein Traumjob, auch nach 20 Jahren” sagt sie erhobenen Hauptes und hat ihren Idealismus dabei nie verloren. “Das sind doch keine kaltblütigen Tiere hier, das sind immer noch Menschen und ich versuche ihnen Werte zu vermitteln, Werte die mir wichtig sind”. Bei manchen klappt das, bei anderen weniger, da gibt sich Kathleen keinen Illusionen hin, schließlich ist sie keine Therapeutin. Das Verhältnis der Beamten zu den Gefangenen lässt diese Art von Nähe ohnehin nur sehr eingeschränkt zu, es gilt immer eine gewisse professionelle Distanz zu wahren. Eine Distanz die auch notwendig ist, schließlich kann der Alltag hinter Gittern auch hart sein. Besonders die letzten beiden Jahre sind für die Gefangenen schwierig gewesen. Die Isolation im Zuge der Corona-Pandemie war für die hier Inhaftierten eine echte Zerreißprobe, war doch der Kontakt zu ihren Freunden und Familien nur telefonisch und später auch über Online-Konferenzsysteme möglich. “Mittlerweile sind Familienbesuche aber wieder möglich, so dass sich die Lage wieder deutlich entspannt hat” berichte Kathlen sichtlich erleichtert.
Wo sie sich in 20 Jahren sieht, wollen wir zum Abschluss noch wissen. Für die Antwort muss Kathlen keinen Moment überlegen: “Natürlich hier, in meinem Trakt in Bruchsal – Wo denn sonst?”