Immer einmal mehr aufstehen als hinfallen

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In diesem Jahr ist die Weinlese für Kraichgauer Winzer ein einziges Trauerspiel. Manche können nach Frost, Feuchtigkeit und Hitze keine einzige Traube ernten.

50 % Ausfall, 70 % Ausfall, 80 % Ausfall – und der traurige Spitzenreiter aus Heidelsheim: 100 % Ausfall. Es ist bedrückend, sich in diesen Tagen mit den Kraichgauer Winzern über die Weinlese 2024 zu unterhalten, denn es ist eine Geschichte ohne Happy End. Die verheerende Frostnacht im Mai und das zu feuchte Wetter, kombiniert mit extremer Hitze, haben den Weinbergen in dieser Saison massiv zugesetzt. Tiefrote Zahlen dürften nicht wenige Weingüter in diesem Jahr schreiben, besonders die kleineren Betriebe, die keine großen Rücklagen haben. Damit sind die Weinbauern im Kraichgau übrigens nicht allein – auch in anderen Regionen Deutschlands wird ein historisch schlechter Jahrgang erwartet, ein Umstand, dem die EU nun mit knapp 50 Millionen Euro Soforthilfe für die erlittenen Schäden begegnen möchte.

David Klenert

Ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn man bedenkt, wie weitreichend das Problem ist. Bei unserem Rundruf unter Kraichgauer Winzern gab es niemanden, der nicht über erhebliche Schäden und damit einhergehende Umsatzeinbußen – teilweise tief in den roten Bereich – zu vermelden hatte. Beim Weingut Honold beispielsweise hat die Kombination aus Frost und witterungsbedingtem Pilzbefall zu einem Ausfall von 50 % der normalen Ernte geführt. Etwa 15 % davon gehen auf Frostschäden zurück.

Nur 40 % des normalen Ertrags erwartet Winzer David Klenert aus Münzesheim, ein Schaden, der noch weitaus größer hätte ausfallen können, wären die zum Weingut gehörenden Weinberge nicht breit über den Kraichgau verteilt. „Das war in diesem Jahr wirklich verrückt. Es gibt Hanglagen, die haben gar nichts abbekommen, während teilweise direkt daneben der Frost alles zerstört hat“, erzählt David, der durch die Ausfälle in diesem Jahr mit einem negativen Ergebnis rechnet.

Schwärme von Fliegen über dem Weinberg

Auch für kleinere Winzer im Nebenbetrieb ist die Arbeit auf den Weinbergen in diesen Tagen eine traurige Angelegenheit. Ein Winzer aus Unteröwisheim, der namentlich nicht genannt werden möchte, zeigt traurig auf seine Reben und veranschaulicht den Ausfall mit harten Zahlen. „200 Liter Ertrag sind momentan pro Hektar zu erwarten, in normalen Jahren sind es mehrere tausend“, erläutert er das Dilemma. Auch die Hoffnung auf einen zweiten Auftrieb hat sich zerschlagen; dieser kam zwar, brachte aber keine Früchte. Besonders fatal: Viele kleine Betriebe sind gegen solche Schäden nicht versichert und bleiben bei gleichen oder höheren Kosten auf den entstandenen Verlusten sitzen. Das letzte Mal habe es einen solch verheerenden Ausfall Anfang der Achtziger gegeben, erinnert sich der Winzer aus Unteröwisheim.

Eine Erinnerung, die auch Fridolin Zorn aus Neuenbürg teilt. Damals sei es jedoch eher der Regen gewesen, der der Lese zugesetzt habe. In den Neunzigern entsinne er sich an ein großes Frostereignis, damals sei das kleine Weingut aber mit einem blauen Auge davongekommen.

Dieses Mal sind es zwei blaue Augen, wie sein Sohn Dominik, mittlerweile Inhaber des familieneigenen Weinguts Niwenburg, im Interview berichtet. „Wir hatten auf einen halben Herbst gehofft, aber es sieht so aus, als blieben uns nur 30 % der regulären Ernte“, sagt er. Dieses Jahr kam einfach alles zusammen: ein nasses Frühjahr, zu hohe Temperaturen, der sogenannte Falsche Mehltau und natürlich die Frostnacht im Mai. Nur 30 % der erwarteten Lese bedeuten im Umkehrschluss einen Ausfall von 80 % – bei teilweise sogar deutlich gestiegenen Kosten. Nicht nur punktuell, sondern als bitteres Fazit für das gesamte Jahr.

„Stellen Sie sich bitte nur einen Moment vor, Sie würden in diesem Jahr nur 30 % Ihres Gehalts ausgezahlt bekommen, obwohl Sie nicht nur Ihre reguläre Arbeitszeit geleistet haben, sondern auch reichlich Überstunden, während natürlich all Ihre normalen Ausgaben wie Miete, Strom und Nebenkosten weiterlaufen“, erläutert Dominik Zorn. „Man kann sich kaum einen Haushalt vorstellen, der bei dieser Rechnung nicht ins Straucheln oder gleich ganz zu Fall kommen würde.“

Aufgeben ist für Dominik Zorn jedoch keine Option, zumal es andere sogar noch härter getroffen habe. „Ich kenne einen befreundeten Winzer aus Heidelsheim, der hatte auf seinen Weinbergen einen Totalausfall – da gab es gar nichts mehr zu ernten“, erzählt er und gibt sich kämpferisch. „Das gehört halt auch dazu“, weiß er durch seine Arbeit, die maßgeblich von Natur, Wind und Wetter geprägt ist. Und Dominik weiß auch: „Immer einmal mehr aufstehen als hinfallen.“

Ein toter Trieb nach der Frostnacht in den Weinbergen von Familie Zorn.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sich Extremwetter-Ereignisse in der Zukunft häufen. Jahre wie dieses werden sich eher häufiger als seltener ereignen. Das Weingut Niwenburg möchte sich darauf bestmöglich einstellen und stellt aktuell die Arbeit auf den Weinbergen Stück für Stück auf ein anderes System um. Der Minimalschnitt ist ein Rebschnittsystem, bei dem die Reben nur wenig oder gar nicht geschnitten werden, um den Arbeitsaufwand zu reduzieren und den natürlichen Wuchs der Pflanzen zu fördern. Mittelfristig wird der Weinberg damit widerstandsfähiger gegen Widrigkeiten und Umwelteinflüsse. Doch die Umstellung dauert ein paar Jahre und der Ertrag sinkt zunächst. Nicht alle Winzer sind aus diesem Grund bereit, das Wagnis einzugehen. Doch aufgrund des fortschreitenden Klimawandels müssen sie sich zwangsläufig früher oder später umstellen, da höhere Temperaturen und extreme Wetterereignisse die Reifung der Trauben, den Wasserbedarf und die Anfälligkeit für Krankheiten verändern – was angepasste Anbaumethoden erfordert.

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3 Gedanken zu „Immer einmal mehr aufstehen als hinfallen“

  1. Mit dem minimal Schnitt haben es viele Pfälzer Winzern in den Oern Jahren probiert aber heute gibt es kaum noch Anlagen man kann sagen es hat sich nicht durchgesetzt

  2. Hm – was soll man sagen. Die Winzer sind übrigens beide Gemeinderäte in einer Stadt in der struktureller Klimaschutz noch stark hinkt. Bauplatzausweisungen und Schulterklopfen der Vereine wirkt dem Klimaschutz leider nicht entgegen.

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