Im Land der 1000 Betonhügel

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Viele Menschen im Land wollen dem Flächenfraß etwas entgegensetzen, Gegenwind kommt aber unter anderem aus den Kommunen selbst

Eine Meinung von Philipp Martin

Der “Kampf” unserer Kommunen im Kraichgau gegen den Klimawandel ist ein Schauspiel, das schizophrener nicht sein könnte. Mit vollmundigen Worten preisen viele die eigenen Bemühungen rund um das Klima, doch die damit einhergehenden Taten sind oft allenfalls symbolischer Natur und passen zudem oft überhaupt nicht ins übergeordnete Bild der kommunalen Gesamtentwicklung. Welchen Sinn hat die Aussaat von ein paar Päckchen Wildblumen-Mischung im Kreisverkehr, wenn ein paar Meter weiter halbe Landschaften unter Beton verschwinden und mit Einfamilienhäusern zugebaut werden? Was nutzen ein paar, medienwirksam von Grundschulkindern gezimmerte Insektenhotels, wenn an anderer Stelle ganze Biotope Umgehungsstraßen weichen müssen? Was kann ein weiteres elektrisches Carsharing-Auto ausrichten, wenn bewusst innerörtliche Flächen zu noch mehr Parkraum umgestaltet werden?

Man kann sich dem Eindruck nicht erwehren, dass in vielen Planungsgremien und Behörden das Thema Klimaschutz ein eher abstrakter Begriff ist. Etwas, das mit der eigenen Lebenswirklichkeit nicht viel zu tun hat, ein Problem um das sich andere kümmern müssen, dem man allenfalls mit emotional triggernden Placebo-Aktionen Rechnung tragen muss. Zum Beispiel mit der symbolträchtigen Pflanzung eines mickrigen Bäumchens in der Betonwüste der eigenen Dorfmitten oder der Auslobung einer Förderung von Balkonsolaranlagen in Höhe des jährlichen kommunalen Budgets für Bürobedarfs und Schreibwaren.

Ein paar Wildblumen für das gute Gefühl

Da wo es wirklich darauf ankäme, da wo wirklich der Hase im Pfeffer liegt, da will man lieber nicht hinschauen und hat auch immer eine wohlfeile und universell taugliche Begründung an der Hand: “Wir müssen die Nachfrage bedienen”. Es gibt zu wenig Parkplätze in ihrer Straße? Na, dann müssen wir wohl welche bauen. Auf der Straße ist immer Stau? Na dann muss wohl eine zweite her! Es gibt zu wenig Baugebiete und Gewerbeflächen? Na dann lassen wir schon mal den Betonmischer anlaufen. So wächst man immer weiter in die Fläche, lässt immer mehr Kraichgauer Erde unter Beton und Asphalt verschwinden. Schließlich ist der Bedarf vorhanden, schließlich wollen Autofahrer freie Fahrt und junge Familien Bauplätze für ihren Traum vom Haus. Am liebsten alle mit Blick in die grünen Hügel unsere Heimat, am liebsten alle fern von Verkehrslärm. Das klingt schizophren und das ist es auch. Denn wer diesen Wünschen immer weiter Rechnung trägt, der sorgt dafür, dass am Ende nur Verlierer erschaffen werden. Immer mehr Siedlungsflächen und Straßen sorgen dafür dass der Traum vom Land schnell der Tristesse von gesichtslosen Wohnburgen weicht, die durchschnittlich 1,14 Autos die mit jedem Haushalt einhergehen, werden jede zusätzlich gebaute Straße am Ende doch an ihr Limit bringen.

Dennoch agieren die Städte und Kommunen im Kraichgau so, als ob das Land unendlich wäre, als ob ein kleines bisschen hier und da den Kohl schon nicht fett machen würde. So entstehen zum Beispiel in der Innenstadt von Bretten derzeit mehrere Stadtvillen, in einem Mittelzentrum, in dem Raum wirklich rares Gut ist. In jeder dieser Villen werden vielleicht drei, vier, vielleicht auch fünf Menschen leben…zu Beginn zumindest. Irgendwann sind die Kinder aus dem Haus, dann sind es nur noch zwei Menschen, irgendwann dann nur noch einer… mitten in einer großen Villa, mitten in der Stadt.

Während in vielen Kommunen die letzten verfügbaren Flächen mit möglichst wenig Menschen besiedelt werden, schrumpft der verfügbare Raum immer mehr, verliert die Gegend, mit deren Postkarten-Motiven man auf den kommunalen Homepages wirbt, immer mehr an Gesicht und Charakter. Es scheint fast so, als drücke man sich gegenüber den Zahlungs- und Bauwilligen um eine harte, aber simple Wahrheit: Es ist kein Platz mehr für Neubauten auf der grünen Wiese. Aus dem Wunsch den Traum vom eigenen Haus im Neubaugebiet zu verwirklichen, leitet sich schließlich kein Anspruch ab. Die “Hier noch ein bisschen, da noch ein bisschen – Scheuklappen-Taktik” der vergangenen Jahre ist ein hartnäckiges Phänomen auf dem Land. Über den Flächenentwicklungsplan mussten daher bereits Zonen ausgewiesen werden, durch deren Bebauungsverbot verhindert werden soll, dass die Dörfer teilweise ineinander wachsen. Dennoch wird auch noch in diesem Herbst 2023, einem Herbst der dem heißesten Sommer seit Aufzeichnungsbeginn folgt, weiter mit roten Bändern und Blaskapellen-Ufftata neues Land der Überbauung preisgegeben. So, als gingen die Folgen der Flächenversiegelung uns hier in unserer heilen Ecke der Welt nichts, aber auch gar nichts an. Als kleiner Reinholer hier noch ein paar kurze Fakten dazu:

  • Durch die Flächenversiegelung kann der Boden weniger CO2 speichern, stattdessen wird selbiges durch den Bau und den Betrieb von Gebäuden und Infrastruktur sogar drastisch erhöht und beschleunigt den Klimawandel damit.
  • Die Versiegelung von Flächen verringert die Verdunstung von Wasser, das treibt die Lufttemperatur in die Höhe und verstärkt den Treibhauseffekt.
  • Die Artenvielfalt, der wir im Kraichgau zwischenzeitlich gerne mit Blühmischungen am Rand der Landstraße Rechnung tragen, wird durch versiegelte Flächen stark vermindert, da der entsprechende Lebensraum für Pflanzen und Tiere verschwindet
    Versiegelte Flächen führen dazu dass weniger Regenwasser versickern kann und die Grundwasserqualität abnimmt.
  • Besagte Flächen verhindern auch dass der Boden Nährstoffe und Wasser speichern kann, was die Qualität des Bodens mindert und ebenso dessen Ertragsfähigkeit. In einer landwirtschaftlich geprägten Regionen wie dem Kraichgau eine durchaus bedenkliche Entwicklung.
  • Nach Wasser- und Boden- leidet auch die Luftqualität. Durch die versiegelten Flächen können sich mehr Staub und Schadstoffe an der Oberfläche ansammeln
  • Last but not least, verliert unsere ländliche Region durch die vermehrte Bebauung, den weiteren Zuzug und den erhöhten Verkehr immer mehr jener Qualitäten und Werte, die sie im Grunde doch so liebenswert macht.

Das “Ländle leben lassen”

Das stinkt ihnen? Dann sind sie damit definitiv nicht allein. Der Volksantrag “Ländle leben lassen”, ins Leben gerufen von einem Bündnis aus 24 Natur- und Umweltschutzverbänden, hat innerhalb kurzer Zeit von 40.000 notwendigen Unterschriften bereits 35.000 sammeln können. Das Thema scheint definitiv vielen Menschen unter den Nägeln zu brennen. Warum das so ist, lassen die Zahlen erahnen, die der BUND auf seiner entsprechenden Landing Page zum Volksantrag zusammengetragen hat. So werden in Baden-Württemberg (Stand 2021) 6,2 Hektar Fläche zugebaut. Nicht pro Jahr, nicht pro Monat, nicht pro Woche, sondern an jedem einzelnen Tag. Das entspricht einer Fläche von sieben Fußballfeldern. Die letzten beiden Generationen in Baden-Württemberg hätten demnach so viel Fläche verbraucht, wie alle 80 Generationen zuvor, so der BUND. Das muss man erst einmal sacken lassen. 2022 hat der Flächenverbrauch zwar wieder etwas abgenommen, was jedoch auch mit den Auswirkungen stockender Lieferketten und gestiegener Preise in Verbindung gebracht wird.

Die Landesregierung in Baden-Württemberg hat sich durchaus die Verringerung des Flächenverbrauchs auf die Fahnen geschrieben, das aber allenfalls halbherzig. Bis 2035 soll dieser zwar rechnerisch gegen Null sinken, eine gesetzliche Verankerung dieses Ziels ist aber nicht vorgesehen. By the way, würde man bis 2035 im selben Tempo weiterbauen, wie zuletzt statistisch für 2021 erfasst, würden bis dahin 280 Quadratkilometer Baden-Württembergs zugebaut werden. Das wäre, um ein Bild zu nutzen, die dreifache Größe der Stadt Bruchsal.

Während sich die meisten großen Umweltverbände und auch zahlreiche Landwirte am Volksantrag beteiligen, kritisiert der baden-württembergische Gemeindeverband das Ansinnen. In einem Positionspapier, auf das sich der SWR bezieht, lehnen die Kommunen eine pauschale Begrenzung ab, argumentieren beispielsweise mit der Notwendigkeit von Wohnungsbau, um dem Bedarf gerecht zu werden. Ob man der Wohnungsnot mit der Vernachlässigung von Ortskernen und der Ausweisung von Neubaugebieten für Einfamilienhäuser begegnen kann, ist allerdings fragwürdig.

Man kann daher den Planern von Land, Kreis, aber auch Kommunen nur dringend dazu raten, den eigenen Kopf nicht mehr in den Sand zu stecken – sonst gibt es am Ende nicht mehr genug Sand dafür.

Informationen zum Volksantrag finden Sie beispielsweise auf der Webseite des NABU Baden-Württemberg.

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11 Gedanken zu „Im Land der 1000 Betonhügel“

  1. Solange ich mit Öffis 2,5h in die Arbeit brauche und mit dem Auto 20 Minuten ist ein Jobwechsel oder Umzug wahrscheinlicher als ein Umdenken in der Mobilität.

  2. Zu den erwähnten Stadtvillen, die nicht nur in Bretten gebaut werden, möchte ich einen Kommentar einer Immobilienmaklerin anfügen. Wohnungen um 100 m2 werden in Mehrzahl von Singles gekauft. Eine Entspannung am Wohnungsmarkt ist mit diesen Massnahmen nicht in Sicht.

  3. Hügelhelden …..heute mal wieder in bester Bashinglaune.
    Vielleicht sollte man auch berücksichtigen und respektieren, dass nicht jeder im Wohnsilo leben möchte. Die Hügelheldenredaktion ist ja auch nicht 11 Stock eines platzsparenden Hochhauses untergebracht sondern liegt erstaunlich idyllisch im Grünen!? Von dort aus lässt sich Zusammenrücken, was die Folge von verringertem Flächenverbrauch und steigenden Bevölkerungszahlen ist, doch recht einfach fordern.

    • Ach Yup, Dein Whataboutism in allen Ehren, aber ich wohne und arbeite in einem 1785 erbauten Haus, von einem Neubaugebiet kann man da nicht wirklich sprechen 😉

      Nein, natürlich will nicht jeder in einem Wohnsilo leben, aber im Umkehrschluss gibt es eben auch kein Recht darauf überall wo man siedeln möchte, Land zu versiegeln und ein Einfamilienhaus darauf zu errichten. Alte Schmuckstücke wie das meine stehen zu Hauf leer und warten auf eine liebevolle Wiedererweckung aus dem Dornröschenschlaf, also Go Go Go

      Kuss und Gruß

      Stephan / Hügelhelden.de

      • Das finde ich interessant! Auch ich wohne in einem 150 Jahre alten Haus. Umgebaut 7 Jahre lang. Mit Schweiß, Herzblut und viel Geld. Wenn ich aber jetzt darüber nachdenken muss ich sagen könnte ich mir mein Haus nicht finanzieren. Es müsste sich von staatlicher Seite etwas ändern.Bei uns steht eine Erbengemeinschaft schon 4 Jahre leer und verfällt. Da würde ich dann finden müsste es ein Urteil geben Käufer wären da.Auch ich will nicht in einem 11.stock leben.Leider hat nicht jeder diese Möglichkeit. Stadt Kraichtal feiert ja auch Neubaugebietseröffnung obwohl viele alte Häuser da stehen um neu bewohnt zu werden!

  4. Leider wahr und solange Baurecht ueber Naturschutz steht werden wohl auch in Zukunft erhaltenswerte Flächen geopfert, um Steuereinnahmen zu erhöhen. Arbeitsplätze werden oft nicht geschaffen, denn die Digitalisierung, bei der Roboter 24 Std. arbeiten, werden nun mal nicht krank und wollen auch keinen Urlaub. Manch ältere Mitbürger würden bestimmt auch gerne ihr großes Haus aufgeben, wenn es die Möglichkeit gäbe das Alter im gewohnten Umfeld in einer seniorengerechten Wohnung zu leben. Auch ein Versäumnis der Städtebaus.

  5. Man könnte auch an unbebaute Bauplätze rangehen, aber das traut sich keiner weil man dann die Bewohner gegen sich hat. In meinem Dorf „liegen“ knapp 100 Bauplätze in bestehenden Wohngebieten, aber man weißt munter Neubaugebiete aus.

  6. Bei uns sind es mehr als 150.
    Machen kann die Politik angeblich nichts… (oder will nicht…)

    Oft ist es aber auch die Generation deren Einfamilienhaus mit großem Grundstück ausgedient hat und nur noch für 2 Personen genutzt wird, welche den „Flächenfraß“ an den Pranger stellen. Während von der Folge-Generation erwartet wird die 4-köpfige Familie nicht im Einfamilienhaus, sondern in einer 2-Zimmer-Wohnung groß zu ziehen. (etwas überspitzt formuliert, aber auf den . gebracht; so zumindest die eigene Wahrnehmung)

  7. Man sollte auch mal einen Blick auf die zahlreichen unbewohnten Bruchbuden werfen, die gar nicht so selten die Straßen der kleinen Orte im Kraichgau säumen. Z. B. in der Hauptstraße von Waldangelloch – und das ist nur ein Beispiel. Hier scheuen die Erben (?) wohl die Ausgaben für einen Abriß und warten einfach den Zusammenbruch ab. Nach mir die Sintflut… Hier sollte man überlegen, ob nicht nach einem angemessenen Zeitraum ( 10 oder 15 Jahre ) eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit und zum Zwecke der Neubebauung sinnvoll wäre.

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