Schlaf, die leichteste und gleichzeitig schwierigste Sache der Welt. Doch Hilfe ist nah – ganz nah in Mingolsheim. Wenn Hypnos, der Gott des Schlafes, sie schon nicht küssen möchte, dann tut das eben Schlafforscher und Somnologe Dr. Andreas Benz.
Ins Bett fallen, die Augen schließen und acht Stunden selig und entspannt durchschlafen. Herrlich, oder? Easy peasy… Tja, wenn es doch nur so einfach wäre. Auch wenn man ihn allabendlich herbeisehnt, ereilt der Schlaf doch längst nicht jeden. Zumindest nicht alle und schon gar nicht in der Regelmäßigkeit und der Qualität, die man sich wünschen würde.
Gerecht geht es dabei meiner Einschätzung nach nicht wirklich zu. Ich habe Freunde, die bei laufendem Fernseher, bellenden Hunden vor dem Fenster, Schlossbeleuchtung, mitten im Satz und nach drei doppelten Espresso im Stehen einschlafen können. Bewundernswert… ich könnte sie dafür umbringen. Selbst gehöre ich leider zu der anderen Gruppe. Zu jenen, die sich stundenlang im Bett hin und her wälzen und sich spätestens um 2 Uhr morgens fragen, wie sie in die verbleibende Zeitspanne bis zum Weckerklingeln um 6 Uhr, noch 8 Stunden erholsamen Schlaf packen sollen.
Das kommt Ihnen bekannt vor? Flosse drauf ihr schlaflosen Schwestern und Brüder, wir sind nicht allein. Über Schlafprobleme klagen, je nach Quelle und Studienlage, etwa 20 bis 25% aller Menschen in Deutschland. Welcher Teil dieser Suppe dabei in den unergründlichen Tiefen unserer Hirnwindungen angerührt wird und welcher Teil auf empirisch nachweisbare, organische Ursachen zurückzuführen ist, kann vermutlich nicht aufs Perzentil genau ermittelt werden. Pragmatisch gesehen ist das Ergebnis in der Summe das gleiche – man schläft schlecht oder gleich gar nicht.
Sollten Sie nur ein oder zweimal pro Woche schlecht schlafen, dann zählen sie übrigens nicht zur Gruppe der offiziell Schlafgestörten, eine solche Anhäufung ist völlig normal. “Geht mir auch so“, sagt der Mann, der es wissen muss und der mich auf einen Besuch in seine vor dem Wochenende völlig verwaiste Praxis in Mingolsheim eingeladen hat. Dr. Andreas Benz ist promovierter Mediziner, Facharzt und seit Jahren auf das äußerst spannende Feld der Schlafforschung und der Schlafmedizin spezialisiert. Ein fröhlicher und offener Arzt, der ein Faible für Lego hat und dessen Teint auf unzähligen Stunden in lichtreduziertem und schlafförderndem Umfeld schließen lässt. Nach seinem Studium in Heidelberg absolvierte er 2006 nach seiner fachärztlichen Ausbildung zum Internisten und Notfallmediziner die weitergehende Ausbildung zum Schlafmediziner und Somnologen. 2013 wurde er schließlich Leiter der Abteilung Schlafmedizin an der Thoraxklinik Heidelberg. Vor zwei Jahren wagte er schließlich den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnete in einem leerstehenden Trakt eines Pflegeheims in Mingolsheim sein eigenes Schlaflabor.
Aufgebaut ist “Andreas Reich der Träume” wie ein ellenlanger Korridor, an dessen Seiten sich mehrere kleine Räume finden, die eine Art Mischung aus Krankenhauszimmer und Hotelzimmer sind. In jedem gibt es ein kleines Badezimmer, einen Tisch, einen Sessel und selbstverständlich ein Bett. Schlicht gehalten, aber mit frechen, grünen Farbspritzern garniert. Wer sich hier zur Ruhe begibt, tut das nicht einfach so. Davor wird er mit dutzenden Kabeln und Sensoren ausgestattet, ein Prozedere, das durchaus eine halbe Stunde Zeit in Anspruch nehmen kann. Diese Sensoren überwachen dann im, sich idealerweise im Folgenden einstellenden Schlaf, die Vitalzeichen der Patienten, die von ständig anwesendem Fachpersonal nonstop im nahegelegenen Computerraum aufgezeichnet werden. In so einer Atmosphäre könnte ich nie im Leben einschlafen, sage ich im Brustton der Überzeugung, doch Andreas Benz lacht und winkt ab. “Das sagen viele, die allermeisten schlafen dann doch”. Als Schlafgestörter, der bald sein 15-jähriges Jubiläum feiert, widerspreche ich zwar innerlich, aber man hat ja schon Pferde kotzen sehen.
Zurück zur Sache. Am nächsten Morgen, nach einem in Kooperation mit dem benachbarten Pflegeheim servierten Frühstück, geht Andreas Benz dann die Aufzeichnungen der Nacht gemeinsam mit den Patienten durch, um zu besprechen was Tango ist. Insbesondere die nächtliche Atmung ist für Andreas Benz von zentraler Bedeutung, denn die sogenannte Schlafapnoe ist eine Form der Schlafstörung, die unbehandelt zu großen Problemen führen kann. Darunter versteht man das nächtliche Erschlaffen der Muskulatur der oberen Atemwege, so dass das weiche Gewebe beim Einatmen die Atemwege verschließt. Passiert das nur sporadisch, ist das in der Regel kein Problem, bei größerer Häufung dieser Apnoen sind die daraus resultierenden Probleme erheblich. In erster Linie zu nennen wären hier Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Bluthochdruck, ein gesteigertes Risiko für Herzinfarkte oder Schlaganfälle und nicht zuletzt Abgeschlagenheit und Müdigkeit am Tag.
Nicht immer wird eine solche Apnoe von selbst erkannt, doch es gibt zumindest ein paar typische Symptome. Sekundenschlaf, Kopfschmerzen und Tagesmüdigkeit sind mitunter Alarmsignale weiß Andreas Benz genau und empfiehlt zudem, auf die Atmung des Partners zu achten. Wenn der andere immer wieder längere Atempausen hat und danach nach Luft ringt, ist ein Besuch beim Arzt unumgänglich. Es sei denn natürlich, sie können Ihren Bettgefährten auf den Tod nicht ausstehen. Zwinker Smiley. Behandelt werden kann Schlafapnoe z.B. mittels der CPAP-Therapie, dem „Goldstandard“, wie man in der Branche sagt. Eine Schlafmaske, verbunden mit einem entsprechenden Atemgerät, sorgt die ganze Nacht für einen leichten Überdruck, so dass sich die Atemwege nicht schließen können. Viele Patienten haben Angst vor dieser Apparatur, doch Andreas Benz schwört darauf. Mittlerweile seien die Geräte soweit entwickelt dass man sie kaum noch höre und die Masken so minimal gestaltet, dass nur ein kleines bisschen weiches Silikon über der Nase läge, schwärmt der Schlafdoktor und zieht sich zum Beweis gleich eine Maske über den Kopf. “Leider habe ich keine Apnoen, ich habe immer gehofft, selbst mal so ein Gerät zu brauchen” lacht er und ich bin mir nicht so ganz sicher, ob das wirklich ein Scherz war.
In seinem Schlaflabor ist Andreas Benz in jedem Fall in seinem Element, er hat seine berufliche Bestimmungen gefunden, so viel steht einmal fest. Dem Schlaf auf die Spur zu kommen, seinen oft zu Mystizismus verklärten Eigenheiten zur Leibe zu rücken, das ist seine Mission. Wenn ein Patient zu ihm kommt, hat dieser meist schon eine gewisse Leidensgeschichte hinter sich. Andreas Benz klärt dann erst einmal im Gespräch ab, was sein Gegenüber beschäftigt und bewegt. Diagnostisch beginnt er in der Regel zuerst mit einer Polygraphie, einer Untersuchung zu Hause. Der Patient bekommt ein Diagnosegerät mit, das er selbst in der Nacht anlegen kann und dessen Auswertung am nächsten Tag in der Praxis erfolgt. Werden hier Probleme deutlich oder ist eine darüber hinausgehende Diagnose nötig, folgt dann die Polysomnographie – die Nacht im Schlaflabor. Terminlich kann letzteres durchaus ein paar Monate Vorlauf benötigen, es sei denn die Problematik duldet keinen Aufschub. Allerdings erscheinen zum großen Ärger von Andreas Benz und seinem Team immer wieder Patienten nicht zu Ihrem Termin oder sagen diesen kurzfristig ab. In diesem Fall gibt es eine Warteliste, die schon so manchem Schlaflosen zu einem deutlich früheren Termin verholfen hat.
Die langen Wartezeiten resultieren aus den rar gesäten Spezialisten. Es gibt zu wenige Schlafmediziner, erklärt Andreas Benz und weiß auch wieso. Es sei eine Zusatzausbildung nötig, für die man schon Facharzt sein muss, der Kampf um die Zulassung sei schwierig und nicht selten stünde am Ende eine 60-Stunden-Woche mit reichlich Nachtdienst. Holy Moly! Dennoch ist Andreas Benz fasziniert von seinem Beruf, hat in seinen Jahren in Heidelberg viel Zeit in die Forschung dieser komplexen und spannenden Materie investiert. Ein paar essentielle Wahrheiten hat er sich über all die Jahre erarbeitet, die wichtigste: “Druck ist das Gegenteil von Schlaf”. Schlaf lässt sich nicht erzwingen, aber Schlaf lässt sich erlernen oder zumindest üben. Durch Schlafhygiene, regelmäßige Bettzeiten, reduzierte Ablenkung durch Fernsehen oder Smartphones. Auch Entspannungsübungen können dabei durchaus helfen, jeder muss hier seinen eigenen Weg finden. “Isch kann kee Yoga” lacht der Doc mit breitem Heidelberger Akzent und hat als Alternative auch autogenes Training oder progressive Muskelentspannung in petto.
Von einschlaffördernden Mitteln aus der Apotheke oder Smartwatches zur Schlafüberwachung hält er übrigens gar nichts, wobei das Smartphone im Grunde durchaus dienlich sein kann. Mittlerweile gibt es mehrere zugelassene Apps, die nachweislich die Entspannung und das Einschlafen fördern, teilweise sind diese auch über die Krankenkassen erhältlich. Und wenn wir schon übers Digitale reden… auf seiner Webseite hat Andreas Benz 11 gängige Mythen und Fragen über das große Thema “Schlaf” aufgelistet und kurz und knackig seine Antworten gegenübergestellt.
Kleiner Spoiler und die schönste Antwort daraus für mich als chronischen Schlechtschläfer: “…messen Sie dem Schlaf keine übersteigerte Bedeutung… bleiben sie dem Schlaf gegenüber positiv eingestellt…”. Und nicht vergessen, ein bis zweimal pro Woche schlecht schlafen ist kein Drama. Selbst Andreas Benz hat regelmäßig solche Nächte, wie er auch unumwunden zugibt. Was er dann macht? Angesichts der überall im Schlaflabor stehenden Bauwerke…vermutlich mit Lego spielen.