Die schwarze Stadt

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Wenn um Mitternacht die Laternen verlöschen, verwandeln sich selbst vertraute Straßen in unbekanntes Territorium

Um Energie zu sparen schalten viele Kommunen im Kraichgau ab Mitternacht ihre Straßenlaternen aus. Doch die neue entdeckte Dunkelheit ist für uns lichtverwöhnte Nachtschwärmer gar nicht so leicht…

von Stephan Gilliar

Ein paar herzliche Worte, eine Umarmung, zum Gruß erhobene Hände und dann schließt sich die Tür hinter mir. Es ist spät geworden, ein geselliger Abend lässt die Zeit in Windeseile verfliegen. Gerade sitze ich noch mit Freunden am Tisch, es ist laut, hell und fröhlich und jetzt – das große Nichts. Als ob jemand einen Schalter umgelegt und sämtliche Sinneseindrücke von 100 auf 0 heruntergefahren hätte.

Ich stehe auf der Straße und sehe… nichts. Die Straßenlaternen wurden schon vor Stunden ausgeschaltet, kein Mond steht am Himmel, es ist pechschwarze Nacht. Irgendwo in den verschlungenen Eingeweiden der alten Stadt habe ich mein Auto geparkt, darauf vertrauend, dass mein eigentlich guter Orientierungssinn mir schon dahin zurück helfen wird. Doch um sich zu orientieren, braucht es zumindest ein paar Fixpunkte und diese fehlen in der mich umgebenden, gähnenden Dunkelheit gänzlich. Die Straße liegt vor mir wie ein schwarzer Fluss, ich tappe vorsichtig entlang des nur schemenhaft erkennbaren Gehsteigs. Die meisten Häuser liegen in Dunkelheit, aus ein paar Fenstern dringt etwas Licht. Gerade genug um nicht gegen irgendein Hindernis zu prahlen, zu wenig um vertraute Wegmarken zu erkennen.

Das einzige Geräusch entstammt meinen eigenen Schuhen auf dem Asphalt, ansonsten herrscht gespenstische Stille. Angst habe ich keine, ich bin ein erwachsener Mann und mit 1,95 Meter auch nicht gerade ein Hänfling… dennoch ist diese Dunkelheit so unmittelbar, so nah und und undurchdringbar, dass zumindest alle Sinne mit maximalem Schärfegrad das bisschen erfassbare Umgebung sondieren. Ganz allein bin ich nicht, irgendwo neben mir leuchtet wie ein infernales Glühwürmchen das orangerote Glimmen eine Zigarette in den Schatten einer Hauseinfahrt.

Ich tappe eine Weile umher bis ich unumwunden zugeben muss, mich in der eigentlich vertraut geglaubten Umgebung bei Dunkelheit nicht zurecht zu finden. Die Dunkelheit mag zwar nur durch das Fehlen von Licht definiert sein, doch ist sie noch etwas mehr. Sie zeigt uns visuellen Wesen unsere Schranken auf, aus der Hüfte heraus finde ich den Weg zurück zum Auto auf jeden Fall nicht. Also ziehe ich mein Smartphone, schrecke von der unerwarteten Helligkeit des Displays zurück und lasse mich per Fußgänger-Navigation leiten. Dazu schalte ich die kleine Lampe an dem Gerät ein, die die Straße ausreichend erhellt um sich zurecht zu finden. Auch das fühlt sich irgendwie falsch an, im Schein einer kleinen Lampe verstohlen und leise um die Häuser zu schleichen, das sind Attribute die ich irgendwie mehr einem Einbrecher als einem arglosen Passanten zuschreiben würde.

Irgendwann komme ich tatsächlich bei meinem Auto an und schäme mich etwas für meine verkümmerten Sinne. Das Fehlen von Mondlicht hat mich k.o. gesetzt, in völliger Dunkelheit komme ich offenbar nicht so zurecht, wie ich geglaubt hatte. Diese Fähigkeit sollte ich vielleicht wieder etwas trainieren, denn der Trend Land auf Land ab geht ganz klar zur dunklen Stadt nach Mitternacht. Während das in den größeren Städten kein größeres Problem ist, weil genügend Fahrzeuge und Schaufenster für alternative Lichtquellen sorgen, kann das bei uns auf dem Land schon hin und wieder problematisch sein. Wenn das Mondlicht ausbleibt und die Häuser zu nachtschlafender Zeit im Dunkeln liegen, sind nicht nur alle Katzen grau sondern schwarz und unsichtbar. Mich selbst schreckt der Gedanke nicht wirklich, ob ich aber gerne meine Teenagerin durch die Finsternis irren sehen würde? Nicht wirklich. In unseren friedlichen Hügeln mag zwar nicht viel Bedrohliches lauern, doch die Existenz böse gesinnter Zeitgenossen zu leugnen, wäre fahrlässig und blauäugig. Gelegenheit macht Diebe und im Schutz der Dunkelheit glaubt sich so manche Kreatur der Nacht in Sicherheit.

Dies alles mag sich wie ein Plädoyer gegen die der Energieeinsparung geschuldeten, nächtlichen Verdunkelung lesen, doch so einfach ist das nicht. Das viele Licht, an das wir uns zeitlebens gewöhnt haben, ist mitnichten nur gut für uns. Flora und Fauna brauchen den eindeutig definierten Wechsel zwischen Tag und Nacht, das Thema Lichtverschmutzung ist keineswegs neu und für die Wissenschaft, insbesondere Chronomediziner, ein alter Hut. Das gilt für Tiere, Pflanzen wie für uns Menschen – Der Wechsel von Tag und Nacht ist wichtig für unseren Organismus, gibt die Struktur vor, die unsere innere Uhr benötigt um die komplexen Stoffwechselprozesse korrekt zu steuern. Schichtarbeiter können ein Lied davon singen, wie sehr diese innere Uhr unser Wohlbefinden und unsere Funktionsfähigkeit beeinflusst. Insofern hat die neu verordnete, nächtliche Dunkelheit in unseren Kommunen auch ihr Gutes. Sie gibt der Nacht die Schwärze zurück, aber auch unserer Furcht wieder neuen Nährboden. Nicht umsonst haben wir uns schon in grauer Urzeit lieber ans Feuer oder in unsere Höhlen zurückgezogen, wenn die Sonne am Horizont verschwunden ist.

Die Diskussionen über das Comeback der dunklen Nächte fallen wie zu erwarten daher auch völlig ambivalent aus. Während manche Menschen die wiederentdeckte Nachtruhe zu schätzen wissen, fühlen sich andere in dieser Dunkelheit unsicher und verwundbar. Richtig oder falsch gibt es in dieser Frage nicht, beide Wahrnehmungen sind völlig legitim. So bleibt zunächst nichts anderes übrig als das im Grunde überschaubare Zeitfenster – meist angesiedelt zwischen Mitternacht und 5:00 Uhr am Morgen – zu Hause zu verbringen, was vermutlich auch auf 99 % der Menschen zutreffen dürfte. Wer dennoch zu dieser nachtschlafender Zeit unterwegs sein muss, sollte sich nicht scheuen eine helle Taschenlampe mitzuführen oder im Vorfeld einen Bekannten zu bitten, als Begleitung für den Weg durch die dunklen Straßen mitzukommen.

Schlussendlich empfiehlt es sich aber doch mit der Dunkelheit Frieden zuschließen, ihre Schönheit und das Fehlen der am Tage so reichlich vorhandenen Reize als Gelegenheit für etwas innere Einkehr und Ruhe zu nutzen. „Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt.“ sagte Hermann Hesse… recht hat er.

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4 Gedanken zu „Die schwarze Stadt“

  1. Ich kann das nur allzu gut nachvollziehen. Wir waren vor Jahren zu Besuch in einem Dorf in Hessen und wollten nachts ein paar Gebäude weiter zum Schlafen. Aber erst einmal finden in völliger Dunkelheit. Hatte uns damals auch überrascht, als Städter war man es nicht gewohnt. :)

  2. Wir haben Nachts viel zu viel Licht, selbst in den Gärten werden Büsche und Bäume angeleuchtet. Ein Graus für die Natur. Entschuldigung, nicht „die Natur“. Für uns, denn wir sind auch Natur. Es gibt keine Umwelt, es gibt nur eine Mitwelt. Dass Gemeinden komplett abschalten ist erstaunlich. Vor allem da gleichzeitig Industriegebiete und Umfahrungsstrassen taghell ausgeleuchtet bleiben. Wer einmal Nachts um das Oberderdinger Industriegebiet fährt, kann seine Abblendlicht ausschalten. Auf den Strassen ist es taghell. Auf den Rad-und Gewehgen nicht. Dort stehen die Lampen, die auf die Strasse leuchten. Kein Witz. Da ist es eher ein Witz, wenn es innerorts stockdunkel wird (was ja nicht sein muss). Die Großverbraucher lachen sich tot. Der Ministerpräsident empfiehlt Waschlappen. Mit einem Waschlappen erreicht man aber nix.

  3. Als künftiger Agrarstaat brauchen wir uns darüber keine Sorgen machen. Gas- und Öllampen fallen unter das Verbot, welches noch nicht existiert, aber seine Phantasie kann man doch etwas anstrengen.

  4. Ich finde es grauenvoll bis irgendwann etwas was passiert…Das ist eine Einladung für alle die böse Gedanken haben davon gibt es leider zu viele … Und dann noch schön markiert welche Laternen ausgehen… Die Gemeinden sollten sparen wo es nicht nötig ist ein Rathaus braucht kein Klimageräte haben Schulen doch auch nicht… Die “ großen“ sollten verzichten das es die kleineren sicherer haben dazu gehören auch leuchtende Straßenlaternen…

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