Seit über 110 Jahren stellt die Familie Bolich in Odenheim Leuchten in Handarbeit her – manche davon landen sogar an Sets berühmter Hollywood-Filme
Seien Sie so gut und schauen Sie sich einen Moment in dem Raum um, in dem sie gerade sitzen. Wenn es sich dabei ungefähr um den deutschen Durchschnitt handelt, fällt ihr Blick vermutlich auf reichlich Furnierholz, Pressspan und Kunststoff aus dem schwedischen Möbelkaufhaus. Seien Sie ehrlich, ist irgendetwas dabei, das schon bei ihren Eltern, oder vielleicht sogar ihren Großeltern im Haus stand?
Klar, das ist natürlich auch eine Stilfrage, aber eine Behauptung stelle ich jetzt einfach mal in den Raum: Früher wurde für die Ewigkeit gebaut. Das Holzspan-Regal wird vermutlich nicht über Generationen in der Familie weitergegeben, die Schlafzimmer-Einrichtung als Aussteuer der Urgroßeltern wäre dafür aber durchaus geeignet. In meinem Schlafzimmer steht beispielsweise der alte Kleiderschrank von Uroma, felsenfest, massiv und echte Handarbeit eines längst verstorbenen Schreinermeisters. Jedes Mal wenn ich umziehe, löse ich einfach ein paar Haken aus Ösen, kann das gute Stück abschlagen und an anderer Stelle genauso neu errichten, wie es damals die Werkstatt verlassen hat.
Früher war nicht alles besser… manches aber schon
Wer sich heute neu einrichtet, wählt meist aus auf Masse ausgelegten, riesigen Paletten von Industrieprodukten – das ist zwar günstig, dafür aber meist nicht sonderlich langlebig. Richtige Handarbeit entdeckt man heute eher im Verborgenen, Unikate gefertigt von echten Menschen, die noch Zeit und Wissen in ihre Arbeit investieren, anstatt nur auf Quantität und möglichst große Margen zu setzen. In der Bahnhofstraße im Östringer Stadtteil Odenheim findet man allerdings noch eine solche Ausnahme, ein kleines Werk für Lampen – oder Leuchten, wie es ganz korrekt heißen muss. Seit 1911 werden in den Bolichwerken Lampen hergestellt, zwischenzeitlich in vierter Generation.
Die Modelle, die hier gefertigt werden, entsprechen genau jenen, die bereits vor über einem Jahrhundert in Odenheim hergestellt wurden. Zeitlose Klassiker, die so schlicht und schön sind, dass sie jedem Retro-Fan die Tränen in die Augen treiben. Die alten Wandlampen die den Kuhstall der Großeltern beleuchten, emaillierte Werkstattlampen aus Opas Schreinerei, wie ein Blumenstrauß aufgefächerte Leuchtstoffröhren an Messingarmen, die die Kaufhäuser längst vergangener Tage zum Strahlen brachten.
Zu Besuch in den Bolichwerken
Wer das Backsteingebäude der Bolichwerke betritt, den umschließt zuerst einmal – Stille. Obwohl hier natürlich gearbeitet wird, ist die Arbeitsatmosphäre in keiner Weise mit der einer Fabrik zu vergleichen, alles läuft gemächlich, konzentriert und völlig entschleunigt. Nur ab und zu durchschneidet das Dröhnen einer der alten Maschinen die Ruhe. Die in altem Industriegrün lackierten wuchtigen Gerätschaften, verrichten hier teilweise schon seit 60 bis 80 Jahren klaglos ihren Dienst, werden dabei von Mitarbeitern bedient, die ihrerseits schon reichlich Jahrzehnte auf dem Buckel haben. Der Altersschnitt der Bolich-Arbeiter liegt recht hoch, manche von Ihnen arbeiten in den Werken schon seit ihren Jugendjahren. Gerd Wormer zum Beispiel ist schon viele, viele Jahre dabei, kennt die kleine Manufaktur wie seine Westentasche. Er schließt sich unserem kleinen Erkundungsgang gerne an, erklärt wie in den Bolichwerken gearbeitet wird. Angeführt wird unser kleiner Trupp aber von Generation 3 und Generation 4 der Familie Bolich, von Günther und seinem Sohn Benny. Günther ist ein echter Lebemann, das Lachen ist ihm quasi ins Gesicht getackert. Gut gelaunt erzählt er eine Anekdote nach der anderen, scherzt und flachst mit den Angestellten, hat immer einen kleinen Gag auf den Lippen – kurzum man mag ihn sofort.
Günther ist der einzige Sohn von Erich Bolich, hat bereits mit 25 Jahren den kaufmännischen Bereich des elterlichen Betriebs übernommen. Erich wiederum hat die Firma zusammen mit seinen drei Geschwistern von dessen Vater Anton geerbt, dessen Bruder Eugen das Unternehmen gegründet hat, im Winter 1960 aber in Karlsruhe bei einem schweren Verkehrsunfall mit einer Straßenbahn ums Leben kam. Ursprünglich gegründet wurde die Firma “Bolich & Neuhäusel” 1911 in Offenbach am Main, ein paar Jahre später folgte dann in Odenheim die Grundsteinlegung der späteren Bolichwerke.
Um zu erkennen, welches Potenzial Eugen damals erschlossen hat, muss man sich das Odenheim vor über 100 Jahren vor Augen führen. Ein ländliches Dorf, in weiten Teilen weder mit Wasserleitungen, Kanalisation oder sonstiger Infrastruktur ausgestattet. Der Alltag war geprägt von Landwirtschaft, Viehhaltung und Feldarbeit. An das Elektrizitätsnetz wurde Odenheim tatsächlich erst ein gutes Stück nach Anbruch des 20. Jahrhunderts angeschlossen, genau in diese Kerbe stieß Eugen Bolich mit seiner lichttechnischen Fabrik.
Goldene Jahre und dunkle Jahre
Die Zwanziger Jahre waren für das junge Unternehmen eine goldene Zeit. Über 100 Mitarbeiter produzierten damals Leuchten aller Art, ein zweites Standbein wurde 1932 in Bruchsal erschlossen. Nach Anbruch des Zweiten Weltkrieges wurden allerdings in den Räumlichkeiten der Werke keine Leuchten mehr hergestellt, sondern unter Kontrolle des Kriegsministeriums ausschließlich Handgranaten für die Versorgung der Wehrmacht. Die Kriegswirtschaft machte auch vor dem kleinen Odenheim nicht Halt.
Nach dem Krieg rollt die Produktion in Odenheim allmählich wieder an, die Wirtschaftswunder-Jahre lassen die Nachfrage steil nach oben schnellen. Zweckdienliche Leuchten für Arbeit und Haushalt werden zu Dutzenden gebaut und überall in der noch jungen Bundesrepublik vertrieben. Immer moderner werden die produzierten Modelle, erst gegen Ende des letzten Jahrhunderts erleben die Klassiker in einer Retrolinie unter dem Namen “Ebolicht” ihr Comeback. Gefertigt werden die Lampen allerdings nach wie vor in reiner Handarbeit, Stück für Stück, in kleinen Zahlen und nicht selten direkt nach Kundenwunsch individuell ausgestaltet.
Doch das Geschäft ist in den letzten Jahren schwierig geworden, die Verkaufszahlen liegen unter den Erwartungen, erzählt Benny Bolich, mittlerweile Geschäftsführer des Familienbetriebs. Die Baubranche liege am Boden, kaum noch jemand benötigt hochwertige Inneneinrichtung, erzählt er und legt die Stirn unter der dichten Haartolle kraus. Dafür müsste man sich nur in der Region umsehen. Auf dem Hof des Kranhändlers, der früher fast immer ausgebucht war, stehen die Baumaschinen Seite an Seite, von den jüngsten Bilanzen von Blanco oder EGO ganz zu schweigen.
Hollywood lässt grüßen
An der Qualität liegt es in jedem Fall nicht, denn daran wird in Odenheim nicht gespart oder gerüttelt. Mit geschultem Auge und sicherer Hand nehmen die Lampenschirme auf den alten Formen, teilweise sogar den hölzernen aus dem frühen 20. Jahrhundert, vor unseren Augen Gestalt an. Liebhaber für die Klassiker gibt es genug, teilweise sind auch echte Prominente darunter. Til Schweiger beispielsweise lässt viele seiner Filmsets mit Leuchten aus Odenheim ausstaffieren, sogar in Hollywood-Blockbustern wie “Inglourious Basterds“ hängen Bolich-Leuchten an den Wänden und Decken, erzählen Günther und Benny stolz.
Es gibt zwei Gründe, warum wir bisher überleben, erzählt mir Benny. Einerseits weil wir bei der Qualität keine Abstriche machen und zum anderen weil wir jeden Kundenwunsch erfüllen. Benny ist sich sicher, dass auch diese Krise vorbeigehen wird. Er hat vor etwa zehn Jahren die Geschäftsleitung übernommen, dabei war das nicht zwangsläufig immer der Masterplan für sein Leben. Früher wollte ich sogar mal Pilot werden, erzählt er, hat sich dann aber in Sachen Ausbildung in Richtung BWL verlegt. Nach ein paar Jahren in Schwetzingen ist er mittlerweile wieder in Odenheim zu Hause, wo er auch die ersten Jahre seiner Kindheit verbracht hat. Zusammen mit seiner Frau Rebekka und der vierjährigen Belle lebt er ganz in der Nähe, verbringt viel Zeit in den Büros, in denen bereits sein Vater, sein Großvater und sein Urgroßvater gearbeitet haben. Bis auf etwas neue Farbe an den Wänden und einen neuen Fußboden sieht es hier auch noch genauso aus wie vor 110 Jahren. Der alte wuchtige Geldschrank in der Ecke, die ornament-verzierten Türen und Fenster und selbstverständlich Bolichleuchten an jeder Decke und auf jedem Schreibtisch.
Juwelen auf dem Dachboden
Wahre Schätze türmen sich auch unter einer dicken Lage Staub auf dem Dachboden der kleinen Fabrik. Hier finden sich noch originale Leuchten aus den ersten Jahren der Produktion. Klassiker, deren Nachbauten heute die Namen großer Städte tragen, übrigens Günthers Idee. Um hier etwas Platz zu schaffen, soll es in den Sommermonaten drei kleine Werksverkäufe geben und damit die wahrhaft seltene Gelegenheit, die zu Beginn erwähnte Handarbeit aus den ersten Tagen Odenheimer Industriegeschichte zu erwerben.
Doch auch wer keinen Klassiker aus den alten Lagerbeständen ergattern sollte, kann sich entspannt zurücklehnen, denn die hier produzierten Leuchten entsprechen immer noch exakt der gleichen Bauart, den gleichen Materialien und der gleichen Herstellungsweise wie vor einem Jahrhundert. Lediglich die energetisch nicht mehr rentable Emaillierung wurde durch eine moderne Pulverbeschichtung ersetzt.
Wie lange hier in Odenheim noch auf diese Art und Weise gefertigt werden kann, wissen Benny und Günther Bolich nicht mit Gewissheit zu sagen. Wer weiß dieser Tage schon, was die turbulenten Jahre noch mit sich bringen werden. “Wenn so etwas wie das hier verschwindet, kommt es niemals wieder” weiß Benny wiederum aber ganz sicher. Deswegen will er alles daran setzen, diese kleine Blase im Strom der Zeit zu bewahren, zu erhalten und zu verteidigen.
Man möchte ihm wünschen, dass ihm das so gut gelingt, wie seinen vielen Vorfahren bisher und dass in der Bahnhofstraße Nummer 14 niemals das Licht ausgeht.
Info – Werkverkauf Bolichwerke
Termine
- 08. Juni 10-13 Uhr
- 06. Juli 10-13 Uhr
- 24. August 10-13 Uhr