Des alten Rätsels Lösung

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Vor fast 100 Jahren erschuf Johann Baptist Andree in Ebelsbach einen mysteriösen Rätselstein, der viele Generationen ratlos zurückließ. Nun gelang dem Bruchsaler Robert Scholderer das unmögliche Geglaubte: Eine Lösung des uralten Rätsels

von Stephan Gilliar

Waren sie eventuell schon einmal in Ebelsbach? In diesem kleinen 3800-Seelen-Dorf, gelegen am unterfränkischen Lauf des Mains? Etwa 1200 Jahre ist der Ort zwischenzeitlich alt und damit in etwa gleichauf mit den meisten unserer Gemeinden im Kraichgau. Es gibt dort in der Nachbarschaft sogar ein Stettfeld, genau wie bei uns. Ansonsten mehrere Schlösser, pittoreske Gassen und Straßen, viel Wasser, viel Grün, Hausmannskost und Folklore – kurzum, es ist wirklich schön dort. Fahren Sie doch einfach einmal hin, bummeln Sie etwas durch das Dorf und gönnen Sie sich im Anschluss einen Eisbecher im Eiscafé von Heinrich Albert. Ich wette sie werden es unzähligen anderen Menschen vor ihnen gleichtun und nachdenklich, mit dem Eis in der Hand und dem kleinen Löffel zwischen den Lippen, vor dem seltsamen Monument stehen bleiben, das sich auf der Rückseite befindet.

Sie werden etwas in der Art eines Grabmals vorfinden, das mit einem kreisrunden Stein gekrönt ist und von zwei Säulen flankiert wird. In das Konstrukt sind mehrere kryptische Textzeilen, unbekannte Symbole, Zahlen und geometrische Formen eingraviert, an der Wand dahinter verlaufen seltsame Linien. Ihr Verstand wird nach Mustern suchen, nach Anhaltspunkten, um dieses in Stein gehauene Rätsel zu lösen und – falls sie ähnlich konstituiert sind wie der Verfasser dieser Zeilen – daran scheitern. Grämen sie sich nicht, sie sind in bester Gesellschaft. Vor fast 100 Jahren wurde dieses Rätsel erschaffen, seither hat es niemand entschlüsseln können. Oder, etwa doch?

Dr. Robert Scholderer vor dem Rätselstein / Bild: Privat

Der Bruchsaler Wissenschaftler und Unternehmer Dr. Robert Scholderer ist sich sicher, den Ebelsbacher Rätselstein geknackt und dechiffriert zu haben. Ob dem wirklich so ist? Schwer zu sagen, aber wirklich alle Hinweise und Indizien deuten darauf hin, dass Robert es wirklich geschafft hat. Gleich vorneweg, eine abschließende Bewertung werden wir Ihnen in diesem Artikel nicht liefern können und das hat mehrere Gründe: Zum einen hat der Erschaffer des Rätsels, Johann Baptist Andree, Großvater des heutigen Besitzers des Eiscafés und des Steines, Heinrich Albert, leider keine verifizierte Lösung hinterlassen. Ob Robert richtig im Sinne des Schöpfers liegt, kann also nicht bestätigt werden. Zum anderen fehlt noch die Verifikation durch eine dafür geeignete Institution, beispielsweise eine mathematische Fakultät, dazu später mehr. Doch wer sich Roberts Lösungsweg einmal ganz genau ansieht, wird nicht umhinkommen zu bemerken, dass seine Logik bestechend ist, die vielen Puzzleteile, aus denen die Lösung besteht, perfekt ineinander greifen und das Endergebnis stimmig scheint.

Angefangen hat für Robert alles im Homeoffice und einem Übermaß an Zeit, das für seinen immer regen und unruhigen Geist schlicht unbefriedigend war. Er suchte sich also eine Betätigung, um dieses Vakuum zu füllen. So stieß er auf eine Disziplin, die man als “Artefact Hacking“ bezeichnet – also die Ergründung bis dahin nicht verstandener und geheimnisvoller Objekte. Auf diesem Wege fand er nach einiger Recherche den Ebelsbacher Rätselstein und fing sofort lichterloh Feuer. Nach zwei Stunden hatte er den ersten Ansatz, den ersten Faden eines Rätsels, das auf den ersten Blick noch nicht einmal seinen logischen Beginn offenbaren will. Mit diesem Fuß in der Tür gelang es Robert, immer mehr Bestandteile des Rätsels zu isolieren, sie zuerst in der korrekten Reihenfolge anzuordnen und sie schließlich nacheinander zu lösen. 100 Stunden Zeit sollte er am Ende in diesen Prozess investiert haben, unzählige weitere in die Ausarbeitung seines Lösungsweges.

Dr. Robert Scholderer vor dem Rätselstein / Bild: Privat

Es wäre eine glatte Lüge, würde ich Ihnen erzählen, dass ich Robert bei der Erläuterung dieses Lösungsweges auch nur mehrere Minuten lang hätte folgen können. Eines wird mir aber schnell klar: Hier haben sich über Zeit und Generationen hinweg zwei Genies berührt. Eines, das dieses Rätsel in einer unfassbaren Komplexität ersonnen hat, ein weiteres, dem es nach nahezu 100 Jahren gelungen ist, die Gedankengänge des anderen zu erfassen und nachzuvollziehen. Ich kann Ihnen nur das Folgende mitgeben, auch wenn es nicht viel ist: Robert hat in den Texten, den Symbolen, den Zahlen, den Linien und den vielen weiteren, kryptischen Elementen ein Muster gefunden, dass einmal nachvollzogen, derart ineinander greift, dass am Ende eine Melodie daraus resultiert. Der Weg dorthin führt über vier Grundelemente, das magische Quadrat, das Albrecht Dürer 1514 ersonnen hat, über in konzentrischen Kreisen angeordnete Zahlen und Symbole, einen Übertrag ins Morse-System und schließlich in chromatische Noten. Die Melodie, die sich aus Roberts Lösung ergibt, ist in sich stimmig und definitiv kein willkürlich geschaffenes Konstrukt, so viel kann auch ich mit Sicherheit sagen. Wie Robert auf die einzelnen Schritte seiner Lösung gekommen ist, ist mir schleierhaft, schlicht und einfach viel zu hoch, doch jede einzelne Teillösung ergibt tatsächlich im gesamten Ablauf einen Sinn, jede Stufe bedingt folgerichtig die andere.

Als studierter, promovierter und habilitierter Informatiker ist Roberts Geist darauf geschult, Muster in Systemen zu erkennen, ein Beruf, in dem auch Johann Baptist Andree zweifelsohne geglänzt hätte, hätte es ihn damals schon gegeben. Dessen Familie ist in jedem Fall von Roberts Lösung überzeugt und empfängt den Bruchsaler bei seinen Besuchen in Unterfranken so herzlich wie es nur geht. Ganz familiär und – ganz Franken – mit Leberkäs und Bier.

Der Rätselstein zu Ebelsbach / Bild: Privat

Mit der eigenen Einschätzung will sich Robert aber nicht zufriedengeben und hat sich nun mit seinem Lösungsweg mitunter an das hoch angesehene Mathematikum in Gießen gewandt, um die eigenen Ergebnisse überprüfen und auch bestätigen zu lassen. Dass er mit seiner Lösung ins Schwarze getroffen hat, davon ist er überzeugt und sicher auch keinen Phänomenen wie Clustering-Illusionen oder Pareidolie verfallen zu sein. “Es gibt einfach zu viele Beweispunkte” sagt er ohne jeden Selbstzweifel. Sobald er die eigene Beweisführung verschriftlicht und visualisiert hat, will er sie der Öffentlichkeit vorstellen und entsprechende Fachvorträge für ein diesbezüglich interessiertes Publikum anbieten.

Ob Robert wirklich so gut ist, wie er sagt, können Sie also bald selbst herausfinden. Ich für meinen Teil sage es mal so: Wäre Robert mit Dr. Jones Rätseln konfrontiert worden, wären die Indiana Jones Filme vermutlich nur je zehn Minuten lang gewesen.

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