Bilder von der Ostfront

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Der zweite Weltkrieg durch die Augen eines 19-Jährigen aus Baden

Als mein Großvater starb war ich zehn Jahre alt. Es war das erste Mal dass ich mit dem Tod Bekanntschaft schloss und es fühlte sich schrecklich an. Ich stand an seinem offenen Sarg und fuhr ihm mit der Hand über die Haare. Die Haut fühlte sich klamm an und in der Luft lag dieser kalt-süße Geruch, den ich niemals wieder vergessen werde. Da lag er, dieser hünenhafte, warmherzige und liebevolle Mann, bei dem ich mich immer so sicher und geborgen gefühlt habe wie sonst nirgendwo. Seit diesem Tag sind ziemlich genau 32 Jahre vergangen, ich selbst bin mittlerweile 42 Jahre alt. Wie wenig ich im Grunde über das Leben meines Großvaters weiß, wurde mir erst klar als meine Großmutter starb. In ihrem Nachlass befanden sich einige Fotos aus der Jugendzeit meines Großvaters, eine Zeit die so grausam und beschwerlich war, dass ich es mir kaum vorzustellen vermag.

Mein Großvater wurde vor genau 100 Jahren anno 1922 geboren. Aufgewachsen in den Wirren der Weimarer Republik und den Nachwirkungen des Ersten Weltkrieges, fielen seine späten Jugendjahre in das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Als er 17 Jahre alt war brach mit dem Zweiten Weltkrieg die Hölle in Europa von Neuem aus. Wie alle jungen Männer damals, wurde auch mein Großvater zum Kriegsdienst eingezogen und Anfang der 40er Jahre zusammen mit Millionen anderer Soldaten Richtung Ostfront entsandt.

Über den Krieg und die Zeit des Nationalsozialismus habe ich mit meinem Großvater kaum gesprochen – wie auch – ich war damals noch in der Grundschule. Meine Großmutter jedoch erzählte mir später, wie sehr er den Krieg, den Dienst als Soldat und die Gewalt verabscheut hat. Einmal habe er den Befehl erhalten einem Zivilisten in den Kopf zu schießen und diesen Befehl verweigert. Dass mein Großvater dafür nicht sofort erschossen wurde, hatte er wohl nur dem Umstand zu verdanken, dass sich ein befreundeter Offizier für ihn eingesetzt hatte, so erzählte es mir zumindest meine Großmutter. Ich glaube ihr das auch bedingungslos, erinnere ich mich doch an einen Vorfall während der Faschingstage 1988. Damals verkleidete sich mein kleiner Bruder als Cowboy und knallte mit einer kleinen Spielzeugpistole im Wohnzimmer herum. Mein sonst so stoisch ruhiger Großvater rastete aus, entriss meinem Bruder mit zitternden Händen die Pistole und zerbrach sie. Also ja, ich bin fest davon überzeugt und glaube dass mein Großvater kein überzeugter Nationalsozialist war, sondern nur ein kleines Blatt im Wasser, das vom unerbittlichen schwarzen Strom gegen seinen Willen mitgerissen wurde. Es gab andere Verwandte bei denen ich mir da absolut nicht so sicher war, auf meinem Großvater allerdings lasse ich nichts kommen.

Die Fotos von denen ich eingangs sprach, zeigen die Wochen und Monate, in denen mein Großvater damals zusammen mit seinen Kameraden meist zu Fuß durch die Frontlinien zog. Ich hatte keine Ahnung dass diese Bilder existieren, dass mein Großvater eine Kamera dabei hatte. Die Bilder steckten immer noch in einem Umschlag eines Mannheimer Fotogeschäftes, versehen mit Bestell- und Abholdatum. Sie zeigen nicht weniger als den Alltag des Zweiten Weltkrieges, beobachtet durch die Augen eines 19-Jährigen. Während ich im selben Alter mein Abitur ablegte, den Führerschein machte, das erste Mal bis über beide Ohren verknallt war und per Daumenexpress durch England trampte, zog mein Großvater durch ein ihm völlig fremdes Land und wurde Zeuge von Zerstörung, Leid und Tod. Die Bilder zeigen all dies – ungeschminkt und ungestellt. Ich veröffentliche sie das erste Mal seit ihrer Entstehung vor fast 80 Jahren, in der Hoffnung dass in diesem Land niemals mehr ein junger Mensch gezwungen sein wird, die Waffe zu erheben und sie gegen einen Anderen zu richten.

Am 8. Mai 1945 – vor genau 77 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa. Rund 60 Millionen Menschen ließen in diesen sechs dunklen Jahren ihr Leben. Das darf sich niemals mehr wiederholen.

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