Weihnachten in einer wunden Stadt
Eine Kolumne von Thomas Gerstner
Weihnachten – Das Fest der Liebe. Die Tage an denen man zueinander findet und sogar die Mächtigen ganz im Sinne der Dickenschen Weihnachtsgeschichte zu Demut und Einsicht gelangen. Die Mächtigen in der Chefetage des Reifenherstellers Goodyear haben diesen Ruf offenbar nicht gehört oder wollen ihn schlicht nicht hören. Vor wenigen Wochen beschlossen Sie also das Traditionswerk in Philippsburg zu schließen und hunderte Männer und Frauen ins existentielle Nichts zu schicken. Wie müssen wohl die Weihnachtsfeste dieses Jahr in diesen Familien gewesen sein? Wenn die Kinder strahlend ihre Geschenke öffnen und die Väter sich zu einem Lächeln zwingen. Wo sie doch wissen, das solche Ausgaben nun nicht mehr ohne weiteres gehen – und sich im nächsten Moment für diesen Gedanken hassen. Ein Leben lang haben sie sich in den Werkshallen vor den Toren der Stadt abgeschafft und für den Betrieb auch manches Opfer erbracht. Sie haben sich auf die Weitsicht ihrer Arbeitgeber verlassen, einen Kredit aufgenommen, eine Haus gebaut um sich und Ihren Familien ein echtes Leben aufzubauen.
Jetzt sitzen Sie da, am heiligen Abend in ihren noch nicht ganz abgezahlten Wohnzimmern und sehen dem weihnachtlichen Treiben zu. Voller Liebe für die Menschen die sich auf sie verlassen, voller Angst vor dem was nun kommen mag und voller Wut auf jene die sie verladen und verraten haben. Denn sind wir ehrlich – genau das ist geschehen. Die Goodyear-Arbeiter wurden wie menschlicher Ballast einfach von Bord geworfen. Zur Begründung hört man den üblichen Sermon. Rationalisierung, Neustrukturierung, Bla Bla Bla…. So logisch sich diese Ausführungen auch anhören sollen – unterm Strich zählen sie einfach nicht. Nur eine einzige Sache zählt: Das Unternehmen hat für alle diese Menschen mit ihrer Einstellung die Verantwortung übernommen. Hinter jedem Einzelnen steht eine Geschichte und ein menschliches Schicksal. Welche Chancen soll wohl ein Endvierziger noch auf dem kalten, deutschen Arbeitsmarkt haben? Wo nur Jugend, Leistung und Selbstaufgabe zählen? Sie kennen die Antwort. Es widert mich an, dass ein gestandener Kerl am Ende seines Arbeitslebens die Drecksarbeit für die Gesellschaft übernehmen soll, die er selbst im Schweiße seines Angesichts mit aufgebaut hat. Ich will einen Facharbeiter der trotz Nachtschicht dem fiebernden 5-Jährigen zuhause noch Gute-Nacht-Geschichten vorgelesen hat, nicht mit müdem Gesicht Amazon-Pakete ausliefern sehen. Das haben diese Menschen einfach nicht verdient.
Und so windet sich diese kleine Stadt in unserer Mitte in ihrem Schmerz und leckt ihre Wunden. An Silvester werden sicher die Gläser erhoben, doch mit echter Zuversicht hat das wenig zu tun. Denn der Rattenschwanz dessen was die Manager mit offenkundig mehr Liebe für Zahlen als Menschen jüngst beschlossen haben, wird erst im kommenden Jahr offensichtlich. Denn es werden nicht nur jene leiden, die ihre Arbeit verlieren. Mit Ihnen leiden auch ihre Familien und die Gemeinschaft um sie herum. Wenn die Realität am Arbeitsmarkt Männer und Frauen mit Depressionen überschüttet, wenn die Kinder unter der vergifteten Atmosphäre zu Hause leiden und schließlich die Stadt noch dort sparen muss, wo vielleicht etwas Linderung zu erwarten wäre? Ja dann entfaltet die kleine Unterschrift unter den sogenannten Strategie-Papieren der Konzernleitung, ihre ganze destruktive Kraft.
Und nun? Alles verloren und vorbei? Ich weiß es nicht. Aber ich weiß, das in jedem von uns ein Kämpfer lebt, der auf seine Stunde wartet. So sage ich Euch: Trauert, flucht und zürnt so lange ihr es braucht und dann steht wieder auf. Keine Ahnung was auf Euch zukommt, aber haltet Euch an den alten Goethe und sein Credo „Hoffnung gießt in Sturmnacht Morgenröte!“. Ich wünsche Euch von Herzen nur das Beste, ihr Verratenen von Philippsburg. Tragt Euer Haupt hoch, ihr habt nichts falsch gemacht. Und vergesst nicht: Wenn das Leben Euch eine Zitrone gibt, dann sagt Euch „Fick dich Leben, jetzt komme ich!“
Euer Tommy