Wie kleingeistige Gäste auch noch den letzten Wirt in die Flucht schlagen
Ein Kommentar von Stephan Gilliar
Wäre der kleine Dorfwirt ein Vogel, so stünde er längst auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Das Gasthaussterben in Deutschland ist nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahrzehnten ein trauriges aber hartnäckiges Phänomen. Allein in den letzten 20 Jahren musste jede vierte Kneipe hierzulande dicht machen..machen Sie sich das klar: Wir sprechen hier von abertausenden von Gaststätten, Wirtshäusern und Restaurants. Gab es früher im allerkleinsten Kraichgau-Kaff noch mindestens drei, vier oder sogar noch weit mehr Wirtshäuser, findet man heute oft kein einziges mehr.
Der kleinen Dorfkneipe und dem kleinen Landgasthof ging es also schon vor Corona beschissen, doch die Jahre der Pandemie haben zusätzlich Wasser in das sinkende Boot gepumpt. Bereits jetzt ist klar dass von den etwa 40.000 verbleibenden Schankwirtschaften in Deutschland etwa 9.000 der Krise zum Opfer gefallen sind, dabei ist das ganze Ausmaß der Bescherung noch nicht einmal komplett ersichtlich. Etwa 11.000 Städte, Dörfer und Gemeinden gibt es in Deutschland, rechnet man die Zahl der Wirtschaften darauf herunter und berücksichtigt dass die allermeisten davon wohl in den großen Ballungsräumen angesiedelt sind, bleibt für das Land nur noch ein heiserer Husten der vergangenen, goldenen Zeiten.
Bitte sehen Sie mir den kurzen, verträumten Blick in die Vergangenheit nach, aber das muss jetzt. Früher haben sich tatsächlich gleich mehrere Gasthäuser in einem Dorf getragen, weil die Menschen sie getragen haben. Abends ging man hier ein Bier trinken, man spielte Skat und Binokel, man schwatze miteinander und am Sonntag ging man – wenn es das Budget erlaubte – mit der Familie essen. Diese Zeiten sind längst vorbei, heute geht man nur noch selten essen und das Feierabendbier findet allzu oft auf der heimischen Terrasse statt. Daran ist im Grunde nichts auszusetzen, doch ein jeder von uns muss mit den Folgen leben. Gastwirtschaften verkümmern, gehen ein und verschwinden.
Wer mit offenen Augen durch unsere Dörfer spaziert, der sieht sie… all die verstummten Ochsen, Lämmer, Bären, Löwen, Kronen und grüne Bäume… Es ist zum heulen, aber es ist so. Und leider auch: Stirbt die Kneipe, stirbt das Dorf. Man kann richtiggehend dabei zusehen, wie das soziale Leben in einer Gemeinde verkümmert, wenn es keine gemeinsamen Anlaufpunkte, keine gemeinsamen Treffpunkte mehr gibt. Wo trifft der Gynäkologe auf den Pastor, der Fliesenleger auf den Lehrer und der Senior auf den Junior? Joa, in der Kneipe am Brunnen vor dem Tore.
Doch vom Wunschdenken und der kleinen Exkursionen in längst vergangene Zeiten zurück in die triste, harte Realität des Sommers 2022. Die Gastwirte, Kneipenmütter und Wirtshausveteranen, die es geschafft haben die harten Brecher und Bugwellen der letzten Jahre zu überleben, sehen sich nun auf der einen Seite einem ungeheuren Preisdruck ausgesetzt und auf der andere Seite einer Kundschaft die dafür in vielen Fällen wenig bis überhaupt kein Verständnis zeigt. Gas für den Herd, Strom für die Gaststube, Öl für die Friteuse, Fleisch für den Grill, Gemüse und Kartoffeln für die Beilagen… die Preise für diese unverzichtbaren Basics sind in den letzten Monaten explodiert, teilweise um ein Mehrfaches in die Höhe geschossen. Ein kleiner Landgasthof, der sich traditionell eher selten als Goldgrube geriert, KANN diese Preissteigerungen nicht ignorieren oder gar aus der eigenen Tasche ausgleichen. Er MUSS diese Preissteigerungen an die Kundschaft weitergeben. Wenn diese dann aber einfach ausbleibt, dann ist die bittere Konsequenz – Letzte Runde Männer, Stühle hoch, Feierabend und Licht aus.
Verstehen Sie mich nicht falsch, ich spreche hier nicht von jenem Teil der Gästeschaft die so spitz auf Knopf kalkulieren muss, dass sie unmöglich zwei oder 3 Euro mehr für ein Gericht oder 1 Euro mehr für das Bier berappen kann und schon klar – der Gürtel sitzt bei uns allen deutlich enger. Aber bei vielen scheint es darum gar nicht mehr zu gehen. Vielmehr reagieren manche – das zeigt ein Blick in die Kommentarspalten der soziale Netzwerke schonungslos auf – trotzig und bockig wie kleine Kinder auf die gestiegenen Preise in der Gastronomie. Da ist es mehr eine Frage der eigenen Prinzipien, persönlicher Betroffenheit oder schlicht die Kränkung der Leberwurst, die eigene Gastwirtschaft fallen zu lassen, weil der Wirt in seiner Not das Schniposa 2,50 Euro teurer machen musste.
Glauben Sie mir, kein Wirt der Welt würde seine Preise aus Boshaftigkeit oder in der Absicht die eigene Kundschaft zu verprellen nach oben schrauben. Das passiert auch in der Regel nicht aus reiner Profitgier, sondern im Moment eher aus purer und wirtschaftlich unabdingbarer Notwendigkeit.
So sorgen wir mit unserem Verhalten derzeit effektiv dafür, dass es im kommenden Jahr neben weniger Spargelbauern und weniger Erdbeerbauern auch sehr viel weniger Gastwirte geben wird. Wohlgemerkt: Noch weniger als ohnehin schon. Wenn wir dann irgendwann wieder zur Besinnung kommen und bemerken, dass das Bier auf dem Balkon doch nicht ganz so gut schmeckt wie in einem schönen Biergarten voller fröhlicher und redseliger Menschen, wird es dann aber zu spät sein. Wohl bekomms.
Sie sprechen mir aus der Seele.
Ja, Herr Gilliar, es gab legendäre Gasthäuser in denen auch Live – Musik geboten wurde. Ich erinnere da an den Grünen Hof in Heidelse, deren Plakate in Gochza davon kündeten, dass hier mal wieder die Dancing Show Band (1964) aufspielten. Bekanntermassen die Vorläufer der berühmten Flippers. Und ich erinnere mich noch als Kind an das Kino in Gochsheim. Die Vorführungen fanden im Gasthaus Zum Adler statt. Und wenn ich mich daran erinnere wie viele Gasthäuser es im kleinen Gochsheim gab – heute undenkbar.
Die Gastronomie wird zu Grunde gerichtet, das kann keiner leugnen!
Grad aus KA gekommen. Was hab ich die Leute beneidet, die dort unter Bäumen mit einem frisch gezapften Bierchen draußen vor der Kneipe saßen…und dann hier in Kraichtal…Fehlanzeige.
Wer will schon an der Strasse sitzen und zuschauen, wie sich Idioten im Verkehr austoben? Dann eben doch Bier daheim.
Wohlwissend: homedrinking is killing Gastwirt!