An einem Ort, wie aus der Zeit gefallen, backt Martin Wagenhan Brot gewordene Entschleunigung
Eigentlich ist Martin Fotograf und ein recht erfolgreicher obendrein. Hochrangige Magazine, Verlage und Unternehmen buchen ihn um sich und ihre Botschaften zu inszenieren. Die “corporate photography” führt den 50-Jährigen, der deutlich jünger aussieht als er ist, regelmäßig zu Shootings überall im Lande und darüber hinaus. Der Stern, das Handelsblatt, Audi, Michelin oder Bosch – die Liste seiner Auftraggeber liest sich äußerst beeindruckend.
Um in diesem Job bestehen zu können und richtig gut zu sein, braucht es exzellente Werkzeuge. In zweiter Linie ist das eine gute Fotoausrüstung, in erster Linie aber enorme Kapazitäten oberhalb der Schultern. Als Künstler muss Martin Wagenhan geistig ständig in Höchstform sein, abstrakt, ästhetisch, stilbewusst und zielführend denken und agieren. Doch diese Kreativität auf Abruf, ja auf Knopfdruck – das kann der Autor dieser Zeilen vollumfänglich bestätigen – verlangt ihren Tribut. Wer das Wasser aus dieser Quelle wie selbstverständlich mit beiden Händen abschöpft, trocknet selbige mit Sicherheit früher oder später aus. Um Yin und Yang im Einklang zu halten, braucht es daher einen Gegenpol, einen Ausgleich für Geist und Seele.
Martin Wagenhan hat diesen Ausgleich für sich im Backen entdeckt. Eine Tätigkeit die ihn zutiefst ausfüllt, gleichzeitig aber mehr seine Hände als seinen Geist in Anspruch nimmt. Schon damals in einer Wohngemeinschaft seiner wilden Jahre auf dem Lande, hat er sich das Handwerk autodidaktisch beigebracht und es seither Stück für Stück für sich selbst perfektioniert. Er weiß, dass ein guter Teig Aufmerksamkeit aber vor allem viel Zeit benötigt. Mindestens 15 Stunden dürfen seine selbst angesetzten Sauerteige reifen, kaum anderswo findet man Brote, die auf eine ähnlich lange Quellzeit zurückblicken können. Während Martin bislang nur für seine Familie, seine Freunde und sich selbst gebacken hat, gibt es seine Brote in Kleinstserien seit etwa einem Jahr auch für jedermann zu erwerben. Dass dies möglich wurde, ist einem glücklichen Zufall geschuldet, der sich erst letztes Jahr zwischen Graben-Neudorf und Dettenheim ereignete. Martin fuhr damals mit seinem Rad durch die Gegend und stieß außerhalb von Graben auf die alte Waldmühle. Hier hatte bis vor kurzem ein alteingesessener Bäcker das Backhäuschen betrieben, doch zwischenzeitlich stand der kleine Ziegelbau leer. Nach einem kurzen und spontanen Gespräch mit dem alten, im Umkreis wie ein bunter Hund bekanntem Müller Dornhöfer, war die Sache geritzt: Martin war der neue Waldmühlenbäcker. Wobei, Bäcker darf er sich natürlich nicht nennen, dafür fehlt ihm die notwendige Ausbildung. Backen, darf er dennoch und zwar ganz hochoffiziell mit dem Segen der Handwerkskammer und Eintragung in die Handwerksrolle. Dafür musste Martin vor einem Bäckermeister eine Prüfung ablegen und sein Können demonstrieren, ganz offenkundig von Erfolg gekrönt.
Seither gibt es an der Waldmühle wieder Brot, jeden Dienstag und jeden Freitag ab 15 Uhr. Um selbiges zu backen ist Martin wirklich oft in seinem kleinen Backhaus zugange, allein die Spanne bis der Teig reif und der alte Holzofen angeheizt ist, nimmt ein ganzes Stück von Martins ohnehin engem Zeitbudget in Anspruch. Doch hier draußen, an der alten Mühle, die mit ihrem mächtigen Mühlrad immer noch Strom durch das Wasser der Pfinz erzeugt, findet er den Ausgleich, den er benötigt. Das heißt nicht, dass es in der kleinen Backstube nicht auch mal hektisch zugeht… um mehrere hundert Brote in teilweise unterschiedlichen Ausführungen zu backen, braucht es Disziplin und einen ausgeprägten Sinn für Organisation. Wenn der Teig zu viel oder zu wenig arbeitet oder der Ofen die falsche Temperatur hat, kann eine Fuhre auch schnell in die Hose gehen… wer backt, muss daher immer auf Zack sein.
Das Martins Brot schmeckt, davon konnten wir uns selbst überzeugen, die wildromantische Umgebung tut ihr übriges dazu. Das kleine windschiefe Backhäuschen, das rauschende Mühlrad, das Wispern und Raunen der Natur entlang des Baches… es ist eine Szene wie aus einem Märchenfilm und Martin der Bäcker aus dem Märchenwald.
Danke für die tolle Geschichte. Ich freue mich immer wieder über die zahlreichen und doch außergewöhnlichen Menschen, die ihr entdeckt. Das zeichnet euch aus und das schätze ich sehr.
Toll – leider zu weit weg.
Schöner Bericht übrigens!
Ein Bericht in dieser endlosen von Katastrophen geprägten Zeit, zum „grad-mal-hinfahren!!! Ich wünsche dem Bäcker allzeit „Gutes Gelingen“.