Finger weg von Baby-Öhrchen
Eine Kolumne von Tommy Gerstner
Als ich mich neulich anschickte ein beschämendes Kapitel meines Lebens zu beenden, wurde ich Zeuge wie ein solches in der Biographie zweier junger Mütter gerade geboren wurde. Es war einer der ersten Frühlingstage und damit Zeit für die ersten kurzärmeligen Show-Einlagen des jungen Jahres. Als mich vom rechten Oberarm wieder meine milliardenfach bereute Jugendsünde anglotzte, beschloss ich das es an der Zeit war einen Schlussstrich zu ziehen. Doch was war passiert? Als ich im zarten Alter von 19 Jahren das erste Mal mit ein paar Kumpels im Opel Senator von Andy im sündigen St.Pauli aufschlug, führte uns der Weg zuerst in diverse Spelunken und anschließend fatalerweise in eine Tätowier-Anstalt. Seit diesem Tag begleitet mich eine dickbusige Tinten-Schönheit namens Marsha durchs Leben. Ihre Monster-Möpse haben mit den Jahren und mit der Spannkraft meiner Oberarme ebenfalls an Spannkraft eingebüßt und sehen seit einer ganzen Weile nicht mehr so sexy aus wie in alten Tagen. Kurzum, ich entschloss mich einen Tätowierer zu konsultieren um kundigen Rat für die finale Ermordung Marshas einzuholen.
Im Tattoo und Piercing-Studio meiner Wahl saßen neben mir zwei junge Mütter jenes Schlages, die den Erfolg und Aufstieg des Fernsehsenders RTL2 maßgeblich ermöglicht hatten. Dicke Oberschenkel die in ihren getigerten Leggings an Presswurst erinnerten, stumpfe Gesichter und Fingernägel mit der amerikanischen Flagge (ich schwörs bei meinem Leben) mit kleinen Straßsteinen glitzernd. Auf dem Schoß hatten beide je ein wohlgenährtes Kind sitzen – ich schätze kaum älter als ein bis zwei Jahre. Die beiden Mädchen hatten lackschwarze Ballerinas an und – ganz die Mammis – Leggings in schrillem pink bzw. Camouflage-Muster. Klar, dachte ich – Die Damen werden sich wohl entweder ein Piercing durch das Doppelkinn oder die Wampe jagen lassen – doch weit gefehlt. Als die beiden durch den Vorhang verschwinden, vergehen nur wenige Minute bis lautes Kindergeheul erschallt. Als die beiden Damen wieder auf der Bildfläche erscheinen, haben sie zwei Rotz und Wasser heulende Mädchen auf dem Arm, auf deren Ohrläppchen je ein Pflaster mit einem kleinen kreisrunden Punkt prangt. Ich konnte es nicht fassen – diese Frauen hatten ihre Babys durchlöchern lassen. Ich sprang auf und fragte entgeistert ob sie eigentlich noch alle Waffeln in der Hütte hätten und warum zum Teufel sie das gemacht hätten? Wenig beeindruckt von einem Typen mittleren Alters, dem zwei Tattoo-Titten auf dem Arm prangten, ließen beide einen Beschimpfungsregen auf mich niederprasseln in dem zumindest das Fragment einer Begründung enthalten war: „Weil´s schön aussieht“.
Liebe Monster-Mammis, ob ihr ihn wollt oder nicht: Hier kommt meine Portion Senf auf jene kleine Bulette die einsam in eurer Birnen an die Schädeldecke brandet: Kleinen Kindern oder gar Babys einfach Ohrlöcher schießen zu lassen, grenzt für mich an Körperverletzung und verstößt gegen das Recht auf die Unversehrtheit des eigenen Leibes. Ihr fügt Euren eigenen Kindern wissentlich Schmerz zu? What the hell läuft bei Euch eigentlich schief? Klar, habt Ihr Euch dafür eine schöne Rechtfertigung zurecht gelegt: Tut doch nur ganz kurz weh und ist danach erledigt, so dass die Mädels es euch eines Tages danken werden. Bullshit! Ihr tut das einzig für Euch allein! Eure Kids sind für Euch keine souveränen Menschen sondern Accessoires die es möglichst gut zur Schau zu stellen gilt. Es ist Egozentrik die Euch antreibt und nichts weiter. Das ist so erbärmlich, dass es Brechreiz verursacht. Es ist nicht das heilige indische Ohrlochstechen Karnavedha sanskar, es ist der Drang aus einem unschuldigen Kind ein Status-Symbol zu zimmern. Ihr nehmt Infektionen in Kauf, ihr nehmt den Schmerz des Kindes in Kauf und nicht zuletzt den Vertrauensverlust.
Aber hey, wo ihr doch gerade dabei seid… Wie wäre es mit einem Ganzkörper-Tattoo auf dem rosigen Rücken Eurer Babys? Da würde sich doch die Fresse von den Lombardis super drauf machen? Dann tackern wir noch ein Dutzend Straßsteine durch die Lippen, so dass die Flaschenmilch schön am Mundwinkel runtertropft…Wie wäre es zur Krönung noch mit etwas Permanent-Make-Up oder schönen Implantaten? Nein Mädels, ihr seid nicht dumm – ihr habt einfach nur Pech beim Denken… aber müssen das wirklich Eure Kleinen für Euch ausbaden?
Eurer Tommy (in Memorian Marsha)