Was bleibt, ist Wut und Trauer

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Wieder ist ein Mensch auf unseren Straßen unverschuldet ums Leben gekommen. 

Eine Meinung von Stephan Gilliar

Diese Bilder gehen mir nicht mehr aus dem Kopf, seit Tagen bewegen Sie mich, treiben mich um, drängen sich immer wieder in den Fokus meiner Gedanken. Dieser kleine VW Polo, zertrümmert, zerquetscht, bis zur Unkenntlichkeit deformiert. Das Lenkrad mit dem erschlafften Airbag davor liegt abseits davon auf der Wiese, wohl herausgerissen durch die Wucht des Aufpralls. Der Mann, der hinter dem Steuer saß, hatte keine Chance, nicht die geringste. Dabei hat er nichts falsch gemacht… gar nichts, er war einfach nur da, zum falschen Zeitpunkt, am falschen Ort. Zwei andere Menschen haben seinen Weg gekreuzt, mit ihrem mutmaßlichen Handeln einen völlig Unschuldigen aus dem Kreise seiner Familie, seiner Freunde, ja seinem Dasein gerissen. Was im Detail geschehen ist, untersuchen Polizei und Staatsanwalt derzeit noch, doch so wie es sich derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit darstellt, fuhren zwei junge Männer, beide gerade Anfang 20, in einem Sportwagen mit zu hoher Geschwindigkeit, verloren dabei die Kontrolle über das Fahrzeug und gerieten so in den Gegenverkehr. Zu diesem Zeitpunkt war längst eine Polizeistreife auf das Fahrzeug aufmerksam geworden, signalisierte den beiden anzuhalten, doch da war es bereits zu spät. Ihr Wagen kollidierte mit dem kleinen Polo. Dessen 46-jähriger Fahrer starb noch an der Unfallstelle. 

Liebe Leserinnen, liebe Leser, ich weiß nicht, wer dieser Mann war, woher er kam, wohin er wollte. Vielleicht kam er in diesen frühen Morgenstunden von der Nachtschicht oder war gerade auf dem Weg zur Arbeit. Egal, was sein Ziel war, er wird es nie erreichen. Er wird nie wieder zu jemandem nach Hause kommen, nie wieder einen anderen Menschen in den Arm nehmen können. Ich komme nicht umhin, immer wieder darüber nachzudenken. Der Mann war genau in meinem Alter, stand in der Mitte seines Lebens. Ein Leben, das innerhalb weniger Augenblicke einfach ausgelöscht wurde.. so sinnlos, so ungerecht. Er ist einfach fort, lässt uns zurück mit all der Trauer, all den Fragen und all der Wut. 

Wieder werden wir als Gesellschaft vor der Frage stehen, wie wir mit schrecklichen Ereignissen dieser Art umgehen wollen. Wie wir sie gewichten – moralisch, aber auch juristisch und welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen. Ob wir weiter hinnehmen wollen, dass junge Fahrer, die laut jüngster Studie überproportional viele Unfälle verursachen, weiterhin Zugang zu hoch motorisierten, schweren Fahrzeugen erhalten, die sie in viel zu vielen Fällen schlicht nicht unter Kontrolle haben. 

Wer viel mit dem Auto unterwegs ist, der weiß genau, Raserei, blindes Überholen und rücksichtsloses Fahren sind keine exotischen Ausnahmen, sie sind die traurige Regel, sind Realität auf unseren Straßen. Wie oft wird man bedrängt, geschnitten, waghalsig überholt? Wie oft setzen solche Raser leichtfertig ihr Leben und – was noch viel schwerer wiegt – das Leben der anderen aufs Spiel? Ich habe aufgehört zu zählen, wie oft ich Zeuge einer solchen Situation wurde. Jede einzelne hätte das Zeug gehabt zur Katastrophe zu werden, oft fehlten nur Bruchteile von Sekunden, wenige Zentimetern, um den Albtraum wahr werden zu lassen. Ich möchte nicht wissen, wie oft es einfach nur pures, absurdes Glück ist, heil zu Hause anzukommen.

Doch dieses Mal war da kein haarscharfes Verfehlen, kein kurzes Zeitfragment und kein Quentchen Glück, das die Rettung brachte, diesmal war da nur der Tod. Unbarmherzig, gnadenlos und endgültig. Die zwei jungen Männer wurden beide verletzt, einer davon ist noch nicht vernehmungsfähig. Noch untersuchen Polizei und Staatsanwaltschaft den schweren Unfall, der zwar noch viele offene Fragen in sich trägt, dessen bisherige Erkenntnisse aber ein in jedem Fall ein trauriges Bild zeichnen. Besonders bitter, keiner der beiden jungen Männer in dem Sportwagen hatte einen Führerschein. Zurück bleibt dennoch nichts als Trauer und ein weiteres, erloschenes Licht.

Man darf sich die Frage stellen, wie wir als Gesellschaft damit umgehen wollen. In nicht wenigen Fällen bleibt es auch bei exzessiver Raserei ohne tödlichen Folgen letztlich nur bei Geldbußen, deren Wirksamkeit man eingedenk der oft extrem teuren Fahrzeuge, mit denen die Raser oft unterwegs sind, anzweifeln kann. Gerade jene die mehrfach auffällig werden, stellen doch eindrücklich unter Beweis, dass es Ihnen letztlich nur um sich selbst, weniger um ihre Mitmenschen geht. In solchen Fällen sollten auch in der „Autofahrer-Nation“ Deutschland ähnliche Konsequenzen diskutiert werden, wie jene die nun in unserem Nachbarland Österreich greifen können: Der dauerhafte und unwiderrufliche Entzug der Fahrerlaubnis sowie die Beschlagnahme des Fahrzeuges. Dort wo unschuldige Menschen zu Schaden kommen, gar ihr Leben verlieren, darf es im Kampf gegen diesen Wahnsinn keine diesbezüglichen Tabus mehr geben.


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