Der Neue in der 304 – Wer ist Brettens neuer Oberbürgermeister Nico Morast?
Ein Portrait von Stephan Gilliar
Es ist still an diesem Brückentag im großen Brettener Rathaus, geradezu ungewohnt still. Kein Mensch ist heute hier, die ganze Crew hat frei. Nico Morast gleitet auf den leichten Sohlen seiner Sneaker vor mir über den dunklen Teppich im zweiten Stockwerk und nimmt Kurs auf das große Eckbüro in Raum 304, das er erst vor wenigen Tagen bezogen hat. Die Luftfeuchtigkeit in diesem Teil des Gebäudes mutet heute fast tropisch an, der freie Tag wurde für die Teppichreinigung genutzt, und der Boden ist noch feucht und duftet nach Putzmittel. Nur hier im Bereich des Oberbürgermeisters meint man noch, eine Spur des damals omnipräsenten Metzgerschen Tabakrauches zu riechen – ganz dezent, wie ein Nachhall aus der Vergangenheit. Doch Paul Metzger ist Teil der Vergangenheit der Brettener Führungsspitze, seit kurzem auch Martin Wolff. Nun ist er, Nico Morast, der neue Mann an der Spitze der alten Stadt: Ende 30, Ehemann, zweifacher Familienvater, bis vor kurzem Bürgermeister der 3500-Seelen-Gemeinde Massenbachhausen im Landkreis Heilbronn.
Nach dem vorzeitigen Ausscheiden von Oberbürgermeister Martin Wolff entschied Nico Morast die daraufhin folgende Neuwahl klar für sich und hat nun offiziell am 1. Oktober die Amtsgeschäfte in der großen Kreisstadt übernommen. Es ist ein beachtlicher Karrieresprung für den Kommunalpolitiker, vom Bürgermeister auf dem Lande zum Oberbürgermeister eines Mittelzentrums mit dem fast zehnfachen der Einwohnerschaft seines bisherigen Wirkungsorts. Noch wirken diese neu erschlossene Größe und die veränderten Dimensionen auf den frisch gewählten Oberbürgermeister unvertraut, doch man darf sicher sein, dass er den nun zur Verfügung stehenden Raum Stück für Stück ausfüllen wird, denn fremd ist Nico Morast in Bretten nicht. Tatsächlich lebt seine Familie schon lange in der Region, seine Eltern stammen aus Bretten, sein Großvater bekleidete im in den 1970er-Jahren eingemeindeten Oberderdinger Stadtteil Großvillars sogar das Amt des Ortsvorstehers.
Genau hier, in diesem kleinen Waldenser-Dörfchen mit seinen gerade einmal 980 Einwohnern, wächst Nico ab 1985 auf – „behütet“, wie er sagt, und in familiärer Harmonie. Für seine Familie, Großvillars und seinen Freundeskreis hat er ausschließlich freundliche und warme Worte übrig, ein Kraichgauer durch und durch, der die gemächliche und ruhige Gangart in den Hügeln mit der Muttermilch aufgesogen hat. Wenn er von dieser Zeit erzählt, spürt man seine unbändige Lust auf das Leben, das Vorwärtskommen und den Drang, etwas zu bewegen. In seinen Teenager-Jahren, seiner Sturm-und-Drang-Zeit, ist er immer auf Achse, immer irgendwo unterwegs. Mit dem Akkordeon spielt er auf Hochzeiten bis spät in die Nacht, feiert mit der Clique im Vereinsheim, düst auf seiner Hercules Prima durch die Gegend. Nach Bretten ist es nur ein Katzensprung; Gölshausen kann man von Großvillars aus schon sehen, gefeiert wird daher wahlweise in der Derdinger Spunde oder in den Brettener Beizen Zack oder Primo. Doch wie heißt es so schön auf dem Dorf: Wer feiern kann, kann auch arbeiten. Neben der Schule jobbte Nico an einer Tankstelle in Flehingen, fuhr in aller Herrgottsfrühe Brötchen für die Bäckerei Gerweck aus. Am Wochenende gab er regelmäßig als Landmucker auf Hochzeiten den Alleinunterhalter mit seinem Akkordeon, nicht selten bis in die frühen Morgenstunden. Die Schule meisterte er trotzdem mit Bravour, denn ein Träumer oder gar ein „Hans-Guck-in-die-Luft“ war Nico niemals. Er hatte immer ein Ziel vor Augen – bereits in einer Zeit, in der viele andere noch nicht einmal eine grobe Richtung abstecken können.
Nach dem Abi am Melanchthon-Gymnasium 2005 tritt er zielstrebig ein duales Studium an der Hochschule Baden-Württemberg in Mannheim an, wo er öffentliche Wirtschaft studiert. 2009 betritt er das erste Mal das Brettener Rathaus als Angestellter, arbeitet in der Verwaltung, betreut die Öffentlichkeitsarbeit, Ratsangelegenheiten, die Städtepartnerschaften und wird schließlich Referent von Paul Metzger – damals Oberbürgermeister von Bretten.
Doch bevor er sich in den Kreis dessen Nachfolger einreihen sollte, kandidiert Nico Morast Anfang der Zehnerjahre für das Amt des Bürgermeisters von Massenbachhausen – ein Wagnis, das vom Schicksal mit Erfolg honoriert wird. 2011 zieht er ins Massenbachhausener Rathaus ein, damals als jüngster Bürgermeister in Baden-Württemberg. Beim Amtseid ist sein optisches Markenzeichen, die Tim-und-Struppi-Haartolle, noch schwarz; heute, 13 Jahre später, ist sie grau meliert. „Mit der Wahl zum Bürgermeister bin ich allmählich grau geworden“, lacht er fröhlich, übrigens sein zweites unverkennbares Markenzeichen: Ein Lachen, das das ganze Gesicht einnimmt und die Wangen rot glühen lässt.
An seine ersten Jahre als Bürgermeister erinnert sich Nico Morast gerne zurück. In dieser Zeit heiratet er seine große Liebe Caroline, die er ein paar Jahre zuvor ganz unverhofft im Mallorca-Urlaub kennenlernte, und bekommt mit ihr zwei Mädchen, Anni und Mina. Die kleine Familie lebt übrigens immer noch in Großvillars und baut dort derzeit ein Haus – die vermutlich beste Bekenntnis zur Heimat, die man sich vorstellen kann. Am Trockenbau hat Nico selbst mitgearbeitet, und in seiner Freizeit keltert er sogar eigene Weine vom selbst bewirtschafteten Weinberg. Die daraus resultierenden Tropfen sind übrigens in Anlehnung an seine beiden Töchter benannt. Ob er für diese zeitintensiven Beschäftigungen in Zukunft noch genügend Kapazitäten haben wird, ist fraglich, denn das Amt eines Oberbürgermeisters ist mehr als nur ein Fulltime-Job. Es beinhaltet neben der immensen planerischen Lenkungsfunktion auch zahlreiche repräsentative Aufgaben.
Es ist ein Job, in den man hineinwachsen muss, so wie in den großen Ledersessel hinter dem riesigen Schreibtisch, in dem Nico Morast nun unter dem goldenen „Herzlich Willkommen“-Schriftzug Platz nehmen wird. Noch ist das Büro gähnend leer, ein paar Umzugskartons stehen vor der Tür, und auf einem Handwagen warten die vielen noch eingepackten Geschenke, die Nico Morast bei seiner Amtseinführung vor ein paar Tagen von allen Seiten erhalten hat. Doch man darf sicher sein, dass Nico Morast diesem Büro, dem Rathaus, der Verwaltung und mittelfristig auch der städtischen Politik seine persönliche Note verleihen wird.
Doch zunächst gilt es, für ihn zu beobachten und eine Bestandsaufnahme all dessen zu erstellen, was ist. Mehr noch als ein Bürgermeister auf dem Dorf, gilt es für einen Oberbürgermeister, auch zu delegieren und Aufgaben abzugeben. Dass er das schafft, davon ist Nico Morast überzeugt. „Bürgermeister ist ein Mannschaftssport“, sagt er. Doch deren Strategie hat er natürlich als Trainer – um bei diesem Bild zu bleiben – zu prägen und festzulegen. Deswegen werden als Erstes alle Prozesse in der Verwaltung unter die Lupe genommen und schonungslos hinsichtlich ihrer Effizienz und ihrer Möglichkeiten analysiert. Den Status quo nur um seiner selbst willen beizubehalten, ist für Nico Morast definitiv keine Option. „Des isch halt so, geht nicht mehr“, sagt er – und obwohl er dabei lächelt, ist es ihm mit dieser zweifelsohne konfliktbeladenen Ansage absolut ernst. Alles wie bisher, alles beim Alten – das ist mit ihm definitiv nicht zu machen. Alles muss auf den Prüfstand, auch Großprojekte wie die angedachte Gartenschau, das viel diskutierte und prestigeträchtige Vorhaben der Stadt. Ob und wie Bretten diese Pläne weiterverfolgen wird, will der neue Oberbürgermeister explizit erst dann näher skizzieren, wenn genaue Zahlen, Daten und Fakten dazu vorliegen. Und so groß das Vorhaben auch sein mag, es ist nur eines von vielen, das Nico Morast eingehend betrachten und erst dann bewerten wird. Maßgeblich für jede größere Ausgabe sind für ihn ausschließlich Sinn und Sinnhaftigkeit. „Wir sind nicht zum Selbstzweck da“, sagt er und klingt dabei wie der Oberbürgermeister, der er für Bretten sein möchte. Ob und wie ihm das gelingen wird, das wird die Zeit zeigen. In knapp acht Jahren wird die alte Stadt darüber erneut befinden.
Lieber Herr Gilliar,
Großvillars ist kein Stadtteil von Bretten :)
Viele Grüße aus Oberderdingen
Sie haben natürlich völlig recht, das haben wir im Text nun deutlicher gestellt
Auch schön, wie hier die Parteizugehörigkeit (CDU) elegant ausgeblendet ist…
Großvillars hat mittlerweile knapp 1200 Einwohner
Herzlich willkommen, Herr Morast,
Ich wünsche Ihnen einen guten Start, dazu viel Kraft und vor allem, dass Sie das Ziel nicht aus den Augen verlieren.
Es geht um die Belange der Stadt Bretten und ihrer Menschen.
Wunderbar, dass Sie genau hinschauen, und auf Effizienz setzen. Das setzt Ressourcen für Wichtiges frei.
Dieser Bericht ist wirklich schön und wohlwollend – geradezu wohltuend, in einer Zeit wo wir Leser so viel Polarisierendes zu lesen bekommen.
Vielen Dank.
Ich freue über einen neuen Bürgermeister. Er ist sehr sympathisch und kommt von hier. Ob Großvillar nun zu Bretten zählt oder nicht. Es ist wichtig das Bretten geschätzt und die Menschen beachtet werden. Er wirkt mir als könne er positives Bewirken. Das Zack gibt es leider schon Jahre nicht mehr, auch die Spunde in Oberderdingen ist auch leider Geschichte. Es ist gut das er alles von früher kennt und beim Herrn Metzger einen guten Lehrer hatte. Viel Glück und Erfolg wünsche ich Ihnen!
Aha, ein Metzgersohn…