Yggdrasil ist gefallen

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Die uralte Esche am Flehinger Tauchstein ist nicht mehr

Dieser Ort strahlt etwas aus, das müssen auch all jene einräumen, die für so etwas nur schwach empfänglich und wenig Gespür dafür erübrigen können. Der mächtige, zerklüftete Stein, der dort aus dem Boden wächst, wo Kraichbach und Bauerbach sich berühren. Eine gluckernde Quelle entspringt hier aus dem Unterholz der Böschung, das Wasser sucht sich seinen Weg durch moosbedecktes Gestein, um schließlich in dem kleinen See auf der anderen Seite der Wiese aufzugehen.

Wer hier steht, den Blick schweifen und die Geräusche auf sich wirken lässt, der spürt unwillkürlich die besondere Aura dieses Ortes, einem wahren „Kraftort“, wie die Kelten ihn bestimmt bezeichnet hätten. Ganz in der Nähe fanden sich schon Relikte menschlicher Bebauung, die Jahrtausende weit zurückdatieren.

Herzstück dieses als flächenhaftes Naturdenkmal gelisteten Ortes, ist aber der mächtige Kalkstein, der hier über eine endlos lange Zeit zu einem imposanten Gebilde angewachsen ist. Unzählige Generationen von Flehingern haben ihn über all die Jahrzehnte hinweg wachsen sehen, dementsprechend viele Geschichten ranken sich darum. Manch einer glaubt gar, dass der Flehinger Taufstein die Pforte zur Hölle verschließt. Das klingt nach einer Schauergeschichte, doch viele Geschichten tragen in ihren Ursprüngen ein Quäntchen Wahrheit in sich.

Bestärkt wird der kundige und fühlende Beobachter in seiner Wahrnehmung dieses Ortes, durch die Existenz der mächtigen Esche, die direkt neben dem Tauchstein in die Höhe gewachsen ist. In der nordischen Mythologie genießt die Esche einen hohen, ja göttlichen Stellenwert. So war der Weltenbaum selbst, der für alles und jeden – sogar den Kosmos selbst steht, der Sage nach eine Esche. Yggdrasil, so wurde der Weltenbaum genannt, nach Überlieferungen unterteilt in die Oberwelt mit Asgard, dem Sitz der Götter, in die Erde, die mit Mitgard das Reich der Menschen beherbergt und die Unterwelt mit Helheim, dem Reich der Toten.

Wer sich mit diesen mythischen Überlieferungen beschäftigt, dem fällt es vielleicht nicht weiter schwer, diesen Ort als einen besonderen, den wachsenden Tauchstein als mythisches Element zu begreifen.

Umso trauriger stimmt es, dass Yggdrasil, die Flehinger Weltenesche, nicht mehr ist. Der alte Baum ist gefallen, seine mächtigen Wurzeln ragen leblos in die kalte Winterluft. Seine Äste wurden abgesägt und liegen auf einem kleinen Haufen aufgetürmt daneben. Ob der alte Baum von selbst umgestürzt ist oder aus dem Erdreich gezogen wurde, lässt sich nur schwer sagen, sicher ist aber – die alte Esche war krank und lag im Sterben, wenngleich sich dieser Prozess möglicherweise noch über viele Jahre erstreckt hätte.

Traurig ist der Tod Yggdrasils dennoch, im besten Falle, weil Flehingens Kraftort an Kraft verloren hat, im schlechtesten Falle, weil schon die alten Germanen wussten: Sollte die Esche jemals wanken, naht nicht weniger als das Ende der Welt.

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6 Gedanken zu „Yggdrasil ist gefallen“

  1. Ich kenne diesen Ort persönlich, aber ich war schon lange nicht mehr da. Gut, dass Sie seine Geschichte hier vorstellen. Dafür herzlichen Dank. Ja, ich weis, dass es nach Lobhudelei klingt, aber bei mir ist das meine ehrliche Meinung: DANKE für die interessantn Artikel hier auf euerer Seite.

    • Oh ja: so lasst uns denn ein Weltenbäumchen pflanzen! Wenn möglich eins, das dem Eschentriebsterben widerstehen kann. Ich bin dabei!

  2. Auch wenn es vielleicht nur symbolisch gemeint ist, beeindruckt es doch. Vor über tausend Jahren wurde beschrieben, dass das Weltenende naht, wenn die Weltenesche fällt. Jetzt sterben gerade alle Eschen.
    Den Wenigsten fällt das auf. Wer interessiert sich schon noch für kranke Bäume ? Es ist die Summe der Dinge die beeindruckt. Es kommen keine Schwalben mehr zum brüten. Seit über hundert Jahren waren sie bei uns am Haus. Es gibt zuwenig Insekten, um ihre Brut zu ernähren. Im Januar habe ich dieses Jahr schon Blätter an den Pfirsichbäumen gesehen. Bei meinen Bienen geht die Königin nicht mehr aus der Brut usw.. Die meisten von uns merken das noch nicht. Solange es im „Aldi“ alles gibt und man last minut in’s „Paradies“ fliegen kann. Was schehrt mich da eine Esche. Vielleicht wäre es ja angebracht solch einen „magischen“ Ort einmal zu besuchen. Er ist gar nicht so weit weg und beeindruckt immer noch. Auch wenn Yggdrasil tot ist.

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