“Uns geht’s allen beschissen” – Schon längst arbeiten Nadine Knittel und ihre Kolleg*innen auf der Brettener Intensivstation weit jenseits Ihrer Grenzen. Aufhören können sie nicht, denn nach ihnen kommt nichts mehr…
Diese Geschichte spielt in Bretten. Sie handelt von Nadine Knittel, einer engagierten Krankenschwester, einer mehrfachen Mutter und einem hingebungsvollen Menschen, dem das Wohl der anderen schon immer mehr als alles am Herzen lag. Diese Geschichte könnte aber auch in Bruchsal spielen, in Stuttgart, in Berlin oder jeder anderen Stadt in diesem Land. Aus allen Krankenhäusern der Republik dringen gerade die Hilferufe… laut, verzweifelt und doch scheint sie niemand wirklich zu hören oder überhaupt hören zu wollen. Es sind Rufe von Menschen die ausgelaugt sind, die verzweifelt sind, die einfach nicht mehr weiter können und die reihenweise auf der Strecke bleiben. Seit Wochen galoppieren die Zahlen der Infizierten von einem Extrem zum nächsten, kennen scheinbar nur eine Richtung – immer weiter nach oben.
Außerhalb der Krankenhaus-Mauern bekommt man davon kaum etwas mit. An diesem grauen Herbstmorgen ist es sogar gespenstisch still rund um die Brettener Rechbergklinik. Der Nebel hält sich zäh, ab und zu krächzt ein Rabe als ich mit Nadine über die feuchten Feldwege hinter der Klinik spaziere. Nadine ist eigentlich in ihren besten Jahren, hat gerade die 40 gerissen und ist einer dieser Menschen, die auf Anhieb sympathisch sind. Sie hat kastanienbraunes Haar, eine große Brille, ehrliche Augen und viele Lachfältchen drumherum. Ihren Patienten dürfte das kaum auffallen, sie erleben Nadine nur durch eine dicke Gummi-Montur, Maske, Schutzbrille, Face Shield und nicht selten durch das dicke Glas von Isolationsschleusen hinweg… wenn überhaupt. Manche von ihnen bekommen überhaupt nichts mehr mit, liegen im Koma, nur noch am Leben gehalten durch schnaufende und piepende Maschinen, die für sie die dünne Trennlinie zwischen Leben und Tod bedeuten. Wenn die Sauerstoffaufnahme der durch das Coronavirus zerstörten Lungen einen kritischen Wert erreicht, bleibt keine Wahl mehr… Künstliche Beatmung oder langsames, grausames Ersticken. Die Patienten haben Angst vor dem Abdriften ins Dunkel. Nadine auch, denn die Chancen Ihrer Schützlinge auf Wiederkehr ins Hier und Jetzt liegt bei erschreckenden 50 Prozent…eine zynische Wette wie ein Münzwurf um Sein oder Nichtsein.
Manchmal kämpfen Nadine und ihre Mitstreiter wochenlang um das Leben eines Patienten.. oft vergebens, erzählt Sie mir und lässt den Blick ins Leere und über das im Nebel daliegende Bretten schweifen. Es sind oft junge Menschen die hier im Dickicht der Maschinen liegen und auch wenn wir das nicht hören wollen, in vielen Fällen vorher völlig gesund waren. “Die können es einfach nicht glauben… erzählen mir dass sie vor ein paar Tagen noch joggen waren und sich gut gefühlt haben” berichtet Nadine. Das Virus zerstört die Atemwege im Handumdrehen, doch die Herzen dieser Menschen sind stark, weshalb der Todeskampf oft Wochen dauert. Wochen ohne Happy End in denen ein Intensivbett belegt und gebunden ist.
An Betten mangelt es eigentlich nicht, auch Beatmungsmaschinen gibt es genug. Was fehlt, sind die Menschen die sich darum kümmern können, die sich darauf verstehen beides zu nutzen. Seit zwei Jahren fahren Nadine und ihre Kolleg*innen landauf, landab auf Verschleiß, verbrennen langsam aber sicher, viele halten es nicht mehr aus. Nadine hat in den letzten Wochen und Monaten viele von ihnen gehen sehen. Manche sind dauerhaft krank, manche kündigen, viele halten die Belastungen dieses fortwährenden Ausnahmezustandes nicht mehr aus.
Die schwere, physische Arbeit ist nur ein Teil dieser niemals aufgehenden Rechnung, es braucht alleine vier Helfer um einen Patienten in Bauch- oder Rückenlage zu wenden. Schwerer wiegt die psychische Belastung, das Miterleben der täglichen, zwischenmenschlichen Dramen. “Die Menschen auf Station haben Angst, haben Panik, sind isoliert, einsam, dürfen ihre Angehörigen nicht sehen. Wenn ich im Zimmer bei ihnen bin flehen sie mich an zu bleiben, wollen nicht wieder alleine sein.” Doch Nadine kann nicht lange bleiben, kann sich nur wenig Zeit nehmen, denn immer ist irgendwo auf Station Not am Mann. Um von einem Zimmer ins nächste zu wechseln, ist ein aufwendiger Vorgang aus Entsorgung der sterilen Kleidung, der Ausstattung mit neuer Kleidung, dem Ankleiden und Entkleiden, dem Passieren von Luftschleusen notwendig. Das nimmt Zeit und das raubt Kraft. Einmal musste Nadine durch ein Isolationsfenster ansehen, wie eine Patientin in Panik aus dem Bett zu fallen drohte. Bis Nadine bei ihr war, vergingen mehrere, lange Minuten. Doch auch wenn der Impuls da ist, einfach so ins Zimmer zu stürzen, wäre das ein fataler Fehler. Die eigene Ansteckung muss Nadine mit allen Mitteln vermeiden, die ansonsten drohende Infektionskette, würde auch noch die letzten, verbleibenden Teammitglieder in Mitleidenschaft ziehen.
“Was ist nur aus meinem Traumjob geworden” fragt mich Nadine. Ich kann ihr darauf natürlich keine Antwort liefern, also erzählt sie weiter, wie alles für sie angefangen hat. Begonnen hat die gebürtige Ötisheimerin die bereits seit 13 Jahren in Odenheim lebt, ihre Laufbahn mit der Ausbildung im Siloah St. Trudpert Klinikum Pforzheim. Für Sie war die Ausbildung immer Berufung, seit Sie mit 12 Jahren einen Armbruch erlitten hatte und mehrere Tage im Krankenhaus in der Obhut von Schwestern und Pflegern verbrachte. Sie arbeitete danach in Speyer in der Notaufnahme und begann schließlich ihre Fachausbildung in der Rechbergklinik Bretten.
15 Jahre später ist sie immer noch hier und erkennt die geliebte Arbeit kaum noch wieder. “Corona hat alles verändert” erzählt Sie und erinnert sich daran, wie plötzlich die ersten Patient*innen mit Atemnot in der Notaufnahme aufschlugen. Seither ist ihr Alltag ein anderer. Ständig sind sie und ihre Mitstreiter nur noch im Laufschritt unterwegs, Pausen gibt es kaum noch und das “Gehetzt sein” wurde schleichend zum Normalzustand. Nadine kennt beide Realitäten: Jene hinter den verschlossenen Türen der Krankenhäuser und jene außerhalb. Sie trifft Menschen die – das erste Mal mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert – ihre eigenen kurzsichtigen Entscheidungen plötzlich bitter bereuen… nicht selten zu spät. Fassungslos stimmen Sie aber eher die anderen: Die Menschen da draußen, die wegschauen, die leugnen, die sich mitunter ungeniert und teilweise auch verachtend in ihrer Egozentrik über das Recht auf Leben ihrer Mitmenschen hinwegsetzen. “Hier bei uns auf der Station liegen zu großen Teilen Menschen ohne Impfung” weiß Nadine und kann nicht glauben dass nach einem ganzen Jahr der unzähligen Chancen auf Impfung an jeder Ecke, ihre Kolleginnen und Kollegen in den nächsten Horror-Winter geschickt werden, einfach so…
Nadine wünscht sich einfach Respekt, mehr Achtung vor ihrem Berufsstand, vor dem tagtäglichen Einsatz. Sie braucht keine Symbole, fand das kollektive Balkon-Geklatsche im im Frühjahr 2020 einfach nur lächerlich. “Ich brauche auch nicht mehr Geld, ich brauche Unterstützung” sagt Sie und fordert etwas ein, dass im Grunde selbstverständlich sein sollte: Einen Berufsalltag der mit genügend Ressourcen ausgestattet ist, um ihn ohne das eigene, beständige Ausglühen bewältigen zu können.
Und dennoch ist Nadine nicht verbittert, gibt jeden Tag ihr Bestes und hat dabei nur einen Appell an uns alle: “Geht vernünftig und respektvoll miteinander um, denn ich sehe täglich wie schnell das Leben vorbei sein kann.”
ein Beitrag von Stephan Gilliar
Eine tolle Frau!! Ich bewundere jeden aus der Pflege, der nicht das Handtuch schmeisst! Meinen allergrößten Respekt an Nadine und ihre Kollegen und Kolleginnen 🙏 , die in der heutigen Zeit, in der das Gesundheitssystem komplett an die Wand gefahren wurde, durchhalten und Menschen aufopfernd pflegen.
Ein guter Beitrag. Ich hoffe sehr, dass sich noch viele Menschen, für die Impfung gegen Corona entscheiden .
Wünschenswert wäre auch, dass mehr für die Pflege gemacht wird. Was helfen würde: den Pflegekräften, so was ähnliches , wie den Beamtenstatus zu geben, ohne die Pflicht sich privat Versichern zu müssen, ein früheres Renteneintrittsalter und mehr Rentenpunkte .
Viele der Pflegekräfte haben pro Jahr nicht einen Rentenpunkt und können schauen, wo sie im Alter bleiben, dass ist ein Armutszeugnis.
In meinem Familienkreis sind einige, die den Beruf gelernt haben und auch noch darin arbeiten. Ich selbst bin auch in der Pflege tätig. Mein eigener Vater ist Altenpfleger und ist Rentner und geht trotz starker Schmerzen arbeiten, in der Pflege, weil die Rente nicht reicht, um seine Arztkosten zu bezahlen.
Ich denke, wenn sich diese Dinge ändern, würde der Job auch mehr an Attraktivität gewinnen und wir hätten zukünftig mehr Pflegepersonal zur Verfügung. Natürlich schießen diese Pflegekräfte nicht plötzlich aus dem Boden, aber ein Grundstein wäre mal gelegt , um einen weiteren Verfall in der Pflege entgegen zu steuern.
Ich wünsche uns, dass wir es schaffen, irgendwie gut durch die Pandemie zu kommen und dass wir künftig zu Lösungen finden, wie wir die Zukunft , für uns alle besser gestalten können. Viele liebe Grüße
Leider ist die ganzen Jahre so gewesen das ,das pflegepersonal nicht angehört wurde.
Jetzt ist es irgendwo fast schon zu spät für die anhaltende coronazeit neues Personal zu bekommen.
Ich als examinierte Kraft kann nur sagen das man sich Personal das sich an Beatmungsmaschinen,an Intensivpatienten usw. nicht einfach aus dem Ärmel schütteln kann.
Es wurden immer versprechungen gegeben die dann eh nicht eingehalten wurden seitens der Politik.
Auch ich bin nach 31 Jahren aus der Pflege da man sich psychisch und physisch irgendwann kaputt macht…