“Wer immer noch glaubt, dass das eine harmlose Grippe ist, soll uns besuchen kommen”

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Krankenhauspersonal im Dauerstress – zu Besuch auf der Covid-Station

Oberärztin Dr. Bettina Riecken ist seit Monaten am Klinikum Ludwigsburg im Dauereinsatz – jeden Tag kämpft sie an vorderster Front gegen die Corona-Pandemie und ihre mitunter fatalen Folgen. In den letzten Wochen hat sich die Situation verschärft – immer mehr Menschen benötigen medizinische Hilfe, gleichzeitig kämpft die Klinik gegen Corona-bedingte Engpässe bei der eigenen Belegschaft. Bettina Riecken leitet eine von mittlerweile mehreren Covid-Stationen in Ludwigsburg und absolviert tagtäglich einen Drahtseilakt zwischen extrem hohen Hygieneanforderungen, krankheitsbedingten Ausfällen im Team, einer engmaschigen Betreuung der Kranken und dem Haushalten mit den eigenen Reserven. Die Patienten leiden unter den Symptomen der Krankheit, unter hohem Fieber, unter Atemnot, unter den eigenen Ängsten in der Isolation… Wer auf die Intensivstation verlegt werden muss, verlässt diese altersabhängig nur mit einer 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit lebend. Zwar gilt nach wie vor – je älter, desto höher das Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf, doch wer auf den Covid-Stationen der Ludwigsburger Klinik einen Blick durch die Schleusen der isolierten Zimmer wirft, sieht auch junge Männer und Frauen sowie Menschen mittleren Alters, die derart geschwächt sind, dass sie zusätzlich mit Sauerstoff versorgt, oder gleich komplett künstlich beatmet werden müssen.

warten auf Besserung in der Einsamkeit der Isolation

Nicht nur die Kranken leiden unter den Folgen der immer weiter um sich greifenden Pandemie, sondern auch das medizinische Personal. Viele Ärzt*innen und Pfleger*innen sind seit Monaten faktisch im Dauereinsatz und brennen unter der Belastung langsam aber sicher aus. Ein großes Problem bilden auch die sogenannten nosokomialen Infektionen, sprich Ansteckungen innerhalb des Krankenhauses. Infiziert sich beispielsweise ein Pfleger an einem Patienten in der Klinik, kann es sich – explizit trotz engmaschiger Testung des Personals – schnell innerhalb der Belegschaft aber auch bei anderen Kranken auf der Station ausbreiten. Um ein solches Risiko gänzlich auszuschließen, müsste im Grunde jede/r Mitarbeiter*in jeden Tag getestet werden und dürfte erst nach Vorliegen eines negativen Ergebnisses den Dienst antreten – in der Praxis, eingedenk der Laborkapazitäten am Limit, völlig undenkbar. Weil durch das hohe Infektionsrisiko in den letzten Wochen und Monaten, stetig ein eklatanter Teil des Gesundheitspersonals in Quarantäne geschickt werden muss, bleibt den Krankenhäusern nichts anderes übrig, als die verbleibenden Kräfte bestmöglich zu verteilen. Das hat zur Folge, dass auf den Covid-Stationen auch Ärzt*innen und Pfleger*innen aus anderen Abteilungen eingesetzt werden, die sich die speziellen Qualifikationen für diese Arbeit quasi im Live-Betrieb erarbeiten müssen. Dass dies keine ideale Situation ist, wissen die Verantwortlichen nur zu gut, doch außerhalb wie innerhalb der Klinikmauern, muss in der Corona-Krise eben improvisiert werden.

In der Praxis bringt dies aber erhebliche Probleme mit sich, berichtet Dr. Bettina Riecken. Mal schnell von einem Patientenzimmer ins nächste stürzen, geht auf den Covid-Stationen schlicht und ergreifend nicht. Vor dem Betreten einer Quarantäne-Schleuse, muss sich das Personal komplett mit neuen sterilen Klamotten einkleiden, sich umfassend desinfizieren, Türklinken und Alltagsgegenstände mit eingeschlossen. Beim Verlassen der Zimmer beginnt diese zeitraubende Prozedur dann immer aufs Neue, erzählt die gestandene Medizinerin, auf deren Gesicht das stundenlangen Tragen der Maske Spuren hinterlassen und deren Hände durch das beständige Desinfizieren aufgeraut sind. Durch die aufwendigen Sicherheitsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung der Hygieneanforderungen geht viel Zeit verloren und mit ihr die Fähigkeit zum schnellen Reagieren – ein weiteres Stück gedanklichen Drucks, den Bettina Riecken und ihr Team zu schultern haben.

immer griffbereit – medizinischer Sauerstoff auf der Covid-Station

Wie angespannt und zunehmend brenzlig sich die Situation in den Krankenhäusern entwickelt, scheint im Alltag der Menschen noch nicht wirklich angekommen zu sein. Ob viele von ihnen noch mit der gleichen Sorglosigkeit agieren würden, könnten sie nur einmal durch die Flure der Covid-Stationen gehen, in die erschöpften Gesichter der Menschen in den Betten und in weißen Kitten sehen? Eine schwer zu beantwortende Frage, ist es doch bekanntermaßen leicht, Leid zu ignorieren, das nicht direkt unter den eigenen Augen stattfindet. Doch muss man sich auch fragen, wie viel mehr als die derzeit über 400 täglichen Todesfälle es noch braucht, bis ein Umdenken stattfindet? „Wer immer noch glaubt, dass das eine harmlose Grippe ist, soll uns besuchen kommen“ konstatiert Dr. Bettina Riecken, wenngleich natürlich das derzeitige Besuchsverbot an der Klinik dies unmöglich macht.

Sicher scheint auch, wenn sich die Situation nicht bald ändert, die Infektionszahlen nicht nach unten gehen, wird die Lage in den Kliniken zunehmend kippen. Irgendwann ist auch die stärkste Ärztin und der tapferste Pfleger am Ende aller Kräfte und Ressourcen angelangt. Wenn niemand mehr zur Verfügung steht, der all die hilfesuchenden Menschen zu versorgen weiß, nützen auch die teuersten Gerätschaften und die flammendsten Appelle nichts mehr.

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2 Gedanken zu „“Wer immer noch glaubt, dass das eine harmlose Grippe ist, soll uns besuchen kommen”“

  1. und hier noch mehr Hintergruundwissen was das Problem deutlicher macht
    https://www.rkh-kliniken.de/informationen/sars-cov-2-covid-19/covid-19-in-zahlen/

    Belegung COVID-19 Intensiv-/Überwachungsstationen je RKH Klinik
    Es gibt 61 Betten, 58 sind zur Zeit belegt, 13 davon mit Covid19.
    Zumindest hat der Chef der RKH Kliniken das Problem erkannt:
    https://www.bietigheimerzeitung.de/inhalt.der-geschaeftsfuehrer-der-rkh-kliniken-im-gespraech-der-knackpunkt-ist-die-pflege.239d28a9-8641-44f5-9508-38e1511ce288.html

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