Wenn der Bajass die Schweinsblas schwingt

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In Bauerbach wird Kerwe noch ganz oldschool, deftig und herrlich politisch inkorrekt gefeiert

Kirmes, Kirwa, Kirwä, Kerwe, Kerwa, Kärwa… es ist ganz egal, wie Sie die traditionelle Sause in ihrer Ecke der Welt nennen, am Ende läuft es auf ein und dasselbe hinaus: Man feiert Kirchweih. Ursprünglich ein kirchliches Hochfest mit Wurzeln über hunderte von Jahren zurück, ist heute in den meisten Städten und Gemeinden von diesem geschichtlichen Aspekt kaum noch etwas zu spüren. Tatsächlich wird die Kirchweih in der heute üblichen Ausgestaltung einfach als 08/15-Festle mit etwas Rummel, Ufftata, Bratwurst und Bier gefeiert. Dagegen ist nichts einzuwenden, aber streng genommen ist die Kirchweih mehr als nur eine Ansammlung von Bierbankgarnituren und Blasmusik.

Früher feierte man zur Kirchweih den Jahrestag der Weihe der örtlichen Kirche, soweit, so logisch. Diese Feste verteilten sich über das ganze Jahr, dauerten teilweise tagelang. den Bauern war es ein Dorn im Auge, dass ihre Knechte und Mägde deswegen häufig fehlten oder schlicht arbeitsuntauglich, weil betrunken waren. Also einigte man sich auf einen Zeitpunkt im Herbst, nachdem die Ernte eingebracht war und die Knechte und Mägde ihren Lohn erhalten haben. Dann stand einem rauschenden Fest nichts mehr im Wege, die Arbeit war schließlich getan. Rund um dieses Fest gab es viele Rituale und Traditionen, die von Region zu Region unterschiedlich ausfielen. Wie es bei uns im Kraichgau, wo die Kirchweih traditionell als Kerwe bezeichnet wird, früher einmal gewesen ist, lässt sich am ehesten noch im Brettener Stadtteil Bauerbach erleben. Hier wird das alte Brauchtum noch hoch gehalten, das mag auch an der katholischen Majorität im Dorf liegen – Bauerbach sei traditionell eine der ganz wenigen katholischen Enklaven im Brettener Umland, erklärt mir das Bauerbacher Urgestein und wandelnde Ortschronik Roland Albert. Wer etwas über die Kerwe oder einfach alles andere im Ort wissen möchte, ist gut beraten, sich an ihn zu wenden.

Unterwegs ist zur Kerwe in Bauerbach im Grunde das ganze Dorf, alles ist auf den Beinen und folgt dem bunt geschmückten Tross bestehend aus Musikverein und insbesondere dem Herzen einer jeden Kerwe – den ehrenwerten Kerwebuwe. Dabei handelt es sich um ein paar junge Kerle aus dem Dorf, die sich tatsächlich reichlich Mühe geben, um die Tradition in Bauerbach am Leben zu halten. Sie kleiden sich symbolisch in den großen Rollen und Berufen, die früher im Dorf noch eine ganz zentrale Rolle gespielt haben. Es gibt Metzger, Bauer, Bäcker, Schmiede und viele mehr… Theoretisch zumindest, die Anzahl der verfügbaren Berufe ist leider schon lange nicht mehr deckungsgleich mit den entsprechend engagierten jungen Männern. In diesem Jahr haben sich Maurice, Alexander, Fabio, Finn, Philipp, Lewin und Faro ins Zeug gelegt, um das alljährliche Ritual am Leben zu halten.

Sie schlüpften in die traditionellen Rollen, füllten diese mit all ihrer verfügbaren Mannstärke so gut es ging aus. Es gab das Brautpaar, einen Metzger, einen Bäcker und auch den Kerwe-Bajass, der mit seiner Schweinsblase die Kinder des Dorfes vor sich her treibt. Am Ende des Festzuges angelangt gestalteten sie, nach einer herzlichen Empfangsrede durch Ortsvorsteher Torsten Müller, den offiziellen Programmteil des Nachmittages. Dieser besteht aus einem Kerwetanz des Brautpaares – später auch erweitert um die Ortsobrigen – ein Kerwelied und einer Kerwerede. Man könnte diese Programmpunkte auch folgendermaßen anordnen: Schräg, Schräger, am Schrägsten.

Besonders die Ansprache hat es in sich, auch das ist gute Tradition. Man nimmt in deftigen Worten das Ortsgeschehen auf die Schippe, neudeutsch würde man sagen: Ein Roast! Da bleibt nichts und niemand außen vor, jeder bekommt sein Fett weg. Kleine Kostprobe gefällig: “Überd Vereine müsse ma ja au noch was sage: Die Bläser, die Fraue, die mitm Gewehr und die freiwillige Feuerwehr. Letztere sind ja’s ganze Johr nur am koche und brate Gut drei mol im Johr absperre, aber ansonschte nur über de nächste Suff berate. Un wenns mol brennt muss ganz Brette anrücke nur um oi mol uf de Feuerlöscher zu drücke. Die ganze Rosenstroẞ versperrt un doch nix gelöscht, des ganze sah aus als wärs n Stroßefescht”… Und das war einer von den harmloseren Abschnitten. Gepoltert wurde auch über den Fußballverein, den Pächter der Vereinsgaststätte, das Gendern und nicht zuletzt über die stinkende Recyclingbranche bei den Flehinger Nachbarn und ihre Brandanfälligkeit.

Den Bauerbachern macht das Ganze aber sichtlich Spaß, wenn die Kerwebuwe nach jeder Strophe laut grölen kann sich niemand das Grinsen verkneifen, so politisch inkorrekt die Rede auch sein mag. Und ganz ehrlich, was soll’s, das tut auch mal wirklich gut – ein erfrischender Schuss vor den Bug des ausufernden Hypermoralismus unserer Zeit.

Nach dem folgenden, geradezu engelsartigen Gesang der Buwe kommt am Ende des Rituals dann natürlich das Feiern. Man stößt gemeinsam an, trinkt zusammen ein Bier oder ein Viertele Wein, für die Kinder gibt es eine Brezel. Das ganze Dorf rückt zusammen, plaudert miteinander und strapaziert die Gastfreundschaft der Hausherren schamlos bis in den späten Abend. So muss das sein, so war das schon immer und so wird das hoffentlich auch bleiben. Bauerbach, bewahre dir deine Rituale! Schön dass es so etwas noch gibt1

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2 Gedanken zu „Wenn der Bajass die Schweinsblas schwingt“

  1. Nichts gegen alte Bräuche und deftige Reden. Diese hier könnte allerdings auch der Feder der AFD stammen.
    Was daran jetzt herrlich sein soll, erschließt sich mir nicht. Es sei denn, mann findet Klimaleugnen, Homophobie und das Herabsetzen asiatischer Gerichte „herrlich“.
    Ausgewogen geht anders.

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