Was willst du heute lernen?

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In Kraichtal gründet der Verein “Lernatelier” derzeit eine freie Schule, die auf Selbstbestimmung statt Fremdbestimmung setzt.

Lena Bischoff und ihre Mitstreiter vom Verein “Lernatelier” haben dieser Tage alle Hände voll zu tun. Zwar neigt sich im Gegensatz zum kalendarischen Jahr, das Schuljahr noch lange nicht seinem Ende entgegen, doch auch 10 Monate können wie im Flug vergehen. Bis es soweit ist, gilt es noch etliche Hürden zu nehmen, denn der Verein hat sich ein großes und ambitioniertes Ziel gesteckt: Die Gründung einer neuen, freien Schule.

Das Konzept hierfür liest sich ein Stück weit wie ein Gegenentwurf zum staatlichen Schulsystem und dürfte bei konservativen Zeitgeistern unmittelbar zu hochgezogenen Augenbrauen führen, bricht es doch mit den meisten, herkömmlichen Traditionen. Jedes Kind soll hier in seinem ureigenen Tempo lernen und eigenverantwortlich entscheiden, wann es welche Aufgabe in Angriff nimmt. Der Lehrplan wird nicht linear und via statischem Frontalunterricht abgearbeitet, sondern dessen Abhandlung den individuellen Bedürfnissen der Kinder angepasst. Lehrer sind in diesem Modell keine “Vorgesetzten” sondern gleichberechtigte Teammitglieder, die zusammen mit der Schülerschaft eine demokratische Einheit bilden. Das Lernen soll so wieder Spaß machen und sich an den Interessen der Kinder orientieren. Ein weiterer wichtiger Baustein ist das praxisnahe Lernen und möglichst viel Aufenthalt in freier Natur. Warum nur in der Theorie für das Leben lernen, wenn es doch auch in der Praxis geht?

Wenn Lena Bischoff über die Ambitionen und Ziele des Lernateliers spricht, schwingt in jedem Wort der feste Glauben und die Überzeugung mit, dass diese gesteckten Ziele tatsächlich erreicht werden können. Noch aber ist die Gründung der Freien Schule nicht in gänzlich trockenen Tüchern. Eine zentrale und maßgebliche Voraussetzung fehlt derzeit noch – der Segen und das grüne Licht des Regierungspräsidiums Karlsruhe. Als zuständige Instanz überprüft die Karlsruher Behörde derzeit den Antrag auf Zulassung der Schule – wann dieser Prozess abgeschlossen sein wird, lässt sich aber noch nicht exakt abstecken.

Der Verein selbst hat seine Hausaufgaben aber bisher vorbildlich erledigt. Nach akribischer Vorbereitung und der Evaluierung des zugrundeliegenden Konzeptes, konnten bereits Räumlichkeiten im Kraichtaler Stadtteil Oberöwisheim angemietet werden, zudem haben sich ausreichend Pädagogen bereit erklärt, im Falle einer Zulassung bereits ab September an der Freien Schule zu unterrichten. Alle Augen sind daher nun auf Karlsruhe gerichtet, bis zur Entscheidung der Schulbehörde stehen alle Beteiligten quasi auf Standby.

Ursprünglich war ein Schulstandort in Bruchsal angedacht, letztlich fiel nun aber die Wahl auf eine Villa in Oberöwisheim, die im Besitz einer privaten Stiftung ist. Rund 60 Kinder könnten in den Räumen des einstigen Privathauses unterrichtet werden, etwa 40 Anmeldungen liegen dem Verein bereits vor. Davon entfallen etwa 15 bis 20 Anmeldungen auf das kommende Schuljahr 2021/22. Mit der Anmeldung ihrer Kinder sind die Eltern ein gewisses Risiko eingegangen, besteht doch immerhin die Möglichkeit, dass das Projekt noch scheitern könnte. Genau wie die potentiellen Lehrkräfte oder der Vermieter der Räumlichkeiten, haben sie dem Verein “Lernatelier” einen großen Vertrauensvorschuss geschenkt, alle glauben an das Gelingen dieses nicht alltäglichen Projektes.

Sollte es gelingen, steht Eltern und Kinder aus dem Kraichgau eine neue schulische Optionen zur Verfügung, die sich in ähnlicher Form erst wieder in Karlsruhe oder Heidelberg findet. Lena Bischoff fast das Konzept mit einem Zitat des französischen Schriftstellers François Rabelais zusammen: “Kinder sind keine Fässer, die gefüllt, sondern Feuer, die entzündet werden wollen.“ Um diesen Zündvorgang zu begünstigen, setzt die freie Schule auf Selbstentfaltung und Eigenverantwortung. Es gibt keine Benotung und keinen klassischen Stundenplan. Der größte Teil des Vormittags setzt sich aus offenem Unterricht und freiwilligen Angeboten zusammen.

Doch bei all diesen Freiheiten, gibt es natürlich dennoch staatliche Vorgaben, die erfüllt werden müssen. Spätestens zum Ende der vierten Klasse und einem Wechsel auf die weiterführenden Schulen, sollten die Kinder einen ausreichenden Wissensstand erzielt haben, der Ihnen einen solchen Wechsel auch ohne Schwierigkeiten ermöglicht. Ob dies gelingen wird, lässt sich freilich derzeit noch nicht sagen. Da die Schule aber zu großen Teilen auf das Konzept des Pädagogen Falko Peschel setzt, lassen sich zumindest aus seinen Erfahrungen gewisse Prognosen hierfür ableiten. Sein radikales Konzept des freien Unterrichts, hat laut eigener Aussage in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, zu einer weit höheren Wechselquote auf das Gymnasium geführt, als bei vergleichbaren Grundschulklassen klassischer Ausrichtung. Das Ende der vierten Klasse halten die Pädagogen des Lernateliers übrigens für keinen geeigneten Zeitpunkt, für die erzwungene Wahl des Scheideweges in Richtung weiterführender Schulen. Mittelfristig planen sie für ihre Schule daher zehn Klassenstufen, innerhalb derer niemand zu einer solchen Entscheidung gezwungen werden soll. Ein Schulabschluss ist an der Freien Schule allerdings nicht möglich, für die Abschlussprüfung selbst muss eine staatliche Schule in Anspruch genommen werden

Die Idee und Vision das Vereins “Lernatelier” für seine freie Schule in Kraichtal, hört sich gleichermaßen ambitioniert wie verlockend an. Sie wäre ein aktiver Gegenentwurf zu den ständig steigenden Herausforderungen der modernen Leistungsgesellschaft und einer zu deren knallhartem Credo “Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser”. Ob die Vision am Ende tatsächlich Wirklichkeit wird, liegt nun in den Händen des Regierungspräsidiums in Karlsruhe. Sobald dessen “Go” vorliegt, ist es an den Pionieren des Lernateliers zu beweisen, das aus einem verheißungsvollen Konzept, auch tatsächlich eine echte Erfolgsstory werden kann.

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