Wenn Kunden Supermärkte in Trümmerfelder verwandeln
Von Thomas Gerstner. Ja, zugegeben – mein „erstes Mal“ war mit knapp 40 Jahren schon recht spät, aber dafür war es mit Sicherheit auch mein letztes Mal. Das erste Mal wollte ich zu einer großen Supermarkt-Kette und eine recht günstige Zehnerpackung Unterhosen für mich kaufen.
Ich brauche keine großen Namen wie Calvin Klein oder Bruno Banani über meiner Banani, daher reichen mir die Billig-Buxen völlig aus. Das Projekt „Sexy Body“ habe ich Mitte der 90er mit dem Vermerk „Unrealistisch“ kurzerhand abgebrochen. So richtig früh bin ich am Tag des Eintreffens der Aktionsware nicht aufgestanden, das letzte Mal habe ich das 2005 gemacht um in aller Herrgottsfrühe einen PC bei Lidl zu ergattern. In Zeiten von Amazon, Ebay, Zalando und Co. war ich mir sicher, dass dieser Stress wohl Geschichte sein müsste. Ich traf also entspannt nach zwei Hazelnut-Flavoured-Half-Creme-Extra-Strong-Mocca-Frappucinos in der Filiale meiner Wahl ein …und erstarrte. Die Verkaufstische mit der Unterwäsche für die ganze Familie sahen wie ein Schlachtfeld aus. Alle Packungen waren aufgerissen, die Ware kreuz und quer darüber verteilt. Ein weiblicher, leicht adipöser Geier mit rotgetönter Strähne in den Haaren kreiste noch über den Schlüpfer-Kadavern und riss gerade die letzten noch heilen Packungen auf, begutachtete den Inhalte (rosa Mädchenunterhosen mit „My Little Mutanten Pony“ drauf) und stopfte das Teil mit wurstigen Fingern zurück in die Schachtel. Ich stellte mich neben der Dame auf und fragte Sie so höflich wie ich nur konnte, was denn diese verdammte asoziale Scheiße solle? Abgesehen von einem geringschätzigen Blick, einem mutmaßlich russischen Fluch und einem stampfenden Abgang, konnte mir Wühl-Zilla diese Eskapade auch nicht erklären.
Aufreißen erlaubt, Kaputtmachen nicht
Ich fragte also eine Supermarkt-Angestellte, die gerade mit resigniertem Blick die herausgezerrte Ware wieder in die Kartons beförderte und mit einem Tesa-Streifen notdürftig verschloss, warum man den Kunden so etwas durchgehen lässt. „Wir können da gar nix machen! Am Schlimmsten ist es wenn Kinderkleidung reinkommt – da können Sie teilweise neue Ware direkt in die Tonne werfen“ erklärte mir die Dame und bemühte sich weiter um die Wiederaufbauarbeiten nach dem Hurrikan heute morgen. Ganz so stimmt das übrigens nicht, finde ich am selben Nachmittag via Online-Recherche heraus. Kunden haben zwar bei manchen Produkten durchaus das Recht die Packung zu öffnen, aber nur wenn sie dabei nichts beschädigen. Das heißt: Heringsfilet aus der Dose nehmen und dran riechen —> Nix gut, Klamotten auspacken —> Erlaubt. Wenn aber die Packung zerreißt, könnte der Markt den Gier-Kunden zumindest für die Wertminderung zur Kasse bitten, nicht aber für den vollständigen Kauf der Ware. Ich habe jedenfalls an diesem Tag keine Unterhosen gekauft – die Vorstellung dass besagte Donna Trump etwas in der Hand hatte, was ich gedenke über meine cojones zu stülpen, war mir dann doch zuwider.
Zumindest für die Wissenschaft bietet dieser Erkenntnisgewinn enormes Potential. Anthropologen aus aller Welt können Donnerstags am Wühltisch den ausgestorben geglaubten Cro-Magnon-Höhlenmenschen in freier Wildbahn beobachten. Und ich werde auch wieder da sein – geduckt hinter der Tiefkühltruhe – das Betäubungsgewehr im Anschlag. Und wenn ich dann meinen Zehnerpack Unterhosen in meiner Höhle in Sicherheit gebracht habe, werdet ihr das Siegesgeheul noch bis in die Pfälzer Berge hören…
Salute
Euer Tommy Hilfigerstner