Wenn die Straßenbahn zur U-Bahn wird – Ein erster Ausflug in Karlsruhes neue Unterwelt
von Stephan Gilliar
Gleich vorweg – Wann immer ich von Karlsruhe schreibe, werden sie immer diesen leisen, sentimentalen Unterton heraushören, ich bitte dies zu verzeihen. Bevor ich mit vier Jahren in den Kraichgau zog, war meine Heimat die alte Fächerstadt und wie sie wissen lässt die Sehnsucht nach den ersten vier Wänden eines jeden Lebens niemals nach.
Wenn ich also an mein Karlsruhe von damals denke, denke ich selbstredend an das Schloss, an die Pyramide, an laue Sommerabende auf dem Ludwigsplatz…. aber vor allem an das Rumpeln, Quietschen und Klingeln der alten Holzklasse. Das war omnipräsent in Karlsruhe, überall wackelten die gelb-rot-rundlichen Omas über die Straße – reihte sich in Karlsruhes Hauptschlagader, der altehrwürdigen Kaiserstraße, zuweilen wie Perlen auf einer Kette. In ihrem Inneren roch es nach Rauch, Gummi und der staubigen Luft aus den alten Heizungen, in deren Nähe die hölzernen Sitze bei winterlichen Fahrten immer belegt waren. Dann die scheppernde, schon etwas ausgeleierte Stimme vom Band mit der Ansage der nächsten Station… es war herrlich.
Die alte Holzklasse ist schon längst Geschichte, wurde ersetzt durch moderne Niederflurwagen, die den alten Mädels natürlich in jeglicher Hinsicht überlegen waren. Seit einigen Tagen sieht man nun auch von diesen festen Bestandteilen einer typischen Karlsruhe Straßenszene kaum mehr etwas. Die gelben Bahnen sind abgetaucht, fahren nun unterirdisch, aus Straßenbahnen wurden U-Bahnen- oder wie man in Karlsruhe sagt: U-Strab. Gestern bin auch ich das erste Mal auf dieser unterirdischen Route durch ein bis dahin unbekanntes Karlsruhe gefahren.
Bei der Lutherkirche in der Kaiserallee taucht meine Bahn anstatt wie bisher oberirdisch in die Kaiserstraße einzufahren, in die Tiefe ab und um mich herum wird es einen Moment dunkel.
Doch eben nur einen Moment lang, schon nach kurzer Zeit öffnet sich der Tunnel in eine helle, lichtdurchflutete Kathedrale unter dem Durlacher Tor. Weiße Fliesen bis an die Decke, ein Potpourri aus Leuchtstoffröhren und bunten Strahlern, an den Wänden mannshohe Flachbildschirme und Linienpläne. Ich steige am Kronenplatz aus und schlendere durch diese mir bislang völlig unbekannten Hallen und Gänge. Schön sind sie geworden, die unterirdischen Stationen der neuen Karlsruhe U-Strab. Keine dunklen Löcher, wie man sie aus der Unterwelt anderer Großstädte kennt, bisher ist alles sauber, hell und einladend. Bleibt nur zu hoffen, dass dies auch lange so bleibt und Stadt und Verkehrsbetriebe Wartung, Reinigung und Sicherheit entsprechend ernst nehmen.
Ein bisschen muss man sich natürlich zurechtfinden. Die Beschilderung ist zwar sehr intuitiv gestaltet und die großen Infotafeln geben jederzeit Auskunft über mögliche Anschlüsse und auf welchen Bahnsteigen welche Bahnen in welche Richtung fahren… doch wem die alten Karlsruhe Linienpläne in Fleisch und Blut übergegangen sind, der muss sich nun doch umgewöhnen. Es gibt nun verschiedene Achsen durch Karlsruhe, die eine unterirdisch, die andere weiter oberirdisch, zudem wurden die Wege der einzelnen Linien teilweise geändert. Mittels den Informationen an den Haltestellen und der übersichtlich gestalteten regiomove-App, gelingt dies aber ohne Schwierigkeiten. Die vielen negativen Rezensionen der App in den Play Stores, kann ich persönlich nicht nachvollziehen. Sowohl die Einrichtung, als auch die Nutzungen der App erschließen sich für mich ohne nennenswerte Schwierigkeiten oder Hürden.
Die Stille danach
Unterhalb des Karlsruher Marktplatzes verlasse ich die U-Strab und trete über die neuen, breiten Treppen Ab- bzw Aufgänge wieder ins graue Licht dieses nebligen Januar-Tages. Hier bietet sich mir ein wirklich surreales Bild, ein Karlsruhe wie ich es noch nie gesehen habe. Sowohl der Marktplatz, neuerdings eine leere Steinwüste, als auch die Kaiserstraße in beide Richtungen, gähnen vor Leere. Diese Leere entspringt nicht nur dem Umstand, dass es die Menschen aufgrund der Corona-Pandemie weniger als sonst in die Läden zieht, sondern eben auch dem Fehlen jeglichen Straßenbahnverkehrs. Kein Rumpeln, kein Quietschen mehr, stattdessen gespenstische Stille. Einsam und nutzlos verlaufen immer noch die Schienen über die Straße, hängen die Oberleitungen darüber, doch keine Bahn fährt mehr durch Karlsruhe Shoppingmeile. Mit der Inbetriebnahme der U-Strab fuhr nach 175 Jahren hier erst kürzlich die letzte Bahn hindurch, seither herrscht Ruhe.
Die meisten Menschen laufen immer noch rechts und links auf den breiten Gehwegen, lassen instinktiv die Straßenmitte frei – dies abzulegen wird wohl noch eine ganze Weile dauern. “Vor allem abends ist es gruselig, dann wirkt die Stadt wie ausgestorben erzählt mir einer der Kaufhaus-Verkäufer, der tagtäglich aus den großen Fenstern seiner Abteilung auf die Kaiserstraße herab blickt”. Ab und zu hört man die vertrauten Geräusche der Bahnen noch, dann aber aus den Schächten und Treppenhäusern von unten herauf dringend. Erst ab dem Europaplatz fühlt sich Karlsruhe wieder ein Stück weit wie vorher an, ab hier sind auch wieder oberirdische Bahnen im Einsatz.
Es ist ein Karlsruhe, an das man sich erst gewöhnen muss. Noch aber, sind die Arbeiten an seinem neuen Ich nicht abgeschlossen. Bald werden die Schienen & Oberleitungen verschwinden, ein neuer Pflasterbelag und eine neue Stadtmöblierung an ihre Stelle treten. Zudem steht auch noch der Abschluss der Arbeiten an der Kriegsstraßenunterführung auf der Agenda – ebenfalls ein Meilenstein als Höhepunkt eines jahrzehntelangen Projektes, das schon zu Beginn heiß diskutiert wurde.
Die Zeit, wenn gleich das Feuer, in dem wir alle verbrennen, steht eben niemals still. Stillstand ist Tod, Fortschritt ist Leben. Wir werden uns an dieses neue Karlsruhe gewöhnen, das ja durchaus auch seine Vorzüge hat. Egal ob wir auf seinen, oder unter seinen Straßen unterwegs sind… Kallsruh bleibt Kallsruh und das ist auch gut so.