Tuberkulose in Bad Schönborn – Die Angst der Eltern

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Vater und Sohn / Symboldarstellung der Redaktion

Viele Mütter und Väter fühlen sich mit ihren Sorgen im Stich gelassen

Ein Kommentar von Stephan Gilliar

Es brodelt immer noch hinter den Kulissen des ansonsten so ruhigen und unaufgeregten Kurortes Bad Schönborn. Der Grund dafür könnte nicht konträrer und gegensätzlicher zu dem auf Heilung und Genesung ausgerichteten Image der Gemeinde stehen. Wie ein längst tot geglaubter Geist aus der Vergangenheit, ist die Tuberkulose in Bad Schönborn wieder auferstanden und hat sich – selbst zum Erstaunen der Ärzteschaft – weitläufig innerhalb einer Klassenstufe an der Mingolsheimer Michael-Ende-Schule ausgebreitet. Stand gestern meldet das Gesundheitsamt 50 Ansteckungen und vier Erkrankte – Tendenz leicht steigend.

Das eingangs erwähnte Brodeln und Rumoren in der Gemeinde speist sich dabei aus zwei gegensätzlichen und unvereinbaren Faktoren, die auch jedem ordentlichen Gewitter zu eigen sind. Wie so oft bei gesellschaftlichen Diskursen treffen hier Fakten und Emotionen mit Wucht aufeinander. Wo aber kühle Rationalität und aufgeheizte Gefühle einander begegnen, entlädt sich eine Menge Energie und es blitzt und donnert. Wie bei einem echten Gewitter auch, ist aber weder das eine noch das andere gut oder böse – es sind einfach zwei Seiten derselben Medaille.

Die faktische Seite der Problematik ist schnell erklärt, klar – Fakten lassen sich simpel und einfach mit Worten transportieren. Fassen wir kühl zusammen: Bei einem Kind einer Bad Schönborner Schule, ist die Tuberkulose ausgebrochen und vermutlich einige Zeit unerkannt geblieben. Der Erreger den das Kind beständig aushustete ist hoch ansteckend und hat innerhalb kürzester Zeit eine hohe Anzahl an Mitmenschen infiziert, von denen bislang 4 erkrankten. Spoiler: Vermutlich werden auch noch ein paar wenige mehr der Angesteckten daran erkranken, das ist nur eine Frage der statistischen Wahrscheinlichkeit. In dieser (vorwiegend jungen) betroffenen Altersklasse ist bei etwa 15 % der Infizierten davon auszugehen, dass sie letztlich an der Tuberkulose erkranken. Bei 50 Infizierten läge diese Zahl also rein rechnerisch ca. bei 7,5 Erkrankten.

Bleiben wir weiterhin kühl und gelassen und analysieren weiter. Die Tuberkulose ist kein unbekannter Gast in unserem Lande. Sie wurde bereits am 24. März 1882 entdeckt und ist auch noch heute – 137 Jahre später und trotz des erklärten Ziels ihrer Ausrottung bis 2030 – immer noch regelmäßig in unseren Breitengraden anzutreffen. Wie die Weltgesundheitsorganisation berichtet, wird in jeder Stunde bei 30 Menschen in Europa TBC diagnostiziert – allein in Deutschland erkranken immer noch etwa 5500 Menschen jährlich daran. Dass wir so wenig von der Tuberkulose hören und deshalb entsprechend erstaunt über die in unserer Vorstellung längst ausgerottet geglaubte Krankheit reagieren, liegt mitunter daran dass diese Zahlen in Relation zur Gesamtbevölkerung alles andere als groß wirken. Auf 100.000 Einwohner kommen gerade mal etwa sieben Erkrankte, jede popelige Grippe kann über diese Zahlen nur lachen. Die Situation in Deutschland und der EU steht damit übrigens in einem deutlichen Gegensatz zur restlichen Welt. 2016 erkrankten laut dem deutschen Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt 10,4 Millionen Menschen an Tuberkulose, 1,7 Millionen starben daran, was die Krankheit immer noch zur tödlichsten bakteriellen Infektionskrankheit weltweit macht.

Na, klopft das Herz schon wieder etwas höher? Bleiben sie weiter gelassen und bleiben Sie weiter faktisch. Dank der Errungenschaften der modernen Medizin gilt die Tuberkulose, die früher im Volksmund auch Schwindsucht genannt wurde, heute als sehr gut behandel- und heilbar. Durch eine Kombination mehrerer Medikamente, die von Ärzten auch Antituberkulotika genannt werden, kann der TB-Erreger auf unterschiedlichen Stufen abgetötet und seine Vermehrung gestoppt werden. Nicht unerwähnt bleiben sollte das Problem mit Resistenzen bei manchen Formen der Tuberkulose. Diese sind sehr oft darauf zurückzuführen, dass Patienten ihre medikamentöse Therapie vorzeitig abbrechen weil sie sich schon nach wenigen Tagen oder Wochen meist wieder vollständig gesund fühlen und deshalb glauben auf die Einnahme der Präparate verzichten zu können. Es ist exakt der gleiche fahrlässige Umstand der in der Vergangenheit dazu geführt hat, dass viele früher sehr wirksame Antibiotika heute gegen manche Keime nichts mehr auszurichten vermögen. Wer also diszipliniert vorgeht, hat überaus bis extrem gute Chancen wieder vollständig zu genesen. Neben der antibiotischen Behandlung einer ausgebrochenen Tuberkulose gibt es darüber hinaus auch eine vorbeugende Behandlung für lediglich latent infizierte Patienten. Dieser Unterschied kann überhaupt nicht oft genug hervorgehoben werden – Wer sich angesteckt hat wird nicht automatisch auch krank! Menschen, die sich angesteckt haben, aber nicht erkranken, sind für andere nicht ansteckend! Das Immunsystem eines gesunden Menschen kann den TB Erreger im Körper ein Leben lang erfolgreich in die Schranken weisen und einen Ausbruch der Krankheit verhindern. Um diese Ausführungen nicht allzu sehr in die Länge zu treiben, sei in Sachen Behandlung und übrigens aller weiterer Informationen, auf die sehr gut aufbereitete Info-Webseite des deutschen Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose hingewiesen. Sie erreichen die Seite unter folgendem Link.

Die andere Seite – Der Faktor Mensch und der Beschützerinstinkt der Eltern

Würde man sich komplett auf die Faktenlage stützen, könnte man – wenn auch mit Zähneknirschen – sagen: Scheiße gelaufen, aber in den Griff zu kriegen. Oder wie der Hesse es formulieren würde: Mund abbuzze, weider mache! Es gibt aber einen weiteren mächtigen Spieler in dieser Geschichte, den es ernst zu nehmen gilt und der eine überaus starke Berechtigung hat hier mitzumischen: Der Beschützerinstinkt der Mütter bzw. der Eltern. Sind ihre Kinder von einer Gefahr bedroht die ihre Stärke mehr aus diffusen Ängsten als fundierten Fakten zieht, entfesseln Angst und Wut ungeahnte Kräfte.

Wie stark und tief diese Emotionen bei den Eltern der Kinder an der betroffenen Bad Schönborner Schule sind, konnte ich vergangene Woche unmittelbar erleben. Nachdem sich zahlreiche Mütter aufgrund unserer Erstberichterstattung (übrigens noch vor allen anderen Medien) bei unserer Redaktion gemeldet hatten, entwickelten wir gemeinsam die Idee für ein Treffen zum gemeinsamen Austausch in Mingolsheim. Die vielen Telefonate und E-Mail Konversationen im Vorfeld hatten nämlich eines deutlich gemacht: Diese Frauen wollen reden und sich austauschen. Sie sind es leid Ihre Informationen aus Ihrer Sicht nur häppchenweise zu bekommen, beständig von ihrem Umfeld belehrt und getadelt zu werden und durch einen tiefen Morast aus Gerüchten, Halbwahrheiten und Dorfklatsch zu waten. Insgesamt sechs Mütter die bei diesem Treffen anwesend waren, hätten hier unterschiedlicher nicht sein können. Es gab leise und laute, stille und aufbrausende, tief besorgte und verhalten zuversichtliche Stimmen zu hören. Was sie aber alle eint: Sie fühlen sich alleine gelassen und in dieser Situation unzureichend abgeholt und mitgenommen von den Behörden. Sie wollen nicht hinnehmen dass man die meisten von ihnen erst Wochen nach Bekanntwerden der Infektion über die Situation in Kenntnis setzte, sie wollen nicht hinnehmen das manche ihrer örtlichen Ärzte die Behandlung ihrer Kinder ablehnten und sie wollen nicht hinnehmen dass die von den Behörden im Netz zur Verfügung gestellten Informationen lange Zeit nur auf einer einzigen, umständlich erreichbaren Unterseite des Landratsamtes zu finden waren.

Diese Mütter hadern nicht mit dem Umstand dass die Tuberkulose an ihrer Schule ausgebrochen ist, wenngleich auch aufgrund der Exotik dieser Krankheit wohl niemals jemand damit gerechnet hätte. Es ist ihnen klar dass das Leben aus Unwägbarkeiten besteht und absolute Sicherheit, wenngleich auch oft von der Politik versprochen, schlicht nicht existiert. Sie fordern lediglich ein mit ihren Ängsten und Sorgen ernst genommen und ein Stück weit an die Hand genommen zu werden.

Tatsächlich finden sich im Netz und unter den Betroffenen mittlerweile viele Stimmen die den Behörden kein wirklich glückliches Händchen in der Informationspolitik dieser Angelegenheit attestieren. Ob das tatsächlich zutreffend ist, mag ich an dieser Stelle nicht bewerten, wichtig ist aber die Wahrnehmung der Betroffenen. Jean-Paul Sartre hat einmal den sehr prägenden Satz formuliert: “Ein großer Teil der Sorgen besteht aus unbegründeter Furcht.” Diesen Sorgen könnte man in Bad Schönborn ein Stück weit entgegentreten mit einer waschechten Informationsoffensive – von Beginn an. Dazu könnten regelmäßige Informationsveranstaltungen von der ersten Stunde an zählen, Updates mit leicht verständlichen Informationen per Brief oder E-Mail, persönliche und gut erreichbare Ansprechpartner, eine temporäre Vertretung des Gesundheitsamtes vor Ort und die handfeste Vermittlung an Ärzte die sich mit der Krankheit auskennen und die ein verlässlicher Partner für die betroffenen Familien sein können. Manche dieser Punkte haben die Behörden schon umgesetzt, für andere fehlen ihnen schlicht die Kapazitäten.

Wie auch immer man die Sache dreht oder wendet, das Thema Tuberkulose wird in Bad Schönborn noch sehr lange präsent sein. Auch wenn die Situation vom medizinischen Standpunkt aus gesehen beherrschbar und in der Folge unproblematisch ist, bleiben die Unsicherheit und die Angst noch eine ganze Weile Gäste im Kurort. Sie werden sich jedes mal zu Wort melden wenn künftig ein Kind zu husten beginnt, auch wenn es sich dabei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur um eine stinknormale Erkältung handelt und sie werden laut wenn ein einst infiziertes Kind andere Kinder zum Geburtstag einlädt (auch wenn dabei absolut keinerlei Gefahr droht). So ist die Natur der Sorge und jene des Menschen.

Wie könnte es also weitergehen in Bad Schönborn, wie könnte die Dorfgemeinschaft wieder zur Ruhe kommen? Vielleicht in dem sich die Betroffenen klar machen, dass ihre Ängste und Sorgen das Problem schlimmer erscheinen lassen, als es in Wirklichkeit ist, indem sich die Behörden klarmachen das verängstigte Mütter besser abgeholt werden wollen als es vielleicht bisher der Fall war und indem sich alle anderen mit Pauschalurteilen zurückhalten und den erhobenen Zeigefinger wieder einklappen.

Denn am Ende verhält es sich mit diesem Gewitter wie mit allen anderen auch. Im einen Moment ist der Himmel schwarz, Blitze zucken und Donner grollen aber schon kurze Zeit später scheint wieder die Sonne von einem wolkenlosen Firmament. Auch in Bad Schönborn wird das nicht anders sein – bleiben sie zuversichtlich, bleiben Sie gelassen.

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