Der zweite Frühling der alten Eppinger Turnhalle im Rot
von Stephan Gilliar
Ursprünglich wollte ich einen nüchternen, faktenbasierten Artikel über die anstehende Sanierung der Eppinger Turnhalle im Rot schreiben… Sie wissen schon… Zustand, Aussichten, ein paar Rohdaten, ein Foto und fertig ist der Lack. Als ich aber gestern das erste Mal seit so langer Zeit einen Fuß über die Schwelle des alten Mädchens in der Ludwig-Zorn-Straße setzte, war dieser Plan justament reif für die Tonne. Nichts, aber auch gar nichts, hatte sich hier verändert, in den Jahrzehnten meiner Abwesenheit.
Das letzte Mal hier war ich in den späten 80er Jahren, als für uns Eppinger Grundschüler die alte Turnhalle zum Schulalltag einfach dazu gehörte. Die letzten beiden Stunden am Freitag vor Schulschluss strömten wir mit schlenkernden Stoffbeuteln den Buckel hinauf, zogen uns in den beiden kleinen Umkleideräumen schnell um und dann war Brennball, Völkerball oder was auch immer angesagt. Meine Spezialität war es immer am Ende der Stunde irgendetwas in der Halle zu vergessen, so dass der leider mittlerweile verstorbene, aber stets liebenswerte Hausmeister Demel mit mir erneut den Buckel hinauf trotten musste, um noch einmal für mich aufzuschließen. Ich erinnere mich außerdem noch gut an den Tag, an dem ich eine Maus mit in die Schule geschmuggelt habe, welche sich dann aus meinem Schulranzen befreite und in der Sporthalle ausbüchste. Stinksauer hat mein damaliger Sportlehrer Herr Edelmann dann das Vieh eingefangen um es in einer Schimpftirade gen meine Wenigkeit im Grünen in die Freiheit zu entlassen.
Als ich nun das erste Mal seit über 30 Jahren wieder im Foyer der Halle stand, waren diese Erinnerungen plötzlich alle wieder da. Kein Wunder, ist die Zeit doch an diesem Ort ganz offenkundig stehen geblieben. Die Gerüche, die alten Holzbänke, die Kleiderhaken, die Fußwaschbecken in den gelb gefliesten Keller-Waschräumen, das filigrane Gestänge mit den Ringen und Kletterseilen, die kleine Empore mit dem abgegriffenen Holzgeländer… Die Turnhalle im Rot ist ein Teil meiner Kindheit und darüber hinaus ein Teil der Kindheit unzähliger Generationen von Eppingern. Gebaut wurde sie vor 118 Jahren anno 1902 durch den damals noch jungen Turnvereins. Seither geben sich die Eppinger hier die Klinke in die Hand. Schulen und Vereine nutzen die kleine Halle nach wie vor rege, der Belegungsplan platzt aus allen Nähten. Hier wurde gefeiert, geturnt, gesungen und unzählige Male die Bundesjugendspiele ausgerichtet – die Schautafel mit den alten, notwendigen Disziplinen, hängt immer noch an der Wand. 1932 brannte die Halle komplett aus, wurde aber sofort danach wieder aufgebaut. 1974 kam der Sanitärtrakt hinzu, jener kleine Anbau indem sich die Eingangstür, die Umkleideräume und im Keller die Waschräume befinden.
Die Stadt hat die Halle immer herzlich pragmatisch als das angesehen was sie ist: Eine Turnhalle, die es ganz leidenschaftslos zu nutzen gilt. Genau das macht den Charme des alten Bauwerks aus – in seinem Inneren finden sich einfach Nut und Feder – Verkleidungen, flackernde Neonröhren und die Fenster wurden nach vermutlich zweihundert durch fehlgeleitete Fußbälle verursachte Scherbenhaufen, irgendwann durch Plastik ersetzt. Die Halle ist ein Stück des alten, bäuerlichen Eppingen, vermutlich der Grund warum ihr derart viel Liebe entgegenschlägt. Hier oben im Beamten-Viertel ticken die Uhren ohnehin noch deutlich langsamer als “Downtown”. Neben dem kleinen wilden Sportplatz vor der Halle gibt es sogar noch ein paar landwirtschaftliche Grundstücke, direkt neben der Stelle wo früher einmal die Plattform fürs Kugelstoßen war, stehen nun ein paar Pferde auf der Koppel.
Wer auf der einzig verbleibenden Bank Platz nimmt und den Blick auf die alte Sporthalle, mit ihren wie Schwerter in den Himmel ragenden Blitzableitern, ihre stumpfen Plastikaugen inmitten der herrlichen Sandsteinfassade wirft, der weiß sofort – das alte Mädchen muss bleiben und darf sein Gesicht nicht verlieren. In dieser Angelegenheit darf die Stadt auch entspannt durchatmen, denn Eppingen hat für diesen Job genau den richtigen Mann am Start. Architekt Thomas Frey ist nicht nur der Leiter des städtischen Hochbauamtes, sondern hat selbst in den 80ern nach dem Sportunterricht seinen verschwitzten Boppes auf den hölzernen Bänken der Umkleideräume geparkt. Auch für ihn ist die alte Halle ein Heiligtum und er einer Ihrer Hüter. Mit den zur Verfügung stehenden rund 800.000 Euro für die Sanierung, die eine üppige Landesförderung von rund 400.000 Euro enthalten, will der 1976 geborene Ur-Eppinger die alte Halle zwar fit für die Zukunft machen, ihr Gesicht, ihren Charme und ihren Charakter aber unangetastet lassen. Gedreht werden soll nur an großen Stellschrauben wie einer bisher kaum vorhandenen Dämmung oder einer neuen Heizungsanlage (bisher hing die Halle am System der benachbarten Musikschule). Verschwinden sollen auch die mehr oder minder hässlichen Plastikfenster, an ihrer Statt will Thomas Frey am historischen Urzustand orientierte Scheiben einsetzen lassen. Dazu kommen ein paar neue Wandverkleidungen und rundum erneuerte Sanitäranlagen, der Grundriss und das Erscheinungsbild der Turnhalle im Rot aber stehen aber unter seinem persönlichen Schutz. Als ehemaliger Eppinger und hoffnungsloser Nostalgiker gilt Ihm dafür in jedem Fall mein aufrichtiger Dank, dem Hüter des Tempels der vergessenen Turnbeutel.
Als gebürtiger Eppinger und nun mit „70 plus“ Jahren danke ich für diesen Bericht ausdrücklich! Viele Erinnerungen und Gedanken entstehen wieder. „Turnen“ mit Klavierbegleitung durch Realschul-Lehrer Kleber. Er war zugleich auch Musiklehrer. Völker all. Ja! Und immer in Sorge, nicht als Letzter in die Mannschaft gewählt zu werden. – Aufstellen zu Beginn der Übungen nach Körpergröße. Phhh… noch 3 links von mir! – Und später Fasnacht in der Halle. Erstmals auf die Tanzfläche gewagt. Ja, und ganz früher, eine Theater-Vorstellung. Rumpelstilzchen. Tja! Wohl noch einiges mehr.
Was für ein Liebesbrief!